New Work verändert die Arbeitswelt rasant. Dabei geht es um mehr als digitale und agile Prozesse: Ein dauerhafter Kulturwandel zeichnet sich ab. Wie er die Einstellungen und Präferenzen verändert, zeigt eine aktuelle Studie mit über 3.000 Freelancern. Sie sind Vorreiter der Arbeitswelt von morgen.
New Work ist weit mehr als ein Modewort – es steht für eine tiefgreifende Veränderung in der Art und Weise, wie wir arbeiten. Das eigentlich Bemerkenswerte daran ist, dass New Work für einen Großteil der Erwerbstätigen erst heute Realität wird. Denn die Idee einer Arbeitswelt, in der Autonomie, Flexibilität und sinnstiftende Tätigkeiten im Vordergrund stehen, entstand bereits Anfang der 80er Jahre. Es brauchte also fast ein halbes Jahrhundert, eine Pandemie, demographische Verwerfungen und Fortschritte bei der Digitalisierung, bis diese Vision zumindest für größere Teile der arbeitenden Bevölkerung konkrete Gestalt annahm.
„Proof of Concept” für New Work
Viele Bürojobs wurden seit Anfang der 2020er Jahre für Regelungen geöffnet, die den Beschäftigten mehr Wahlfreiheit bei Arbeitszeit und -ort einräumen. Nicht nur Tech-Giganten wie Google, Microsoft und IBM haben begonnen, Elemente von New Work in ihre Unternehmenskultur zu integrieren, indem sie flexible Arbeitsmodelle wie Home-Office, Workation und projektbasierte Teams fördern. Nach anfänglichen Widerständen schätzt auch der Mittelstand heute zunehmend den Wert einer flexibilisierten Workforce – Potenziale, die Freelancer schon lange für sich und ihre Auftraggeber erschließen. Sie lieferten damit den Proof of Concept für das Gelingen von flexiblem Arbeiten und wurden zu Vorreitern für New Work, aus Überzeugung.
Als First Mover bei der Nutzung moderner Arbeitsformen – digital, remote, hybrid – setzten sie als Erste ihre Bedürfnisse durch. „Der Grund dafür sind psychologische Faktoren: u.a. das Streben nach Autonomie“, sagt der Arbeitsgesundheitsforscher Prof Dr. Hannes Zacher. „Für Freiberufler ist es selbstverständlich, zeit- und ortsunabhängig zu arbeiten.“ Die Attraktivität und der nachhaltige Einfluss von New Work auf die Einstellungen der Workforce lässt sich daher bei Freelancern besonders gut ablesen: Sie haben die meiste Erfahrung damit.
Nachhaltiger Kulturwandel
Der Freelancer-Kompass ist mit über 3.000 Befragten die größte Marktstudie im deutschsprachigen Raum und wurde kürzlich zum neunten Mal in Folge von der Freelancing-Plattform freelancermap veröffentlicht. Die Studie belegt: New Work bedeutet aus Sicht der Fachkräfte weit mehr als digitale Prozesse und agile Arbeitsorganisation. „Wir sehen nicht nur eine Transformation der Arbeitswelt, sondern einen Kulturwandel, der sich nicht mehr zurückdrehen lässt“, fasst Thomas Maas, Geschäftsführer von freelancermap und Herausgeber der Studie, die Ergebnisse der Befragung zusammen. Denn: Wer Freiheiten, wie die selbstbestimmte Wahl des Arbeitsortes, einmal kennengelernt hat, möchte diese nicht wieder aufgeben. So arbeiten heute 57 Prozent der Freischaffenden vollständig remote. Aber mehr als 70 Prozent geben inzwischen an, Projekte abzulehnen, für deren Umsetzung Präsenz im Büro erwartet werde.
Wenig überraschend: Je jünger die Befragten, desto geringer die Bereitschaft, sich an einen Büroschreibtisch zu setzen. So möchten fast 72 Prozent der Generation Z ihren Arbeitsort selbst wählen können, bei der Generation Y wünschen sich dies rund 67 Prozent. Bei den 40- bis 50-Jährigen liegt der Remote-Anteil bei 57 Prozent; erst bei den Boomern sinkt er auf 45 Prozent.
Zufriedenheit wächst mit Grad der Unabhängigkeit
Zwei Drittel der Studienteilnehmer gaben an, der Wunsch nach Unabhängigkeit habe den Anstoß zum Wechsel in die Freiberuflichkeit gegeben. 90 Prozent sind mit ihrer Entscheidung zufrieden und würden sich erneut selbständig machen. Demgegenüber verlieren Angestellte zunehmend die emotionale Bindung an ihre Arbeitgeber: Laut Gallup Engagement Index 2023 liegt diese aktuell nur noch bei 14 Prozent und ist damit auf dem tiefsten Stand seit zwölf Jahren.
Dabei wäre eine hohe Mitarbeiterbindung maßgeblich für den Unternehmenserfolg: Laut State of Work Report 2023 ist für 82 Prozent der Befragten das Gefühl, aktiv eingebunden zu sein und sich bei der Arbeit wohlzufühlen, ein Hauptfaktor für ihre Produktivität. Unternehmen profitieren also direkt davon, wenn sie entsprechende Bedürfnisse der Mitarbeiter in den Mittelpunkt stellen. Das verstehen inzwischen auch immer mehr kleine Unternehmen: Laut Freelancer-Kompass ist inzwischen fast jeder dritte Freischaffende, der angibt, vollständig remote zu arbeiten, für ein Unternehmen mit weniger als 100 Mitarbeitern im Einsatz.
New Work demokratisiert Teilhabe am Arbeitsleben
Dabei geht es bei der Wahl ihres Arbeitsmodells nicht für alle Freelancer allein um das Streben nach Autonomie: Rund ein Drittel der Befragten hat damit auch besonderen Lebensumständen Rechnung getragen. Das kann die Pflege eines Angehörigen sein, die Geburt eines Kindes oder das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze. „Remote zu arbeiten, bringt eine Flexibilität, die heutzutage notwendig ist“, bekräftigt Daniel Cronin, Experte für Innovation, Start-ups und Transformation. „Sie erlaubt es vielen Menschen erst, in bestimmte Berufe reinzukommen.“ Oder aber, diese länger auszuüben: Untersuchungen belegen, dass die Altersgruppe der 45- bis 54-Jährigen im Kontext von Arbeit am häufigsten Altersdiskriminierung erlebt. „Der Jobmarkt ist schwierig für Angestellte über 50 Jahre“, begründete etwa ein Teilnehmer am Freelancer-Kompass seinen Wechsel in die Freiberuflichkeit.
Mentale Erschöpfung durch Entgrenzung?
Was aber ist die persönliche Freiheit wert in einer Arbeitswelt, in der die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben verschwimmen, etwa weil das heimische Wohnzimmer zum Arbeitsplatz wird? Hans Rusinek, der in Hamburg und St. Gallen zur Transformation der Arbeitswelt forscht, erkennt etwa bereits „eine Erschöpfungskrise in der Arbeitswelt“, die auf hybride Arbeit zurückgehe: „Die Entgrenzung ist dadurch noch viel krasser geworden.“
Der Freelancer-Kompass, der 2024 erstmals auch Aspekte von Mental Health beleuchtet, kommt allerdings zu einem anderen Ergebnis: Nur ein Drittel hält es für wichtig, über einen dedizierten Arbeitsplatz zu verfügen. Remote-Arbeit oder Workation wird von Freiberufler:innen mehrheitlich als Booster für Kreativität und Motivation erlebt. So können sich über 61 Prozent der Entwickler und Daten-Experten außerhalb des Büros besser auf ihre Arbeit konzentrieren, fast zwei Drittel der Kreativen berichten von positiven Auswirkungen der Remote-Arbeit auf ihren Schaffensprozess. Ein erhöhtes Stresslevel durch die fehlende Bindung an einen physischen Arbeitsplatz beklagt durchschnittlich nur jeder Fünfte.
Die transformative Kraft von New Work
Die Kraft, die den Kulturwandel der Arbeitswelt in Richtung New Work antreibt, lässt sich nicht zuletzt am wachsenden Zuspruch messen, den das Freelancing als Erwerbsform erfährt. So steigt die Zahl der Selbstständigen in freien Berufen seit Jahren kontinuierlich an: Laut dem Bundesverband der Freien Berufe auf rund 1,5 Millionen im Jahr 2023. Das ist in etwas eine Verdreifachung innerhalb der letzten 30 Jahre. New Work birgt das Potenzial, die Arbeitswelt nachhaltig zu transformieren und eine Zukunft zu gestalten, in der Freiheit und Selbstbestimmung im Mittelpunkt stehen.
Der sächsische Sozialphilosoph Frithjof Bergmann, der als Begründer der New Work Bewegung gilt, hätte diese Entwicklung gern gesehen: Er forderte Anfang der 80er Jahre einen grundlegenden Wandel im Verständnis von Arbeit, die nicht nur ein Mittel zum wirtschaftlichen Überleben sein sollte. „Geld ist ein wichtiger Punkt, um Wertschätzung für die eigene Leistung zu erfahren,“ bekräftigt Hans Rusinek, Experte für New-Work-Unternehmenskonzepte im Freelancer-Kompass 2024. „Aber es geht bei der Arbeitszufriedenheit mindestens so sehr darum, einen positiven Impact in die Welt zu bringen. Das ist es, was ich auch in Unternehmen beobachte“, so Rusinek weiter: „Sie können noch so viel Geld bezahlen. Wenn der Rest nicht stimmt, gehen sie trotzdem.”