Windows 95 wurde damals als Weltneuheit gefeiert. Allerdings steckte unter der Haube noch viel alte Technik: Um die Besitzer von 16-Bit-Programmen für die ersten Windows-Versionen und antiquierter Software für das erste Microsoft-Betriebssystem MS-DOS nicht auszuschließen, hatten sich Gates und seine Mitstreiter gegen einen radikalen Neuanfang entschieden.
Diese Entscheidung führte dann aber auch dazu, dass Windows 95 sich immer wieder mal mit einem Absturz verabschiedete. Das wurde später mit Windows XP weitgehend ausgebügelt.
Viel überzeugender war die neue Optik: Das Microsoft-System brachte eine neue grafische Oberfläche mit, die sich an den Dokumenten orientierte und mit der Maus bedient werden konnte. Die Schreibtisch-Metapher kam zwar den Besitzern eines Apple Macintosh irgendwie bekannt vor, für die meisten PC-Benutzer bot Windows 95 jedoch eine echte Premiere. «Windows 95 war ein großer Meilenstein für das Unternehmen», sagte Gates 2018 in einem «Wired»-Video.
Gates räumt dabei freimütig ein, dass die grafische Benutzeroberfläche nicht von Microsoft erfunden wurde. Allerdings sieht er auch nicht Apple als Erfinder, sondern ein legendäres kalifornisches Forschungsinstitut. «Die grafische Benutzerschnittstelle ist im Xerox PARC erfunden worden, für einige sehr teure Maschinen, die nur in geringen Stückzahlen verkauft wurden.» Tatsächlich hatten sich Apple-Mitbegründer Steve Jobs und sein Team für die Programmierung der Oberflächen der Apple-Computer Lisa (1983) und Macintosh (1984) bei mehreren Besuchen im Xerox PARC inspirieren lassen. Der Xerox-Konzern in New York bekam dafür lukrative Aktien-Optionen vor dem Apple-Börsengang. Gates und seine Entwickler lösten dagegen nie ein Eintrittsticket für einen Besuch der Labore vom Xerox PARC.
Über dieses Thema reden sich heute nur noch einige Nerds und Computer-Historiker die Köpfe heiß. Xerox ließ damals eine historische Chance verstreichen. Und Microsoft profitierte davon.
Upgrade-Boom
Windows 95 entfachte einen Upgrade-Boom, denn im Vergleich zum Kommando-Zeilensystem MS-DOS und den ersten Windows-Versionen sah das neue Betriebssystem so viel besser aus und war auch einfacher zu bedienen. Es warf auch die lästige Längenbeschränkung für Dateinamen auf acht plus drei Zeichen über Bord (BEISPIEL.TXT). Und man konnte auch wie beim Mac die Dateien auf dem virtuellen Schreibtisch (Desktop) ablegen. Gelöschte Dateien landeten in einem Papierkorb und konnten vor dem endgültigen Löschen auch wieder daraus entnommen werden.
Einen eigenen Akzent setzte Microsoft mit dem Start-Menü, auch wenn einige Anwender nicht verstehen konnten, warum man auch zum «Beenden» auf «Start» klicken musste. Das Festhalten am Start-Menü über viele Jahre war später auch dafür mitverantwortlich, dass sich die Windows-Variante für Smartphones nicht durchsetzen konnte. Auf den kleinen Bildschirmen funktionierte das Konzept des Start-Knopfes nicht. Als Microsoft sich 2010 endlich davon verabschiedete, war der Siegeslauf von Android und dem iPhone schon nicht mehr aufzuhalten.
Vor 25 Jahren war die Windows-95-Euphorie aber ungebrochen: Allein in den ersten sieben Wochen verkaufte Microsoft sieben Millionen Exemplare. Innerhalb eines Jahres waren es 40 Millionen. Damit holte Gates den Personal Computer aus der Nerd-Ecke und kam seiner Vision «Ein PC auf jedem Schreibtisch» einen entscheidenden Schritt näher. 1995 wurden weltweit erst gut 60 Millionen Computer verkauft. Zehn Jahre später überschritt die Zahl der verkauften PCs weltweit erstmals die Schwelle von 200 Millionen, Microsoft hielt damals einen Marktanteil von über 95 Prozent. Seinen Höhepunkt erlebte der PC-Markt 2011 mit 365 Millionen verkauften Geräten. Seitdem zeigt die Kurve deutlich nach unten, weil bei vielen Menschen das Smartphone oder ein Tablet-Computer die Funktion des PCs übernommen hat.
Komplett falsch schätzte Gates damals den Online-Markt ein. Zu Beginn wurde Windows 95 sogar ohne Webbrowser verkauft, obwohl der britsche Wissenschaftler Tim Berners-Lee das Web bereits fünf Jahre zuvor erfunden hatte und der populäre Mosaic-Browser auch schon seit 1993 verfügbar war. Erst im «Plus!»-Paket für 100 Deutsche Mark gab es einen Browser dazu. Gates glaubte damals noch an den Erfolg proprietärer Online-Dienste wie Compuserve oder AOL und stattete sein Windows mit dem Microsoft-Gegenstück MSN aus. Diese geschlossenen Onlinedienste versuchten, die Nutzer in einem abgeschotteten Bereich zu halten, der vom offenen Web aus nicht erreichbar war. Erst als der Mosaic-Nachfolger Netscape den Markt überrannte, erkannte Gates die Herausforderung.
dpa