Seit dem 01. Januar 2023 ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) für Unternehmen in Deutschland ab 3.000 Beschäftigten anzuwenden. Ab dem 1. Januar 2024 sind Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten betroffen.
Auf Nachdruck verschiedener Verbände, das Gesetz zu verändern bzw. auszusetzen, hat das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) verkündet, erst bis zum 1. Juni 2024 zu prüfen, ob die Berichtspflichten für das bis dahin abgelaufene Geschäftsjahr erfüllt wurden. Zudem will es die Einhaltung bürokratiearm und mit Augenmaß prüfen. Aus Sicht der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe e. V. (DSAG) ein wichtiger Schritt, der den Unternehmen entgegenkommt. Eine Einschätzung geben Karin Gräslund, DSAG-Fachvorständin Financials & Sustainability, und Thomas Henzler, DSAG-Fachvorstand Lizenzen, Service & Support.
Karin Gräslund, DSAG-Fachvorständin Financials & Sustainability:
„Wenn Corporate Responsibility auf freiwilliger Ebene keine Effekte in den Lieferketten hat, müssen Vorgaben für Menschenrechte und Umweltschutz verbindlich und mit staatlichen Maßnahmen umgesetzt werden. Das ist notwendig, um Risiken zu erkennen, Verstößen vorzubeugen, sie gemeinsam zu minimieren und zu beenden. Vor diesem Hintergrund ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) begrüßenswert. Doch es muss auch klar sein: Ein strenges Lieferkettengesetz bringt hohe Kosten für die Wirtschaft mit sich und der bürokratische Aufwand für Unternehmen ist immens.
Insbesondere nachdem die Wirtschaft während der Corona-Pandemie und durch die bestehenden geopolitischen Krisen stark gelitten hat, ist das LkSG eine zusätzliche Belastung für die Unternehmen. Die Entscheidung der Bundesregierung, die Umsetzung mancher Sorgfaltspflichten zu verschieben, kommt daher zum richtigen Zeitpunkt. Nichtsdestotrotz darf diese ‚Verlangsamung‘ nicht dazu führen, dass Unternehmen untätig werden. Organisatorisches Lernen und der notwendige Mind-Shift dauern sehr lange. Unternehmen müssen hier weiterhin aktiv sein.
Wenngleich das verlangsamte Vorgehen beim LkSG sowie das Entgegenkommen des BAFA, die Prüfung ‚bürokratiearm und mit Augenmaß‘ vorzunehmen zu begrüßen ist, Rechtssicherheit bietet diese Aussage Unternehmen nicht. Die Nichteinhaltung der normierten Sorgfaltspflichten birgt das Risiko hoher Geldbußen von bis zu zwei Prozent des weltweiten Jahresumsatzes und Reputationsschäden. Aus DSAG-Sicht wäre daher zum jetzigen Zeitpunkt und vor dem Hintergrund der beschriebenen Gegebenheiten eine garantierte Sanktionsfreiheit bei Verstößen wünschenswert, statt einer bloßen Zusage, mit ‚Augenmaß‘ vorzugehen.
Insgesamt ist dennoch zu hoffen, dass diese verlangsamte Umsetzung auch für kleinere und mittlere Unternehmen kommen wird. Sie sind ab dem 1. Januar 2024 betroffen und Stand heute ist es für diese Unternehmen bis dahin kaum machbar, die gesamte Lieferkette zu prüfen. Sie haben nicht die Ressourcen, um Mitarbeitende zur Kontrolle des LkSG und für das Nachhaltigkeits-Reporting abzustellen.
Die Gesetzgebung ist bisher unkonkret, z. B. in gesetzlichen Formulierungen und Vorgaben. Den Unternehmen fehlt so die Orientierung, um auf den bislang üblichen Wegen nachhaltiger zu werden. Bisher fehlt die gesetzliche Experimentierklausel und das Netzwerk von ‚Branchenprimi‘, das mutig vorangeht und seine Erfahrungen mit der Community teilt. Um die Mammutaufgabe LkSG angemessen zu meistern, wäre langfristig eine zentrale Plattform denkbar, wo gesamteuropäisch und datenschutzgerecht Informationen gesammelt und aktuell gehalten werden könnten.
Hilfestellungen zur Umsetzung erwarten wir als Industrieverband einerseits vom Staat. Eine Business-Netzwerklösung, in welche sich die Firmen einbinden könnten, wäre denkbar. Andererseits sind auch ERP-Hersteller wie SAP weiterhin gefordert.“
Thomas Henzler, DSAG-Fachvorstand Lizenzen, Service & Support:
„SAP-Lösungen bilden das Rückgrat vieler international tätiger Unternehmen. Damit verbunden ist die Aufgabe, die vielseitigen, teilweise sehr komplexen und volatilen Gesetzgebungen in den Ländern dieser Welt umzusetzen. Über die Erfüllung dieser Aufgabe kann SAP gerade bei international tätigen Unternehmen für sich argumentieren. Gleichzeitig sind das aus DSAG-Sicht aber auch die Gegenleistungen von SAP für die Wartungsgebühren, die Anwenderunternehmen für in der Vergangenheit gekaufte Lösungen bezahlen müssen.
Zuletzt wurde mit SAP Information Lifecyle Management (SAP ILM) eine Lösung kostenfrei als Teil der Wartung zur Verfügung gestellt, um die Vorgaben der EU-Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) in den SAP-Landschaften umsetzen zu können. Beim Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) weicht SAP nun von dieser Praxis ab. Die Anwenderunternehmen sind nun auf Lösungen wie das Ariba Risk Management angewiesen, das lizenziert und mit entsprechend großem Aufwand eingeführt und gewartet werden muss.
Die Gründe dafür sind vielschichtig und liegen letztlich sicher auch im Thema „modulares ERP“ begründet. Jedoch kann es nicht sein, dass die Kunden nun zukünftig für die Mindestumsetzung gesetzlicher Vorgaben extra bezahlen müssen in Form von weiteren Lösungen, die SAP damit in den Unternehmen platziert. Gesetzliche Anforderungen dürfen nicht genutzt werden, um den Einsatz weiterer SAP-Lösungen zu forcieren. Schließlich bezahlen Anwenderunternehmen weiterhin die volle Wartungsgebühr für ihre Enterprise-Resource-Planning (ERP)-Systeme, wie z. B. S/4HANA. Dementsprechend braucht es klare kommerzielle Konzepte dafür, wie im Rahmen eines modularen ERP-Systems mit gesetzlichen Anforderungen verfahren wird. Zudem sollten bezahlte Wartungsgebühren für ERP-Systeme angerechnet werden, falls Lösungen für gesetzliche Anforderungen nicht im Rahmen der Wartung ausgeliefert werden.“
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