Die KI-gestützte industrielle Bildverarbeitung, auch Computer Vision genannt, kann Unternehmen erhebliche Mehrwerte bieten. Wie Unternehmen davon profitieren und Risiken vermeiden können, erklärt Martin Wunderwald, Portfolio Lead AI & Cognitive Services.
Qualitätskontrolle bei Güterwaggons, Lokalisierung von Warenpaletten, die anhand von QR Codes in Bewegung und vieles mehr: Die KI-gestützte industrielle Bildverarbeitung hat das Potenzial, Unternehmen der unterschiedlichsten Branchen einen erheblichen Mehrwert zu bieten. Glaubt man den Analysten von Statista, wird der weltweite Markt für Computer Vision (CV) im Jahr 2030 ein Volumen von rund 44 Milliarden Euro erreichen.
Computer Vision – was ist das überhaupt?
Bei CV handelt es sich um ein Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz (KI), das es Computern ermöglicht, Bilder und Videos zu analysieren und zu interpretieren. Das Ziel ist es, mittels maschinellem Lernen (ML) digitale Systeme zu schaffen, die in der Lage sind, visuelle Daten (Bilder oder Videos) auf die gleiche Weise zu verarbeiten und zu analysieren wie ein Mensch.
Stellen wir uns vor, wir sehen ein Bild von einem Apfelbaum. Das menschliche Gehirn erkennt sofort, dass es sich um einen Baum handelt, dass Äpfel daran hängen und vielleicht sogar, dass es sich um einen Apfelbaum im Herbst handelt. Das passiert ganz intuitiv, ohne dass wir darüber nachdenken. Computer Vision versucht, KI genau das beizubringen: Bilder zu „sehen“ und zu verstehen. Aber wie funktioniert das?
Die Technologie ahmt die Funktionsweise des menschlichen Gehirns nach, das einzelne Objekte anhand von Mustern entschlüsselt und verwendet dafür Algorithmen, die auf Mustererkennung basieren. Die KI wird dabei mit Millionen gekennzeichneter Bilder von Bäumen gefüttert. Am Ende dieses Prozesses erstellt sie ein Baummodell, das ihr hilft, genau zu erkennen, ob es sich bei einem bestimmten Abbildung um einen Baum handelt.
Chance oder Risiko für Unternehmen
Die KI-gestützte industrielle Bildverarbeitung stellt für Unternehmen eine große Chance dar, bringt aber auch Risiken mit sich. Auf der einen Seite bietet die Technologie enorme Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung und Kostensenkung. Durch Anwendungen wie automatisierte Qualitätskontrollen, intelligente Lagerverwaltung oder personalisierte Kundenerlebnisse können Unternehmen Prozesse optimieren und ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Die Möglichkeit, große Mengen visueller Daten in Echtzeit zu analysieren, führt zu schnelleren und fundierteren Entscheidungen, was insbesondere in dynamischen Marktumgebungen von Vorteil ist.
Andererseits birgt der Einsatz von Computer Vision Risiken. Die zentralen Herausforderungen sind Datenschutz und Datensicherheit, da die Technologie oft große Mengen sensibler Informationen verarbeitet. Unternehmen müssen sicherstellen, dass sie strenge Datenschutzrichtlinien einhalten, um das Vertrauen ihrer Kunden zu bewahren und rechtliche Konsequenzen zu vermeiden. Darüber hinaus erfordert die Implementierung von Computer Vision erhebliche Investitionen in Hardware oder Cloud-Ressourcen, in Software und Know-how, was insbesondere für kleinere Unternehmen eine Hürde darstellen kann. Schließlich besteht das Risiko, dass Fehler in den Algorithmen oder in der Datenverarbeitung zu Fehlentscheidungen führen, was wiederum erhebliche wirtschaftliche Folgen haben kann.
Computer Vision in der Praxis: Mehr Effizienz und ein verbessertes Kundenerlebnis
Das Potenzial für den Einsatz der KI-gestützten industriellen Bildverarbeitung findet sich in nahezu allen Geschäftsbereichen eines Unternehmens. Bereits heute wird die Technologie in zahlreichen Branchen und Bereichen erfolgreich eingesetzt, von der Energie- und Versorgungswirtschaft über den Einzelhandel bis hin zur Fertigungs- und Automobilindustrie. So hat zum Beispiel das Handelsunternehmen Frutania im Rahmen einer Machbarkeitsstudie Computer Vision als optisches Waren-Trackingsystem implementiert. Bei einer Fahrgeschwindigkeit von bis zu 11 Kilometern pro Stunde liest ein KI-Sensor die Etiketten fehlerfrei und ermöglicht so die problemlose Lokalisierung der Obst- und Gemüse-Paletten im Lager. Dies geschieht ohne manuellen Aufwand und ohne Unterbrechung des Wareneingangs- und Warenausgangsprozesses, was eine effiziente und zuverlässige Lagerhaltung gewährleistet.
Darüber hinaus setzen Unternehmen unter anderem in folgenden Anwendungsfällen schon heute auf CV:
Einzelhandel:
- Lagerverwaltung: Automatisches Erkennen und Zählen von Produkten, Verpackungseinheiten und Paletten reduziert menschliche Fehler und optimiert den Nachbestellungsprozess.
- Kundenerlebnis: Mit multimodaler generativer KI sind detaillierte Produktbeschreibungen aus Produktbildern generierbar, wodurch der redaktionelle Aufwand von Online-Shops reduzieren lässt.
Fertigung:
- Qualitätssicherung: Frühzeitiges Erkennen von Fehlern und Mängeln, dadurch Steigerung der Produktqualität und Reduzierung von Ausschuss.
- Prozessoptimierung: Die Analyse von Produktionsprozessen durch die Erhebung visueller Daten hilft bei der Identifikation von Engpässen und der Verbesserung der Effizienz.
Gesundheitswesen:
- Diagnoseunterstützung: Computer Vision kann medizinische Bilder wie Röntgen- und MRT-Aufnahmen analysieren, um Krankheiten frühzeitig zu erkennen und die Diagnosegenauigkeit zu erhöhen.
- Patientenüberwachung: Die Überwachung von Patienten in Echtzeit ermöglicht eine schnellere Reaktion auf Notfälle und eine bessere Betreuung.
Transportwesen:
- Fahrzeugerkennung: Die Erkennung und Analyse von Fahrzeugen im Straßenverkehr kann zur Verbesserung des Verkehrsflusses und zur Reduzierung von Unfällen beitragen.
- Autonomes Fahren: Selbstfahrende Autos nutzen Computer Vision, um ihre Umgebung zu erkennen und sicher zu navigieren.
Acht Tipps zur erfolgreichen Implementierung
Um einen echten Mehrwert nicht nur aus Computer Vision, sondern generell aus KI-basierten Technologien zu ziehen, gilt es, die folgenden Kriterien zu berücksichtigen:
1. Klare Ziele definieren:
Was soll durch den Einsatz von KI erreicht werden? Stehen Kosteneinsparungen, effizientere Prozesse oder ein verbesserter Kundenservice im Vordergrund?
2. Daten gründlich analysieren und digitalen Reifegrad bestimmen:
Crap in, Crap out: Um von der Technologie profitieren zu können, ist es entscheidend, dass die Daten von guter Qualität, relevant und gut organisiert sind.
3. Klein anfangen:
Um die Wirksamkeit von KI zu testen und Probleme frühzeitig zu erkennen, mit einem kleinen, überschaubaren Projekt beginnen (iteratives Prototyping, Proof of Concept).
4. Nachhaltig planen:
Skalierbare KI-Lösungen wählen, die auch an zukünftige Anforderungen angepasst werden können.
5. Ethische und rechtliche Aspekte beachten:
Datenschutz, Arbeitnehmerrechte und andere ethische wie rechtliche Aspekte sind zu beachten, um das Vertrauen von Kunden und Mitarbeitenden zu erhalten und die Akzeptanz der Technologie zu fördern.
6. Mit Expert*innen zusammenarbeiten:
Externe Expertise und Unterstützung von Dienstleistern nutzen, um die komplexe Implementierung von KI zu erleichtern.
7. Monitoring:
Regelmäßige Überprüfungen durchführen, um sicherzustellen, dass die gesetzten Ziele erreicht werden und Anpassungen vorgenommen werden können.
8. KI-freundliche Unternehmenskultur fördern und Mitarbeitende schulen:
Nur mit fundiertem Wissen und einer Kultur, die Veränderungen begrüßt und die Vorteile von KI erkennt, lässt sich die Technologie effektiv nutzen.
Chancen nutzen und Risiken minimieren für nachhaltigen Unternehmenserfolg
Die erfolgreiche Einführung von KI erfordert eine sorgfältige Planung, um Investitionsrisiken zu minimieren und die Umsetzung zu meistern. Eine Studie des Instituts für angewandte Arbeitwissenschaft (ifaa) aus dem Jahr 2022 zeigt zudem, dass 50 Prozent der Befragten menschliche Aufsicht und Kontrolle als wesentliche Vertrauensfaktoren gegenüber KI ansehen. Verlässlichkeit, Manipulationsfreiheit und Datenschutz sind daher entscheidend für die Akzeptanz der Technologie.
Zwar erfordert die Einführung komplexer KI-Technologien wie Computer Vision zeitliche und finanzielle Investitionen, doch zahlt sich dieser Aufwand langfristig aus und wird zu einem zentralen Wettbewerbsfaktor.