Interview

Wie KI in der Krise Wirtschaftsleistung unterstützen kann

Künstliche Intelligenz hat einen großen Einfluss auf die Zeit in der Corona-Krise, aber auch nach der Krise ist sie sehr hilfreich. Prof. Dr. Claudia Bünte ist Expertin auf dem Gebiet der KI und Professorin für „International Business Administration“ mit Schwerpunkt Marketing an der SRH in Berlin.

2016 gründete sie die Marketingberatung „Kaiserscholle – Center of Marketing Excellence“ und berät Top-Manager*innen in Kernfragen der Markenführung und des Marketings.

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Prof. Dr. Bünte, Krisen zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass es nicht weitergeht wie zuvor. Hat die momentane Situation einen Einfluss auf den Einsatz von KI?

Prof. Dr. Claudia Bünte: „Ja, das hat sie. Wir sehen aktuell einen Anstieg der Akzeptanz; ihr Einsatz wird im Westen durch Corona deutlich steigen und von der Gesellschaft weitaus positiver gesehen werden als bisher. In Asien hat KI sowieso kein Akzeptanzproblem.

Die jetzt viel diskutierte Corona-Bewegungsapp für Smartphones in Europa wird aller Voraussicht nach eingeführt werden (müssen) und viele, wenn auch nicht alle, werden sie sich freiwillig herunterladen. Die Datenspendeapp-Ladezahlen des RKI zeigen heute schon, dass Menschen bereit sind, persönliche Daten für einen aus ihrer Sicht guten Zweck zu teilen. Diese Apps arbeiten mit Künstlicher Intelligenz, um aus den Daten Muster zu erkennen, zu lernen und immer bessere Empfehlungen auszusprechen.

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Parallel forschen viele Firmen und wissenschaftliche Institute weltweit an Medikamenten und Impfstoffen gegen das Corona-Virus, und lassen sich von KI unterstützen. Chatbots wirken im Gesundheitswesen und geben für Normalbürger erste Diagnoseüberblicke darüber, ob man erkrankt sein könnte oder nicht, z. B. Symptoma aus Österreich oder ADA aus Deutschland.

Mein Team und ich haben außerdem beobachtet, dass zwei KI-Algorithmen, eine im Westen und eine in China, früher als Experten erkannt haben, dass es in Krankenhäusern in Wuhan zu ungewöhnlich vielen Lungenkrankheiten kam – sie hätten also als Frühindikator genutzt werden können.

Mehr und mehr Menschen kommen also freiwillig mit KI in Kontakt, KI wird helfen, wirksam gegen das Virus vorzugehen und die Bedenken gegen KI als „das generell Böse“ werden dadurch aller Voraussicht nach zurückgehen.“

Wie kann KI helfen, Unternehmen in Zeiten von Corona zu unterstützen?

Prof. Dr. Claudia Bünte: „Das geschieht aktuell in zwei Richtungen: Beim Eindämmen der Ausgaben und beim weiteren Übernehmen von automatisierbaren Prozessen.

Zur Ausgabenreduktion: In Krisenzeiten wird in Firmen vieles knapp, vor allem das Geld. Dadurch steigt der Druck, noch effizienter mit den vorhandenen Ressourcen umzugehen. Ausgabenreduktion ist eine dann typische Reaktion, um kurzfristig genügend Cashflow im Unternehmen zu halten. Wir sehen z.B., dass bestimmte, auch gesunde Unternehmen ihre Produktwerbung bis auf Weiteres eingestellt haben. Google prüft aktuell, wie die Ausgaben für Marketing und Vertrieb reduziert werden können. Und TUI plant 8.000 Mitarbeiter, und damit rund 10 % ihrer Angestellten zu entlassen.

Langfristig suchen Unternehmen aber auch nach Möglichkeiten, kostspielige, notwendige Ausgaben zu reduzieren. Hier kann der Einsatz von KI helfen: Wer bisher noch kein Programatic Adbuying im Marketing hatte, wird jetzt schnell versuchen, den Mediaeinkauf über entsprechende Tools zu optimieren. Wer Mitarbeiter bisher damit beschäftigte, jeden Werbetext für jedes Produkt im eigenen Onlineshop zu texten, wird vielleicht Anbieter ausprobieren, die Texte automatisiert erstellen (z.B. über Retresco).

Wer bisher Werbetexte online mit A/B-Tests auf ihre Wirksamkeit hin überprüft hat, testet jetzt vielleicht lieber gleich mit KI (z.B. über Neuroflash). Oder er beginnt, KI zu nutzen, um die gesamte bisherige Marktforschung zu reanalysieren (z.B. über Marketlogic). Und Customer Care Center, die bisher noch nicht mit Chatbots oder Avataren arbeiten, um einfachere Kundenfragen zu kanalisieren, prüfen jetzt möglicherweise Angebote von aiaibot aus der Schweiz oder Puppeteers aus Deutschland.

Bei der Übernahme automatisierter Prozesse unterstützt KI-Unternehmen generell dort, wo viele Daten erhoben und analysiert werden. Denn das kann eine KI deutlich besser und schneller als Menschen und daher rührt der Vorteil der KI. Das geht entlang der gesamten Wertschöpfungskette eines Unternehmens.

Angefangen von der optimierten Preis- und Kaufzeitpunktanalyse für Rohmaterialien, über die Qualitätssicherung durch optische Inspektion in der Produktion, die dabei hilft, Fehler und Prozesse zu analysieren und zu optimieren bis hin zu KI-gestützter Energieversorgung ganzer Fabriken. KI kann den Ausfall oder das nächste Wartungsintervall der Maschinen vorhersagen, das nennt man „predictive maintanance“. Außerdem übernimmt KI Teile der Produktion, unterstützt die Verkaufsabteilung und die Werbemaßnahmen durch ein besseres Kundenverständnis und bucht automatisch Werbeplätze ein. Eine KI kann auch Kundeninteraktionen via Chatbots oder Avatare unterstützen und die Performance der Marketingausgaben analysieren und optimieren.

Grundsätzlich sollte das Ziel aber immer sein, KI als ein Werkzeug zu betrachten, das hilft, die Leistung des Unternehmens zu verbessern, und nicht, um menschliche Arbeit zu ersetzen.“

Wo stößt KI an ihre Grenzen beim positiven Einfluss auf die Wirtschaft?

Prof. Dr. Claudia Bünte: „Es gibt zwei Grenzen: Daten müssen überhaupt vorhanden sein und es braucht die Erlaubnis, diese Daten zu analysieren. Denn KI braucht massig Daten, um zu lernen und besser zu werden. Ohne Daten geht es nicht. Das ist aktuell auch der Grund, warum es noch keine sinnvollen KI-Tools zur Strategieentwicklung gibt, denn dafür müssten Millionen Unternehmen ihre zukünftige Strategie veröffentlichen – und das tut natürlich kein Unternehmen freiwillig.

Die DSGVO begrenzt in Europa bewusst die Möglichkeit, Daten zu analysieren mit dem Ziel, einen hohen persönlichen Datenschutz zu gewährleisten. Die Corona-Krise und die diskutierte Tracking-App zeigen, dass es eine feine Linie ist zwischen dem persönlichen Recht auf Schutz der eigenen Daten und dem Nutzen für die Gesellschaft, wenn Daten geteilt werden dürfen.“

Viele Menschen fürchten, durch die Automatisierung oder den Einsatz von KI ihren Job zu verlieren. Sind diese Sorgen gerechtfertigt oder werden neue Technologien eher unterstützend eingesetzt werden?

Prof. Dr. Claudia Bünte: „Beides ist richtig. Verschiedene globale Studien gehen davon aus, dass in Summe über alle Industriezweige hinweg die Arbeit für Menschen INSGESAMT kaum weniger wird, sich aber umschichten wird. Wir haben an der SRH in Berlin hierzu Studien durchgeführt, die folgende Annahmen unterstützen:

Für die meisten Unternehmen wird sich KI eher so entwickeln, dass „nur“ Teilaufgaben wegfallen, beispielsweise das Bildersuchen bei Grafiker*innen. Dabei sind auch Aufgaben, zu denen man nicht wirklich Lust hat. 72 % der Befragten unserer Studie unter Marketingmanager*innen sagen beispielsweise, dass die KI ihnen helfen wird, „lästige Routineaufgaben“ abzugeben. Das klingt doch gut. Dasselbe sehen wir bei unserer neuen, europäischen Studie im Großhandel. Auch hier freuen sich die befragten Manager*innen, dass lästige Routinen wegfallen – nur 29,1 % der Befragten glauben, dass KI in Summe Arbeitsplätze kostet

Und wie immer, wenn es neue Technologien gibt, entstehen auch neue Aufgaben für Menschen. Wir beobachten das heute schon in China, wo KI unter anderem im Retail und im Marketing breit eingesetzt wird. Das Ergebnis ist, dass Konsument*innen anspruchsvoller werden und immer bessere und individuellere Angebote der Marken erwarten.

Wer da nicht mithält, verliert Kund*innen. Für die Firmen heißt das, immer schneller passende Produkte und Services zu entwickeln, zu produzieren und zu liefern. Für die Marketingabteilung bedeutet das, immer mehr und immer schneller relevanten Content zu generieren, um die Marke interessant und aktuell zu halten. Also auf der einen Seite eine Ersparnis von Routinearbeiten durch KI, auf der anderen Seite mehr neue Aufgaben durch anspruchsvollere Konsument*innen.“

Welche Maßnahmen und welche Menschen bzw. Fähigkeiten sind nötig, um mittels KI verschiedene Wirtschaftszweige wieder in die Spur zu bekommen?

Prof. DrClaudia Bünte: „Corona wird allen Vorhersagen nach die Wirtschaft in eine Rezession ziehen, die einige Monate bis Jahre andauern wird. Und wir haben auch schon ohne Corona in Europa ein paar Herausforderungen für die Wirtschaft in den nächsten 10 – 20 Jahren, allen voran der „War of Talents“ durch eine zunehmende Überalterung der Gesellschaft sowie die Digitalisierung der Wirtschaft. Viele Unternehmen, aber nicht alle (Stichwort Online-Handel), werden jetzt gezwungenermaßen aktiv werden müssen: Aus neuem, finanziellem Mangel durch Corona oder der Not heraus, für gute Mitarbeiter*innen attraktiv zu werden. Und das auch noch in einem Umfeld, in dem Konsument*innen nicht unbedingt mehr konsumieren wollen als vor der Krise.

Ich plädiere dafür, die Digitalisierung nicht als eine weitere Aufgabe für Unternehmen zu sehen, die gelöst werden muss, sondern in ihr eine mögliche Lösung zu suchen.

Wir haben die Wahl. Es geht um unsere Haltung: Wir können uns in Europa die Digitalisierung ansehen und feststellen, dass das Glas halbvoll oder halb leer ist. Wenn unsere Haltung ist, wir würden alle arbeitslos, ist das Glas halbleer und wird vermutlich auch völlig leer werden. Dann werden uns andere Regionen, allen voran China zeigen, wie man in einer digitalen Welt wirtschaftet und Kunden gewinnt. Oder wir entscheiden uns dafür, uns das Wasserglas mit Interesse anzusehen und festzustellen, dass wir zwar viele Dinge anpassen müssen in der Art, wie wir arbeiten, aber dass auch Potential in einem halbvollen Wasserglas ist. Dabei kann durchaus ein volles Wasserglas mit neuen, vielleicht sogar interessanteren Aufgaben statt lästigen Routinen entstehen.

Für Letzteres braucht es mehrere Elemente den unternehmerischen Mut, unbekannte Tools auszuprobieren – also weg von „das haben wir noch nie gemacht“. Den Willen, mit Partnern und Mitarbeitenden zu arbeiten, die aus dem Bereich der Data Science kommen. Und ein Projektmanagement, das nachverfolgt, wie die einzelnen Meilensteine erreicht werden. Eine weltweite Studie von McKinsey zu KI kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass viele Unternehmen KI für wichtig halten, aber die meisten in der Pilotierungsphase stecken bleiben. Daher scheint es wichtig, KI wie jedes neue Werkzeug auszuprobieren UND den Erfolg eng zu managen.“ 

Vielen Dank für das Gespräch!

Claudia

Bünte

Gründerin & CEO

Kaiserscholle GmbH

Claudia Bünte ist Professorin für „International Business Administration“ mitSchwerpunkt Marketing an der SRH Berlin University of Applied Science. Hier forschtsie zu Künstlicher Intelligenz im Marketing. Zuvor war sie in leitenden internationalenPositionen im Marketing u.a. bei Coca-Cola, Beiersdorf, McKinsey und Volkswagentätig.2016 gründete sie die Marketingberatung „Kaiserscholle – Center of MarketingExcellence“
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