Es rattert und zischt, als sich ein metallischer Greifarm nach oben bewegt und vier Gummibecher an den Zitzen einer Kuh andocken. Dann beginnt hörbar das Pumpen. Das Besondere dabei: Kein Mensch melkt die Kuh, sondern ein Roboter in einer Stahlbox, in die das Tier freiwillig gegangen ist. Der Vierbeiner heißt Melissa, wie auf einem Display zu lesen ist. Sie lässt es geruhsam über sich ergehen und frisst dabei Kraftfutter. «Das ist wie eine Süßigkeit zur Belohnung», sagt Landwirt Henning Lefert in seinem Kuhstall im westfälischen Ahaus. Der Hof ist ein Beispiel für den Trend hin zu Melkautomaten in Deutschlands Kuhställen.
Nach Angaben des Deutschen Bauernverbands hat sich der Anteil der Betriebe, die auf automatische Melksysteme setzen und nicht mehr auf händisches Melken, in den vergangenen Jahren laufend erhöht. Laut einer Umfrage, an der gut ein Viertel der deutschen Milcherzeuger teilnahmen, arbeiten inzwischen 17 Prozent der Befragten mit Melkrobotern. «Es ist davon auszugehen, dass der Anteil automatischer Melksysteme in Milchviehbetrieben weiter steigen wird», sagt der stellvertretende Generalsekretär des Verbandes, Udo Hemmerling.
Nachfrage nach Robotern legt zu
Für Roboteranbieter ist das ein lohnendes Geschäft. Zu ihnen gehören die Düsseldorfer Firma Gea, Lely (Niederlande), Fullwood (Großbritannien) und DeLaval (Schweden). Der Anlagenbauer-Verband VDMA teilt mit, dass die Zahl der im Jahr 2022 in Deutschland verkauften automatischen Melksysteme im Vergleich zum Vorjahr um mehr als die Hälfte gestiegen sei. Eine absolute Zahl nennt der VDMA nicht.
Was sind die Gründe für den Trend? «Ich hatte die Wahl zwischen Wachsen oder Weichen – also größer werden oder aufgeben», sagt Landwirt Lefert auf die Frage, warum er 2018 auf die Automatik umstieg. Mit seinem Vater betrieb der heute 32-Jährige damals den Hof mit 40 Kühen. «Wir haben morgens um fünf und abends um fünf gemolken – jeden Tag.» Das aber ging nicht ewig so weiter, auch weil sein Vater im Seniorenalter allmählich etwas kürzer treten wollte.
Daher entschloss sich der Junior zum Kauf von zwei Robotern und nahm einen Kredit auf. Den Viehbestand verdreifachte er auf 120. Das ist typisch: Steigen Milchviehbetriebe auf Roboter um, vergrößern sie ihren Viehbestand – sie brauchen mehr Umsatz, damit sich die teure Technik lohnt. Bei kleinen Betrieben rechnen sich Melkroboter hingegen nicht. 100 Kühe gilt als Mindestgröße.
Erleichterung beim Knochenjob
Peter Lauwers vom Anlagenbauer Gea sieht im Fachkräftemangel eine treibende Kraft für die Automatisierung. Für die Landwirte werde es schwieriger, Personal zu finden. Also müssten sie den Knochenjob weitgehend selbst machen. «Die Digitalisierung hilft den Betrieben, die körperliche Belastung zu verringern und im Wettbewerb besser mitzuhalten», sagt der Manager. Gea verkauft auch konventionelle Technik. Allerdings sind 90 Prozent der von ihr in Deutschland verkauften Melkstände automatisierte Versionen.
Die höhere Produktivität und der verminderte Arbeitsdruck lassen sich am Betrieb von Landwirt Lefert erkennen. «Früher haben mein Vater und ich hier Vollzeit gearbeitet», sagt er. «Heute haben wir dreimal so viele Kühe, und ich mache das weitgehend alleine. Mein Vater hilft nur gelegentlich mal aus.» Für ihn habe sich die Arbeit verändert – es gehe mehr um Technik und Datenanalyse und weniger um praktische Arbeit an Kühen.
Gut sei, dass er nicht mehr so früh aufstehen müsse wie früher. «Nach dem Stammtisch oder Schützenfest kann ich sogar bis sechs schlafen.» Sein Vater sei neulich erstmals seit Jahrzehnten wieder im Urlaub gewesen – auf einer viertägigen Fahrradtour. «Die Roboter ermöglichen den Landwirten mehr Lebenskomfort», sagt Andreas Beck von der Firma DeLaval.
Die Kühe können sich im Ahauser Kuhstall auf einer Fläche von etwa 30 mal 40 Metern frei bewegen. Viel Platz ist das nicht – in einem Betrieb, der nicht auf Bio setzt, aber üblich. Auf eine direkt daneben liegende Wiese lässt Lefert die Kühe nicht, obwohl sie zu seinem Hof gehört. Das dauere zu lang, und durch das Grasfressen vermindere sich die Milchleistung der Kühe. «Ich kann mir das nicht leisten, die Kühe auf die Weide zu lassen – den Kredit bei der Bank muss ich schließlich noch abbezahlen.» Grob gesagt 150 000 Euro kostet ein Roboter, der für das Melken von 60 Kühen ausreicht. Für einen Betrieb, der auf ein Produkt mit stark schwankenden Preisen setzt, ist das ein Risiko. Andere Bauern scheuen diesen Schritt.
Zehn Prozent mehr Milch
Ein Argument für die Technik ist das Tierwohl. Es sei für Kühe angenehmer, freiwillig irgendwann in die Melkbox zu gehen anstatt zu festen Zeiten hin zu müssen, um von einem Menschen gemolken zu werden, sagt Lauwers. Tatsächlich ist es in dem Kuhstall ruhig. Nur selten brüllt ein Tier. «Die Kühe sind entspannt.»
Dreimal täglich begibt sich eine Kuh zu einer Roboterbox. Dadurch bringe sie im Vergleich zu einer ähnlichen Kuh in einem Betrieb mit händischem Melken etwa zehn Prozent mehr Milch, sagt Gea-Manager Lauwers. Landwirt Lefert bestätigt die höhere Leistung.
Bei den Melkrobotern geht es auch um Datenanalyse. Krankheiten werden durch Sensoren früh erkannt. Der Mastitis – Entzündungen der Zitzen – kann dadurch rechtzeitig vorgebeugt werden. DeLaval-Manager Beck berichtet davon, wie die Zitzen und die abgepumpte Milch mit Sensoren analysiert werden. «Die Anzahl von Zellen wird automatisch gezählt, um bei kleinsten Abweichungen von der Norm Alarm zu schlagen.» Werde dann früh gehandelt, müsse der Tierarzt seltener kommen. Der Antibiotika-Einsatz vermindere sich durch die Technik deutlich. Bei den Gea-Robotern ist es ähnlich.
Kuh Melissa ist inzwischen fertig. Sieben Minuten hat das Melken gedauert. Die Türen der drei Meter langen Melkbox öffnen sich. Melissa geht nach vorne raus. Angie drängt sich von hinten rein. Es rattert, es zischt, ein Absauggeräusch ertönt. Die schwarz-weiß gescheckte Kuh blickt entspannt um sich und frisst ihr Kraftfutter.
dpa