Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich im Rechtsstreit des Bundeskartellamts mit Amazon an die Seite der Wettbewerbshüter gestellt. Damit wird der Weg für die Bonner Behörde frei, den Online-Riesen künftig härter in die Mangel zu nehmen und im nächsten Schritt möglicherweise auch bestimmte Geschäftspraktiken zu verbieten.
Das Bundeskartellamt hatte Amazon 2022 auf der Grundlage einer neuen Regelung zu einem Unternehmen mit «überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb» erklärt und damit unter verschärfte Beobachtung gestellt. (Az. KVB 56/22)
Die Einstufung als Unternehmen mit «überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb» war der erste Schritt in einem zweistufigen Verfahren. In einem zweiten Schritt könnten dem Konzern bestimmte Praktiken verboten werden. So könnte es dem Online-Riesen etwa untersagt werden, eigene Angebote bei der Darstellung zu bevorzugen. Amazon hatte gegen die Einstufung Beschwerde eingelegt, konnte sich aber vor dem BGH nicht durchsetzen.
Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, begrüßte die BGH-Entscheidung: «Sie gibt uns Rückenwind für unsere laufenden Verfahren gegen Amazon, mit denen wir sicherstellen wollen, dass Händlerinnen und Händler auf dem Amazon Marktplatz fair behandelt werden.» Das Urteil stärke auch die Position in laufenden Verfahren gegen weitere Internetkonzerne wie Alphabet (Google), Apple, Meta (Facebook) und Microsoft sowie mögliche neue Verfahren. Ein Amazon-Sprecher erklärte, Amazon stimme der Entscheidung des Gerichts nicht zu und werde weitere Rechtsmittel prüfen. Der Einzelhandelsmarkt, online wie offline, sei sehr groß und ausgesprochen wettbewerbsintensiv.
Der BGH verwies am Dienstag in einer Erläuterung zu seinem Urteil darauf, dass Amazon nicht nur weltweit im Bereich des E-Commerce und als stationärer Einzelhändler sei, sondern mit Amazon Web Services (AWS) auch cloudbasierte IT-Dienstleistungen anbiete. Außerdem hob der BGH wirtschaftliche Kennzahlen wie die Marktkapitalisierung in Milliardenhöhe hervor.
Das Bundeskartellamt habe nach den Bestimmungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu Recht festgestellt, dass Amazon in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten tätig sei und dem Konzern eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukomme.
Im Detail verwies der BGH unter anderem darauf, dass Amazon als Hersteller und Einzelhändler physische und digitale Waren an Endkunden vertreibe. «Gleichzeitig betreibt Amazon die Handelsplattformen als Online-Marktplätze und ermöglicht es dritten Online-Händlern gegen Provisionszahlung, ihre Waren Endkunden anzubieten. Amazon hat eine eigene Logistikinfrastruktur und vermittelt – auch in Deutschland – Versandaufträge zwischen dritten Online-Händlern und Versanddienstleistern.»
Das Bundeskartellamt habe zutreffend festgestellt, dass Amazon über eine überragende Finanzkraft verfüge und gleichzeitig einen überragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten wie etwa Kunden- und Nutzerdaten, Daten aus dem Betrieb der Handelsplattformen und Werbeplattformen und damit verbundenen Diensten sowie aus dem Betrieb von AWS habe. «Amazon hat als Betreiber von zahlreichen nationalen Online-Marktplätzen weltweit und in Deutschland eine Schlüsselposition für den Zugang von Einzelhändlern zu ihren Absatzmärkten und kann erheblichen Einfluss auf die Vertriebstätigkeit von Dritthändlern ausüben.»
dpa