Die Corona-Pandemie hat das Angebot an Video-Sprechstunden bei Ärzten vorangebracht. Die Öffnung dieses Angebots für alle bedeutet aber nicht, dass die Video-Sprechstunden über Plattformen wie Zoom oder WhatsApp-Video erfolgen dürfen. Hierfür sind bestimmte Plattformen zulässig, die die Kassenärztliche Bundesvereinigung zertifiziert hat.
Zu den rund 30 Anbietern zählt TeleClinic. Während der Pandemie sei die Nachfrage gestiegen, sagt Geschäftsführerin Jünger. TeleClinic habe ein Wachstum von rund 350 Prozent zwischen Jahresbeginn und Ende September verzeichnet. Absolute Zahlen nannte das Unternehmen nicht.
Denn ein persönlicher Arztbesuch ist nicht immer möglich, etwa wenn man allein mit mehreren Kindern zu Hause ist. Und viele Menschen haben derzeit Angst, sich im Wartezimmer anzustecken. Deshalb sind vor allem im Frühjahr Online-Sprechstunden intensiv genutzt worden. Die Kassenärztliche Vereinigung und die gesetzlichen Krankenkassen hatten die Begrenzung bei der Abrechnung von Video-Sprechstunden aufgehoben.
Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) gab es zwischen April und Juni 2020 landesweit 87 531 Online-Sprechstunden. Von Juli bis einschließlich September waren es nur noch 36 444 Video-Sprechstunden – davon 9126 bei Hausärzten. KVN-Sprecher Detlef Haffke vermutet, dass die Pandemie im ersten Lockdown präsenter war. Im Sommer sei das Virus in den Hintergrund gerückt, so dass Menschen wohl weniger Angst hatten, in die Arztpraxen zu gehen. Wie das Angebot in den letzten drei Monaten des Jahres angenommen wurde, wird sich erst nach Abrechnung des Quartals zeigen.
Besonders beliebt sind die Sprechstunden bei Psychotherapeuten; Verpflichtend ist es allerdings für keinen Arzt, eine solche Sprechstunde anzubieten. Ohnehin ist dies erst seit Oktober 2019 möglich, zunächst als Pilotprojekt mit wenigen Sprechstunden. Bestimmte Ärztegruppen wie Labormediziner, Nuklearmediziner oder Radiologen können keine Video-Sprechstunden zur Verfügung stellen.
Plattformen wie das Münchner Unternehmen TeleClinic bringen Arzt und Patient in einer App per Video zusammen. Zuvor kann der Patient rund um die Uhr einen Termin über die App vereinbaren. Dabei entscheidet der Arzt, wann er seine Leistung anbietet. «Das erleichtert zum Beispiel die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das ist ein wichtiger Aspekt für die Attraktivität des Arztberufes, bedenkt man, dass über 5000 Hausarzt-Stellen 2019 unbesetzt blieben», sagt eine TeleClinic-Sprecherin.
Zu den häufigsten Behandlungsanfragen zählen laut TeleClinic-Geschäftsführerin Katharina Jünger «Verhütung, Durchfall, grippaler Infekt, Hautausschlag sowie alle gesundheitlichen Sorgen und Themen rund ums Kind». Auch Blasenentzündung, Husten, Bluthochdruck und erektile Dysfunktion seien häufige Themen. Derzeit gehe es in etwa sieben Prozent der Fälle um einen Corona-Verdacht.
Der Vorsitzende des niedersächsischen Hausärzteverbandes, Matthias Berndt, sagt, er könne sich besonders bei Fällen wie Erektionsstörungen vorstellen, dass Männer lieber online behandelt werden wollen – von einem Arzt, den sie nicht persönlich kennen. Dies sei diskreter. Berndt findet aber nicht, dass Video-Sprechstunden für Patienten einen Mehrwert bieten. Bestimmte Untersuchungen könnten gar nicht geleistet werden, betont der Hausarzt aus Hannover. Etwa wenn es darum gehe, abwendbare gefährliche Verläufe zu erkennen, wie bei Bauchschmerzen, bei denen es sich um eine Blinddarm-Entzündung handeln könnte.
Um regelmäßig genutzte Rezepte zu verschreiben, könne man auch eine Rezept-Hotline einrichten, meint Berndt. So mache er es in seiner Praxis. «Dieser Service wird auch oft genutzt. Täglich haben wir 20 bis 25 Patienten, die diese Hotline in Anspruch nehmen.» Video-Konferenzen könnte man aber nutzen, um bei einer Behandlung kompetente Kollegen aus unterschiedlichen Orten als Experten zurate zu ziehen, schlägt der Verbandschef vor.
Berndt findet es wichtig, dass der Patient eine Vertrauensperson trifft. So könnten medizinische Fachangestellte Hausbesuche machen und per Video den Arzt dazu schalten. Ein solches Modell gibt es bereits – Hintergrund ist der Ärztemangel vor allem in ländlichen Regionen. Die Video-Sprechstunden können dieses Versorgungsproblem nicht lösen, ist Berndt überzeugt: «Einer multimorbiden, dementen 80-Jährigen kann ich kein Smartphone in die Hand drücken.»
Die Möglichkeit einer Video-Sprechstunde ist auch eine Kostenfrage. Vor Corona waren solche Angebote meist kostenpflichtig. Das hat sich jetzt geändert: «Sie kann als kassenärztliche Regelleistung nun auch als ausschließliche Fernbehandlung auch unbekannter Patienten erbracht werden», sagt der Leiter der Techniker Krankenkasse-Landesvertretung, Dirk Engelmann. Aber auch für Ärzte können Video-Sprechstunden von Interesse sein, denn sie bekommen mehr Geld. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung gibt als Anschubfinanzierung eine Förderung von zehn Euro pro Sprechstunde.
dpa