Vernetztes Fahren: Welche Gefahren birgt der Datenhunger?

Autonomes Fahren

Die Volksrepublik China hat mit einer drastischen Maßnahme von sich reden gemacht: Beijing verbietet Tesla-Besitzern das Fahren in der Nähe der traditionellen Sommerresidenz von Regierungsmitgliedern. Die chinesische Regierung scheint Tesla als nationales Sicherheitsrisiko einzustufen. Die Entwicklung wirft auch Fragen in puncto Datenrechte und Cybersecurity rund ums autonome Fahren auf. 

Herr Fintl, wie lässt sich die Verbannung Teslas einordnen sind die Maßnahmen Chinas in Ihren Augen nachvollziehbar? 

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Peter Fintl: Die Maßnahmen Beijings gegen Tesla fügen sich in gewisser Weise in die allgemeine Wirtschaftspolitik in China ein. Beim Thema Cybersicherheit ist man dort extrem empfindlich, Foto- und Filmaufnahmen sind seit jeher ein Streitfall. Lösungen rund um das autonome Fahren sind angewiesen auf eine gute Datenqualität: Genau hier tritt China auf die Bremse. Es ist nicht gestattet, diese Daten außerhalb des Landes zu verarbeiten. Diese Handhabung hatte man zuletzt noch einmal verschärft. Bei Tesla ist natürlich bekannt, dass Daten erfasst und gesammelt werden, die Systeme vertrauen auf Videoauswertung. Hiermit wird die KI gefüttert und trainiert. Dazu kommen aber noch Komfortfunktionen, welche der Kunde aktivieren kann. Etwa die Umfeld-Überwachung „Sentry-Mode“, welche verdächtiges Verhalten rund um das geparkte Fahrzeug wahrnimmt und aufzeichnet. China nimmt die Gefahr des Abflusses von sensiblen Daten grundsätzlich sehr ernst. Schlupflöcher durch intelligente vernetzte Systeme will die Führung nicht hinnehmen. Mit den Vorbehalten gegen die Kameraerfassung von Tesla ist China allerdings nicht allein. Bedenken gab es unlängst auch in Berlin. Das trifft potentiell natürlich auch andere Marken, die ähnliche Funktionen bieten. 

Werden Datenhunger und die Fülle an Informationen, welche vernetzte Fahrzeuge sammeln, zukünftig zum geopolitischen Streitpunkt?

Peter Fintl: Das sind sie bereits. Gerade am Beispiel China wird dies sehr deutlich. Die rigorose Abschottung zielt auch darauf ab, dass die Partei nicht nur sensible Informationen schützen möchte, sondern auch eigene Player fördern und unterstützen möchte. China hat sich durch kluge Industriepolitik bei der Batteriefertigung eine Spitzenposition erarbeitet, auch die „autonome Revolution“ der Mobilität will man mitbestimmen. Vernetzte Fahrzeuge per se bergen Streitpunkte. Kompetenzen und Regeln zwischen Staaten, zwischen Wettbewerbern und auch die Datenhoheit müssen definiert und ausgestaltet werden. Die Belange der Nutzer dürfen nicht „unter die Räder kommen“. Hier besteht sicherlich noch Zündstoff. Datennutzungs- und Persönlichkeitsrechte von Autofahrern sind je nach Standort extrem unterschiedlich definiert. Die Verteilungskämpfe zwischen den Wettbewerbern aus der Industrie sind ebenfalls noch nicht entschieden. 

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Werden westliche Player rund um autonome Fahrzeuge in China überhaupt eine Rolle spielen können? 

Peter Fintl: Die Hürden sind jedenfalls sehr hoch. China will hier technologisch führend werden und betreibt eine Industriepolitik, welche diese Ziele nach Kräften unterstützt. In den letzten Jahren und Monaten hat man gesehen, dass Chinas Player eifrig untereinander Allianzen schmieden. Heimische Techgiganten etablieren Kooperationen mit den großen OEM. Ausländische Player stehen vor großen Herausforderungen, hier unabhängig Entwicklungen voranzutreiben. Das Beispiel Tesla zeigt zudem, das unvorhergesehene regulatorische Rückschläge nie ausgeschlossen sind. 

Datenschutz ist auch in Europa ein Streitthema. Moderne Automobile gelten als Smartphones auf Rädern. Sind die regulatorischen Regeln hier bereits ausreichend? 

Peter Fintl: Grundsätzlich hat Europa hier bereits einen sehr komplexen und brauchbaren Rahmen rund um den Datenschutz geschaffen. Den meisten Kunden ist gar nicht bewusst, welche Daten ein modernes Fahrzeug heute schon erfasst, sammelt und auswertet. Der gläserne Fahrer ist heute schon in gewissem Maße Realität. Nutzungsdaten, Vorlieben, Umgebungsdaten etc. kennen die Hersteller. Mit diesem Datenschatz lassen sich nicht nur viele Komfortfunktionen realisieren. Möglich werden zum Beispiel auch Ferndiagnosen und prädiktive Wartung bei modernen Fahrzeugen. Wünsche des Fahrers lassen sich vorausschauend umsetzen. 

Wir stehen allerdings als Industriestandort vor den Herausforderungen, berechtigte Interessen abzuwägen: zwischen den Bedürfnissen und Persönlichkeitsrechten Einzelner gegenüber dem gesellschaftlichen und technischen Fortschritt. Das große Stichwort lautet „Schwarmdaten“ – die Fülle der Datenpunkte wird für neue Lösungen genutzt, die Rechte des Einzelnen jedoch respektiert. Beim Thema automatisiertes Fahren sind wir aber nicht nur mit datenschutzrechtlichen Herausforderungen konfrontiert, sondern vielmehr mit dem Bedarf nach klaren Vorgaben in puncto Haftung.  

Cybersicherheit ist auch ein vieldiskutiertes Thema. Wie sehen Sie diesen Aspekt? Welche Herausforderungen bestehen für Softwareanbieter und OEM?

Peter Fintl: Cybersicherheit ist längst ein wesentliches Element für den Erfolg vernetzter Fahrzeuge. Autos werden immer komplexer und sind verstärkt im digitalen Ökosystem des Nutzers eingebunden. Von der Fernsteuerung des Fahrzeugs via App, über die Streamingangebote im Infotainment bis hin zu Over-the-Air-Updates: Die Vernetzung ist umfangreich. Das birgt natürlich auch eine Vielzahl von neuen Angriffsvektoren. Gefahren müssen hier holistisch betrachtet werden. Risiken lauern nicht ausschließlich im Download neuer Updates. Beim automatisierten Fahren ist etwa auch die Manipulation der Umgebung ein oft unterschätzter Vektor. Mit etwas schwarzer Farbe wird aus dem 30er-Zonenschild schnell eine 80. Ob ein automatisiertes Fahrzeug hier einfach beschleunigt? Das muss natürlich erkannt und verhindert werden! 

Der Gesetzgeber hat hier entsprechende Maßnahmen ergriffen. Die für die Zulassung von Fahreugen bestimmenden UNECE-Standards setzen hier an: Fahrzeughersteller müssen hier etwa sicherstellen, dass leistungsfähige Cybersicherheitsprozesse in Kraft sind und über den Lebenszyklus des Fahrzeuges sichergestellt werden kann, dass kritische Softwarefehler behoben werden und die Integrität der Software somit sichergestellt ist.

Peter Fintl Capgemini

Peter

Fintl

Leiter Technologie und Innovation

Capgemini Engineering

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