Die flächendeckende digitale Transformation deutscher Unternehmen offenbart den Fachkräftemangel der Digitalbranche. Mit steigender Geschwindigkeit der Digitalisierung, befeuert von Social Distancing und Homeoffice-Pflicht, sind digitale Arbeitsprozesse und Expert*innen für deren Umsetzung gefragt.
Projektmanager*innen, Marketingexpert*innen, Grafikdesigner*innen oder Software Entwickler*innen werden händeringend gesucht – hochqualifizierte Freelancer im Recruiting Prozess jedoch aus verschiedenen Gründen häufig übersehen; die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage von Fachkräften wird größer. Dabei verfügt die wachsende Freelancing-Branche Deutschlands über hohe Erfahrung und Expertise in Digitalberufen – und könnte zur Lösung des zunehmenden “Skill Gaps” in Unternehmen aller Größen und Industrien beitragen. Das sind die Ergebnisse der Freelancing in Europe 2022 Studie, die von der Strategieberatung Boston Consulting Group (BCG) in Zusammenarbeit mit Malt, einem digitalen One-Stop-Shop für Unternehmen auf der Suche nach freiberuflichen Expert*innen, durchgeführt wurden. Dafür wurden 3300 Solo-Selbstständige von Juli bis September 2021 zu ihren Arbeitsgewohnheiten befragt.
Deutschland, deine Freelancer
Freelancing ist beliebt, denn es fördert die Eigenständigkeit, Flexibilität und Wertschätzung. Bereits ein Viertel der europaweit 13 Millionen Digitalexpert*innen arbeiten als Freelancer*.
Fachkräfte aus diversen Berufsfeldern erkennen vermehrt die Vorteile der Solo Selbständigkeit. Der Freelancer Marktplatz-Malt weist für das Jahr 2021 einen Zuwachs von 27 Prozent in digitalen Jobkategorien wie UX-Designer, Webdesigner, Social Media Manager oder Entwickler auf. Noch größer ist das Wachstum in “traditionelleren” Jobprofilen wie Business Development, Sales oder Operations, wo Malt im Jahr 2021 63 Prozent Zuwachs beobachtete. Für 95 Prozent war der Schritt eine intrinsisch-motivierte Entscheidung, knapp neun aus zehn sind glücklich mit ihrer Karriere.
Europaweit können die deutschen Freelancer mit 10 Jahren auf die größte Arbeitserfahrung im Angestelltenverhältnis zurückgreifen (Frankreich und Spanien jeweils 9 Jahre), knapp einen halben Arbeitstag pro Woche widmen sie sich zudem der Weiterbildung. Die deutschen Freelancer sind europaweit außerdem die glücklichsten (87 Prozent), Drei Viertel wollen deshalb langfristig in der Soloselbständigkeit tätig bleiben. Auch die Aussicht auf finanzielle Erfolge ist gut. Die befragten deutschen Freelancer freuen sich über durchschnittlich 790 Euro Tagessatz über alle Branchen hinweg – und damit dreimal so viel wie ihre spanischen und eineinhalbmal so viel wie ihre französischen Pendants.
Anders als in Spanien und Frankreich, wo 77 und 69 Prozent der Freelancer hauptsächlich mit kleinen Unternehmen zusammenarbeiten, ist der Arbeitsmarkt für deutsche Freelancer ausgeglichener: Im vergangenen Jahr arbeiteten 43 Prozent überwiegend mit kleinen Unternehmen, 37 Prozent mit Mittelständlern und 20 Prozent mit Großunternehmen zusammen
.
Der Einsatz von Solo-Selbstständigen in Konzernen kommt ins Rollen, durch die steigende Anzahl der digitalen Freelancer haben die Entscheider*innen schnell und einfach Zugriff auf die benötigten Expert*innen. Die Gründe sich für Freelancer zu entscheiden, liegen auf der Hand:
- Im Durchschnitt zehn Jahre Arbeitserfahrung; 79 Prozent haben mindestens einen Bachelor-Abschluss
- Die Hälfte aller Freelancer und knapp vier aus fünf der IT-Fachleute (78 Prozent) sind sehr vertraut mit agilen Arbeitsmethoden – und damit mehr als in jedem anderen Land ● Auf dem neuesten Stand: durchschnittlich vier Wochenstunden bringen die deutschen Freelancer für die Weiterbildung auf
- Chance der Zusammenarbeit von Unternehmen und Freelancern
- Die schnelle Verfügbarkeit gepaart mit hohen Digitalkenntnissen und der Affinität für hybride Arbeitsmodelle und agile Methoden stellt eine Chance dar, den kulturellen Wandel der Arbeitswelt in Unternehmen gemeinsam mit Freelancern anzuregen und die digitale Transformation auf die nächste Entwicklungsstufe zu heben.
- Was Unternehmen und Politik im nächsten Schritt angehen sollten, um das volle Potenzial der Freelancing-Branche Deutschlands auszuschöpfen:
- Scheinselbständigkeit: Die deutsche Gesetzgebung muss das Problem der Scheinselbständigkeit, also der Selbständigkeit ohne wirkliche Unabhängigkeit, adressieren. 77 Prozent der Freelancer sind unzufrieden mit den rechtlichen Rahmenbedingungen.
- Unternehmenskultur: Unternehmen aller Größen arbeiten bereits erfolgreich mit Freelancern zusammen. Entscheider*innen regen durch die Implementierung von Freelancern den Kulturwandel aktiv an. Im Freelancing-Bereich liegt Potenzial für Unternehmen jeder Größe, um die eigene digitale Transformation anzukurbeln.
- Digitale Tools: Um den Prozess von Hiring über Onboarding bis zur Bezahlung transparent und sicher abzuwickeln, müssen Unternehmen und Solo-Selbständige digitale Plattformen nutzen – zum Vorteil beider Parteien.
„Deutschland hat das Image eines schwerfälligen Riesen. Gleichzeitig hat die Corona Pandemie die Lücken in der Digitalisierung schonungslos offenbart. Um den Digitalisierungsbedarf in kritischen Bereichen wie Verwaltung, Infrastruktur und Gesundheitswesen aufzuarbeiten, braucht es die Fachkräfte mit der notwendigen Expertise”, kommentiert Dirk Henke, General Manager DACH bei Malt. „Freelancer sind für diese Aufgabe prädestiniert und könnten für die Digitalisierung einen riesigen Schub bedeuten. Dafür müssen jedoch die rechtlichen Rahmenbedingungen für Solo-Selbstständige angegangen werden, besonders im Punkt der Scheinselbstständigkeit.”
“In Zeiten des Fachkräftemangels, in der Unternehmen versuchen, ihre digitale und analytische Transformation zu beschleunigen, greifen viele auf Freelancer zurück, um die richtigen Fähigkeiten zur richtigen Zeit zu finden. Häufig handelt es sich dabei noch um einen Ad-hoc-Rückgriff, um auf die Dringlichkeit einer Projektfrist zu reagieren“, sagt Vinciane Beauchene, Partnerin bei BCG in Paris und Co-Autorin der Studie „Um das volle Potential dieses Ökosystems zu nutzen, müssen Unternehmen ihren Ansatz strukturieren, indem sie ihren Mehrwert anpassen, ein genaueres und dynamischeres Verständnis ihres internen Talentpools entwickeln und die angewendeten Arbeitsmethoden überprüfen. Die Pandemie hat eine Reihe von Grundsätzen rund um Arbeit aufgebrochen und das Entstehen neuer Vorstellungen und Denkweisen (Flexibilität, Sinnsuche) ermöglicht. Damit wurde einer wachsenden Zahl von vielseitig spezialisierten Expert:innen neue Möglichkeiten eröffnet. Als erfahrene, agile und erfüllte Solo-Selbstständige bieten sie eine interessante Perspektive für die Zukunft der Arbeit, die Unternehmen proaktiv verfolgen sollten.”
*Malt’s Schätzung auf Basis von Eurostats-Daten.
www.bcg.de