Von der Content-Erstellung bis zu Analytics – Künstliche Intelligenz ist vielfältig einsetzbar. Im Interview spricht Andreas Richter, Chief Marketing Officer bei Logicalis, über die Rolle von KI im B2B-Marketing, den verantwortungsvollen Umgang mit der Technologie und ihre Grenzen.
Herr Richter, Künstliche Intelligenz wirkt sich auf die Arbeitsweise verschiedener Abteilungen in Unternehmen aus. Wie verändert KI die B2B-Marketing-Landschaft?
Andreas Richter: Auf vielen Ebenen. Ich sehe prinzipiell zwei Wege, sich dem Thema KI zu nähern: Zum einen sollten Unternehmen bisherige Vorgehensweisen und Prozesse hinterfragen. Und zum anderen ist darüber nachzudenken, welche neuen Möglichkeiten sich durch den KI-Einsatz ergeben. Also konkret, Einsatzszenarien beleuchten, die bisher entweder aufgrund technologischer Hürden oder schlichtweg aus Kostengründen nicht wirtschaftlich umsetzbar waren. Das gilt für alle Bereiche, sei es bei der Erstellung von Text-, Bild- oder Videoinhalten, bei der Datenauswertung oder bei strategischen Planungen. Deshalb sollten wir uns alle damit auseinandersetzen und überlegen, wie wir die Technologie sinnvoll für unsere Aufgaben nutzen können. Die Frage ist längst nicht mehr, ob wir KI verwenden, sondern wie. Wer jetzt noch über das „ob“ nachdenkt, wird langfristig den Anschluss verlieren.
Wie wird sich dadurch die Rolle des Marketing Managers in den nächsten Jahren verändern?
Andreas Richter: Das Berufsbild wird sich nachhaltig wandeln und das nicht nur im IT-Segment, sondern branchenübergreifend. Es braucht eine technologieaffine Person, die das Thema KI verinnerlicht und für sich adaptiert. Wer sich gegen die Technologie sträubt, wird zukünftig vor großen Herausforderungen stehen. Der Marketing Manager der Zukunft muss den Impuls ins Team geben, KI in den Arbeitsalltag zu integrieren, sich auszuprobieren und den Mehrwert, aber auch die Grenzen zu erkennen. Ein regelmäßiges Arbeiten mit der KI reduziert zudem die Skepsis, die einige derzeit noch haben.
Welche neuen Kompetenzen müssen Marketing Teams entwickeln, um KI optimal zu nutzen?
Andreas Richter: Neben der Offenheit gegenüber neuen Technologien müssen sie neue Skills aufbauen. Dazu zählt beispielsweise der Umgang mit KI-Prompts. Der richtige Prompt, also die Anforderung an die KI, kann oftmals den Unterschied zwischen einem sehr guten und einem nur mittelmäßigen Ergebnis machen.
Deshalb habe ich in unserem Team Leitfäden und eine Prompt-Bibliothek verteilt. Damit eignen sich die Team-Mitglieder die Grundlagen eines passenden, zielorientierten Prompts an. Danach liegt es an ihnen, sich auszuprobieren, aus Fehlern zu lernen und die Erkenntnisse innerhalb des Teams zu teilen.
Neben den Vorteilen bringt KI auch einige Herausforderungen mit sich. Was ist aus Ihrer Sicht für einen verantwortungsvollen Einsatz zu beachten?
Andreas Richter: Das Wichtigste ist, die Ergebnisse immer mit anderen Quellen und dem eigenen Wissen zu überprüfen. Nicht alles, was die KI ausgibt, ist korrekt, auch wenn es auf den ersten Blick plausibel erscheint. Darüber hinaus ist der Aspekt ‚Ethik‘ relevant. Die verschiedenen KI-Anbieter bewerten dessen Bedeutung unterschiedlich, so dass Nutzer beispielsweise Bilder von Persönlichkeiten in einem unpassenden Kontext erzeugen können. Aus meiner Erfahrung grenzt sich hierbei Claude von Anthropic positiv ab, da dieses KI-Modell Punkten wie Transparenz und Ethik einen besonderen Stellenwert beimisst.
Und wie steht es um das Thema Nachhaltigkeit?
Andreas Richter: Das ist eine ernste Herausforderung. Jede Anfrage verbraucht große Mengen an Wasser und Energie. Diese Entwicklung geht mittlerweile sogar so weit, dass Anbieter wie Google, Microsoft oder auch Meta in Atomreaktoren investieren, um ihren rasant steigenden Energiebedarf zu decken. Jeder Nutzer sollte sich daher grundsätzlich fragen, ob für eine bestimmte Anfrage zwingend KI nötig ist. Der größere Hebel wird allerdings in einer Effizienzsteigerung der Algorithmen liegen. Zukünftig werden KI-Anbieter sicherlich den Energieverbrauch je Anfrage reduzieren können. Dennoch sind in puncto Nachhaltigkeit noch nicht alle Fragen abschließend geklärt.
Wie können Unternehmen KI nutzen, um ihre Content-Strategie zu optimieren und zu skalieren?
Andreas Richter: Bisher war die Erstellung von Content meist ein zeitintensiver Prozess, teilweise unter Einsatz externer Dienstleister. Mit den neuartigen KI-Möglichkeiten lassen sich Inhalte nun schneller generieren. Doch nicht nur das. Unternehmen können jetzt effizienter Content an die Zielgruppe anpassen und Inhalte transformieren, also beispielsweise aus einem Text eine Infografik ableiten, oder auch Bild- und Videoinhalte individueller generieren. Damit lassen sich Inhalte zielgruppen- und mediengerecht zügig ausrichten.
Gibt es für den Einsatz im Marketing denn „die eine“ KI?
Andreas Richter: Nein, denn die Modelle haben alle ihre Stärken und Schwächen. Das zeigt auch unsere interne Evaluierung von Modellen. Die einen eignen sich besser für Bilder, andere zum Programmieren, wieder andere sind für Analytics geeigneter. Um diese Unterschiede aufzudecken, empfehle ich, die Modelle im Unternehmen gegeneinander antreten zu lassen und an echten Anwendungsszenarien die Stärken und Schwächen zu ermitteln. Wichtig ist dabei, am Puls der Zeit zu bleiben. Denn die verschiedenen KI-Modelle entwickeln sich schnell weiter und so können sich auch Präferenzen beim Einsatz verschieben.
Haben Sie auch ein aktuelles Anwendungsbeispiel bei Logicalis?
Andreas Richter: Neben dem Einsatz im Content-Bereich, beispielsweise für die Erstellung von Whitepapern, experimentieren wir derzeit mit digitalen Avataren. Das Ziel eines unternehmenseigenen Avatars bestand zunächst darin, eine Videopräsentation auf Englisch zu erstellen. Dazu haben wir eine deutschsprachige Kollegin gefilmt und auch ihre Stimme aufgenommen. Für das Audio haben wir dann den deutschen Einsprechtext ins Englische übersetzt und die Stimme der Kollegin in einer KI angelernt und geklont. Anschließend wurde mit einer anderen KI das Abbild der Kollegin als digitaler Avatar erstellt und das Audio lippensynchron über den Avatar gelegt. Das Ergebnis sieht täuschend echt aus. Den Avatar können wir nun für alle möglichen Anwendungsfälle wiederverwenden und in jeder beliebigen Sprache sprechen lassen.
Dabei sind wir natürlich auch auf Schwierigkeiten gestoßen. Es war beispielsweise problematisch abzuschätzen, wie viel Videomaterial wir für einen natürlichen Eindruck benötigen oder wie die geklonte Stimme klingen soll. Lieber emotional und euphorisch oder nüchtern und ruhig? Auch die Aussprache einiger Worte war zunächst nicht optimal. Bis zum finalen Ergebnis war also noch einiges an Finetuning notwendig.
Wo sehen Sie in der KI generell noch Optimierungspotenzial? Wo stößt die Technologie an ihre Grenzen?
Andreas Richter: Herausforderungen sehe ich noch beim Wahrheitsgehalt von Aussagen, was sich teilweise in sogenannten Halluzinationen bei KI-Modellen äußert. Die KI will erfundene Aussagen also als Fakten verkaufen. Auch bei mathematischen Berechnungen, teilweise sogar Grundrechenoperationen, kam es zu erheblichen Problemen in unseren Tests. Zudem gibt es bei der Bildgenerierung zwischen den Modellen noch große Unterschiede. Midjourney liefert zum Beispiel sehr realistische Ergebnisse. Doch auch hier finden sich in den Details noch Fehler wie seltsam geformte Gesichter im Hintergrund oder eine Hand mit zu vielen Fingern. Das lässt sich nur mit weiteren Prompt-Eingaben ausbessern, gelingt aber auch nicht immer. Bei Bewegtbild fällt das sogar noch stärker auf. In Videos, die beispielsweise mit Sora von OpenAI generiert wurden, sind die Bewegungen der Menschen teilweise noch unnatürlich oder Größenverhältnisse stimmen nicht. Dennoch denke ich, dass diese ‚Kinderkrankheiten‘ in naher Zukunft überwunden werden.
Welche Einsatzmöglichkeiten wollen Sie in Zukunft noch erkunden?
Andreas Richter: Wir werden weiterhin neue Anwendungsfälle erforschen, die kreative Möglichkeiten eröffnen, das Team bei der Arbeit entlasten, oder komplexe Aufgaben vereinfachen. Beispielsweise in der Datenanalyse, um Marketingkampagnen besser auszuwerten oder Daten aus verschiedenen Quellen zu korrelieren und Benchmarks aus vorliegenden Marktzahlen abzuleiten. Auch im Content-Bereich gibt es noch viel mehr Möglichkeiten wie bei Erklärvideos oder Podcasts. Heute sind all diese Einsatzfelder noch auf verschiedene Tools verteilt. Mittelfristig erwarte ich aber, dass sich der KI-Markt konsolidiert und auch Softwareanbieter, beispielsweise im Bereich Marketing Automation, diese Fähigkeiten verstärkt in ihre Lösungen integrieren und so unmittelbar nutzbar machen.
Vielen Dank für das Gespräch!