Snom war einer der Pioniere im Bereich Voice over IP. 25 Jahre sind seit der Gründung des Unternehmens vergangen. Zeit, um über die Entwicklung und Zukunft mit Gernot Sagl, CEO bei der Snom Technology GmbH, zu sprechen.
Ulrich Parthier: Herr Sagl, ein Vierteljahrhundert ist seit der Start-up Zeit vergangen. Was hat sich technologisch gesehen am meisten verändert und wie hat sich das Unternehmen weiterentwickelt? Stichwort Produktportfolio.
Gernot Sagl: Zwischenzeitlich machten Audio-Codecs enorme Qualitätssprünge, und die anfänglich benötigte Kompatibilität zum Signalisierungsprotokoll H.323 ist tatsächlich Schnee von gestern. Doch abgesehen von Bits & Bytes hat sich in den letzten 25 Jahren ganz sicher die Art zu arbeiten weiterentwickelt! Hätte sich irgendwer zur damaligen Zeit vorstellen können, nicht vom gemeinsamen Firmenbüro aus zu arbeiten? Natürlich wirkte die Gesundheitskrise durch die diversen Lockdowns als Katalysator. Allerdings waren Flexibilität und das Prinzip der ortsunabhängigen Erreichbarkeit schon länger ein Thema, besonders für die Telekommunikation. Bei Snom lief die Entwicklung folgerichtig vom Bürotischtelefon, das quasi ein reines Kommunikationsgerät basierend auf IP war, hin zu immer autarkeren Endgeräten. Ob DECT over IP oder mobile Konferenzlösungen bis hin zu Tracking-Systemen wie unsere Beacon-Lösungen: Gefragt ist mittlerweile ein möglichst flexibles und breites Spektrum an Produkten und dahin geht ganz klar auch die Entwicklung bei Snom.
Ulrich Parthier: Ende 2016 war ein einschneidendes Datum, das mittelständische Unternehmen Snom wurde vom VTech-Konzern mit Sitz in Hongkong übernommen, einem Unternehmen mit damals immerhin 37.000 Mitarbeitern. Welche Effekte haben Sie sich erwartet und sind sie eingetroffen?
Gernot Sagl: Meine Erwartungen in Bezug auf die Übernahme waren immer positiv. Die Mitarbeiter hatten anfänglich verständlicherweise Sorgen. Aber VTech setzte konkret die Intention um, in den Erfolg von Snom Technology als eigenständige Gesellschaft zu investieren: Durch die Unterstützung des Konzerns konnten wir uns am Markt ganz neu positionieren. Die Synergieeffekte eröffneten Einsparpotenziale in der Produktion, sodass Snom seine Preise senken konnte – beziehungsweise in heutigen Zeiten der extremen Frachtkosten die Preise halten kann. Auch konnte VTech uns schnell davon überzeugen, dass sie uns wirklich als die Experten im Bereich IP an Bord geholt hatten. So findet zwar die zentrale Forschung und Entwicklung in Eigenregie weiter in Berlin statt, doch das Team umfasst mittlerweile auch bedeutende Engineering-Ressourcen an diversen Standorten beim Mutterkonzern, die ausschließlich für Snom tätig sind.
Unser Bestreben lag darin, nicht irgendein Upgrade zu entwickeln. Nach über 20 Jahren wurde es vielmehr Zeit, das Tischtelefon und seine Funktionalität völlig neu zu denken.
Gernot Sagl, CEO, Snom Technology GmbH, www.snom.com
Ulrich Parthier: Wie sieht die aktuelle Marktsituation für Snom aus. Wie viele Kunden und Partner zählen sie und in wie vielen Ländern sind sie aktiv?
Gernot Sagl: Als Snom Berlin erstreckt sich unser Kernmarkt auf ganz EMEA. In unseren Fokusländern betreiben wir eigene Niederlassungen. Wir zählen aktuell weit über 10.000 aktive Fachhändler, haben viele namhaften Carrier im Boot und verfügen über ein wirklich gutes Netz an Distributoren. Asien überlassen wir naturgemäß unserem Mutterkonzern. Den amerikanischen Kontinent betreut Snom Americas. Einmal alle 25 Jahre darf man auch eine Bilanz über Verkaufsvolumina ziehen: Es wurden bislang über zehn Millionen Geräte verkauft, der Großteil davon in den letzten zehn Jahren.
Ulrich Parthier: Stichwort time-to-market. Wo findet die Entwicklung statt und wie gewährleisten sie die Umsetzung bei so vielen verschiedenen Standards in den zahlreichen Ländern, in denen sie vertreten sind?
Gernot Sagl: Glücklicherweise arbeiten wir auch im Sinne eines produktiven Ideenaustausches sehr gut mit dem Mutterkonzern zusammen. Doch Snoms-Produkte müssen schon unseren Standards bezüglich Qualität, Stabilität, Robustheit der Materialien und gebotener Sicherheit entsprechen. Die Anforderungen in diesen Bereichen sind in EMEA gleich hoch, weshalb unsere Produkte einen international hervorragenden Ruf genießen. Bei Sonderfällen setzen wir auf unsere lokalen Ansprechpartner im Vertrieb, aber auch im Support, und stehen gern für Personalisierungen zur Verfügung.
Ulrich Parthier: In der ganzen IT-Industrie sind Themen wie Green IT und Nachhaltigkeit zu einem wichtigen Argument geworden. Wie sehen Sie diesen Aspekt?
Gernot Sagl: Das Thema liegt uns ebenfalls sehr am Herzen. Bereits vor Jahren haben wir die Lieferung von Netzteilen zu allen Telefonen abgesetzt. Damals hatte sich Power over Ethernet als Stromzufuhr bereits durchgesetzt. Eine Partnerumfrage ergab, dass Netzteile nur bei 3 Prozent der Nutzer nötig waren. Die überflüssigen Plastikanteile unserer Verpackungen haben wir vor Kurzem durch Kunststofffreies ersetzt und bereits über 10 Tonnen Plastik gespart. Der nächste Schritt könnte der Einsatz von recycelten Materialien zur Erstellung geeigneter Komponenten unserer Endgeräte sein.
Ulrich Parthier: Recycelte Materialien, gibt es da immer noch Vorbehalte auf Anwenderseite?
Gernot Sagl: Wir haben dazu im November das unabhängige Meinungsforschungsinstitut Norstat mit der Durchführung einer europaweiten Umfrage beauftragt. Die Ergebnisse sind verblüffend! 75 Prozent der Befragten würden gern nachhaltigere IP-Telefone nutzen. 66 Prozent davon wären sogar bereit, für die erhöhte Umweltfreundlichkeit einen Aufpreis zu zahlen. Die Teilnehmer aus fünf Ländern maßen zu erstaunlichen 83 Prozent dem Einsatz von Komponenten ausrecycelten Materialien Bedeutung bei und erklärten, alle Zusatzkomponenten (etwa Standfuß, Hörer oder Kabel) sollten nur daraus bestehen. Dieser Wert schwankte allerdings in den einzelnen Regionen. Während sich in Deutschland „nur“ 75 Prozent der Nutzer für mehr Nachhaltigkeit auch bei der Büro-Hardware aussprachen, waren es in Spanien 88 Prozent.
Ulrich Parthier: Kommen wir zur Zukunft. IP-Telefone sind bisher eher funktional, aus Designgesichtspunkten aber eher nicht die Hingucker. Da sehen wir noch erheblichen Verbesserungsbedarf. Ist hier Land in Sicht?
Gernot Sagl: Tatsächlich scheiden sich beim Design die Geister: Stylisches ist häufig nicht funktional genug – oder umgekehrt. Uns kann man womöglich vorwerfen, der Funktionalität Priorität über das Design gewährt zu haben! Aber das hat sich ebenfalls geändert: Im September kündigten wir eine komplett neue Linie von IP-Geschäftstelefonen an: die D8xx-Serie. Hier wurde alles neu gedacht – und das Ergebnis kann sich, meiner Meinung nach, auch in puncto Design wirklich sehen lassen!
Ulrich Parthier: Inwiefern?
Gernot Sagl: Unser Bestreben lag darin, nicht irgendein Upgrade zu entwickeln. Nach über 20 Jahren wurde es vielmehr Zeit, das Tischtelefon und seine Funktionalität völlig neu zu denken. Gemeinsam mit Partnern und Experten wurden zu diesem Zweck in Design-Thinking-Workshops die unterschiedlichsten Ansprüche in den entsprechenden Szenarien erörtert. Daraus wurde eine Modellreihe entwickelt, in der alles kann, aber nichts muss – außer unserem hohen Qualitätsanspruch gerecht zu werden.
Allein die Anpassung der Audioqualität an unsere Ansprüche wurde etwas Besonderes: Alle Geräte verfügen über mindestens HD-Audioqualität, manche sogar über Super-Wideband-Audio – etwas, was sonst nur in Tonstudios eingesetzt wird. So ging es bei Funktionalität und Design weiter – die D8xx sind sicher in jeder Hinsicht ein Hingucker!
Ulrich Parthier: Hat Corona bei Ihnen als Innovations-Booster gewirkt?
Gernot Sagl: Das mag so wirken, aber jeder ahnt, dass eine solche Entwicklung Zeit braucht – und zwar mehr als in der zum Teil lähmenden Pandemie-Phase. In der Tat hat die Nachfrage allerdings auch hier die Entwicklung beflügelt – da dürfen Sie also auf weitere Neuigkeiten gespannt sein, die für den Einsatzbereich „work from home“ oder sogar „work from anywhere“ entwickelt werden. Zu diesem Schritt wurden wir nicht durch die Pandemie veranlasst, allerdings hat sie den Fokus darauf verstärkt.
Ulrich Parthier: Wo werden hier die Schwerpunkte liegen?
Gernot Sagl: Der maßgebliche Fokus wird auf der Flexibilität liegen. Wir begegnen einer Trendwende in der Kommunikation und möchten ihr vorgreifen: Unsere IP-Endgeräte und Lösungen sollen sich in Zukunft immer nahtloser in die Arbeitsumgebung integrieren, sowohl im Sinne der Büroautomation als auch der Anwendungen. Kurzgefasst: Unser Bestreben gilt nach wir vor der maximalen Abdeckung eines gesamten Portfolios an Anforderungen – von der klassischen Bürokommunikation bis hin zu smarten Lösungen.
Ulrich Parthier: In der Pandemie hat das New Work, auch Homeoffice genannt, einen unerwarteten Push bekommen. Unmittelbar damit verbunden ist das Thema der Videokonferenzen und Unified Communication. Sind hier konkrete Ankündigungen von Snom zu erwarten und wie lässt sich das Thema in der IP-Welt bei Telefonen abbilden?
Gernot Sagl: Wie bereits angerissen, war die Pandemie meines Erachtens nur ein Beschleuniger einer längst stattfindenden Entwicklung. In Zeiten horrender Mieten in den Ballungsgebieten und einer neuen Generation Mensch, die sich nicht nur über Arbeit definiert, hat die Bewegung hin zu mehr Flexibilität schon lange eingesetzt. Noch nutzt gemäß unserer Umfrage die Mehrheit der Angestellten ein Tischtelefon, aber die notgedrungene Zunahme an mobilen Lösungen ist unweigerlich: Der Markt entwickelt sich natürlich weiter von einem trotz erfolgter Verlagerung noch recht ortsgebundenen Arbeiten im Home-Office hin zu noch flexibleren Lösungen für das „Work from Anywhere“. In diesem Rahmen eine gute Unified-Communication- oder Videokonferenz-Schnittstelle zu bieten, die Anwenderkomfort, aber auch Datensicherheit für den Arbeitgeber bietet, ist die Kunst. Und ja, wir arbeiten aktuell selbstverständlich an unterschiedlichen Lösungen für diesen wachsenden Flexibilitätsbedarf.
Ulrich Parthier: Design bei Hard- und Software – Ergonomie – Funktionalität – Nachhaltigkeit – Vision, wie würden Sie diese unterschiedlichen Aspekte gewichten und wie sieht die Zukunft der Telefonie und der IP-Welt aus?
Gernot Sagl: Oh, ich denke, ob nun Design oder Ergonomie an vorderster Front steht, wird jeder Anwender für sich entscheiden. Der Markt wird entsprechend reagieren und Unternehmen ihre Vision anpassen. In puncto Nachhaltigkeit und Sicherheit sehe ich allerdings keine Kompromissmöglichkeit: Beides mit einem flexiblen Einsatz kombiniert, schon ist der Eckstein für die Zukunft der Telekommunikation gelegt. Kommuniziert wird immer weiter, mal per Video und Kopfhörer, mal per Tischtelefon und Hörer. Zudem können Geräte untereinander kommunizieren und für eine Optimierung von Umgebung und Prozessen sorgen – die Möglichkeiten und Szenarien sind vielfältig!
Ulrich Parthier: Herr Sagl, wir danken für das Gespräch!