Pflicht ab Juni 2025

Barrierefreie Websites: Warum Firmen jetzt handeln müssen

Barrierefreiheit – darum haben sich viele Unternehmen bis dato nur stiefmütterlich gekümmert. Doch jetzt müssen sie es: Mitte 2025 wird aus der vermeintlichen Kür die Pflicht. Wer es smart angeht, sichert sich so sogar mehr Umsatz. Ein Gastbeitrag von Wiktoria Kleindienst, Vorständin der dc AG.

„Barrierefreiheit“ – das Wort klingt zugegebenermaßen recht sperrig. Auf den ersten Blick mag es da verständlich sein, dass viele deutsche Unternehmen und besonders die für Digitalisierung und E-Commerce Verantwortlichen in den C-Level-Etagen derzeit andere Themen im Kopf haben. Doch das vermeintliche „Randthema“ ist keines. 7,8 Millionen Menschen in Deutschland gelten als schwerbehindert. Das entspricht 9,4 Prozent der Gesamtbevölkerung, rechnet die Aktion Mensch vor. Wer sich um diese Menschen, die zudem meist älter sind und über höhere Haushaltseinkommen und Vermögen verfügen als der Durchschnitt, nicht kümmert, der verschenkt Umsatz.

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Doch die Praxis in deutschen Webshops sieht anders aus. Gerade jeder fünfte Onlineshop hierzulande ist barrierefrei und damit etwa auch für Menschen mit Sehbehinderungen be- und nutzbar.

2025 kündet sich an der Gesetzgebungsfront Großes an. Viele Firmen sind nicht vorbereitet

Im Juni 2025 tritt das nationale Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, kurz BFSG, in Kraft. Damit will der Gesetzgeber allen Menschen die Teilhabe auch und besonders am digitalen Wirtschaftsleben ermöglichen. Bereits seit Ende der 1990er-Jahre macht sich die Web Accessibility Initiative (WAI), die vom W3C, der zentralen Standardisierungsorganisation für die Entwicklung von Webinhalten, ins Leben gerufen wurde, fürs barrierefreies Surfen stark. Der aktuelle Standard 2.2 orientiert sich vor allem an den Bedürfnissen von Nutzerinnen und Nutzern mit kognitiven oder visuellen Behinderungen sowie Behinderungen, die bei der Verwendung mobiler Geräte bestehen können.

Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, das einer EU-weiten Richtlinie folgt, wird das Thema noch präsenter. Die Folgen sind gravierend: Ab diesem Zeitpunkt müssen alle neuen Produkte und Dienstleistungen aus den Bereichen Computer und Betriebssysteme, Selbstbedienungsterminals wie Geld- und Ticketautomaten, Smartphones, Fernseher, E-Book-Reader, E-Commerce-Dienste, aber eben auch Webshops, Bank-Websites und Personenbeförderungsdienste den Anforderungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes entsprechen.

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Barrierefreie Websites - dc:connect 2024
Vortrag der Autorin Wiktoria Kleindienst, Video der dc AG

Vortrag der Autorin Wiktoria Kleindienst, Video der dc AG

Für Unternehmen bedeutet das einheitliche Spielregeln in Sachen Barrierefreiheit innerhalb der gesamten Europäischen Union. Die neuen Regeln einfach als weitere Bürokratielast aus Berlin und Brüssel abzutun und auf Zeit zu spielen, könnte sich als fataler Fehler erweisen. Bei Verstößen gegen die Regeln der Barrierefreiheit drohen Bußgelder in Höhe bis zu 100.000 Euro. Hinzu kommt der kaum bezifferbare immaterielle Schaden – die Konsumentengruppe der Menschen mit Beeinträchtigung ist groß und gewinnt zunehmend an öffentlichkeitswirksamer Macht.

Unternehmen müssen also handeln – ob sie wollen oder nicht. Doch es wäre von Vorteil, wenn sie ihr Mindset zum Thema überprüfen. Viele machen nach wie vor den Fehler, in der Barrierefreiheit eine weitere Last zu erkennen. Dabei eröffnet Webshops ohne Hürden bei der Bedienbarkeit auch für Menschen mit Beeinträchtigungen den Zugang zu ganz neuen Käuferschichten. Letztlich bedeutet Barrierefreiheit damit die Aussicht auf gesteigerte Umsätze – keine schlechte Kunde für von der Wirtschaftsflaute bereits arg gebeutelte Mittelständler.

Eine jüngst veröffentlichte Studie des Software-Bewertungsplattform Capterra benennt die wirtschaftlichen Vorteile barrierefreier Webseiten: 38 Prozent der Unternehmen verzeichneten einen höheren Umsatz nach der Einbindung sogenannter inklusiver Funktionen auf ihren Internetseiten. Zu den am häufigsten umgesetzten Maßnahmen gehören laut der Erhebung anpassbare Textgrößen (50 Prozent), Untertitel in Videos (49 Prozent) und Text-to-Speech-Funktionen (42 Prozent).

Barrierefreiheit schafft Mehrwert für alle: ob Behinderte oder Nicht-Behinderte

Entscheidend ist zudem ein Aspekt: Die Dinge, die eine Seite barrierefrei machen, helfen nicht nur Menschen etwa mit Sehbehinderungen. Der Abbau von Hürden aller Art auf einer Website steigert insgesamt die Usability und damit letztlich den (Umsatz-)Erfolg eines Webshops.

Barrierefreiheit schafft Mehrwert für alle. Hohe Kontraste und größere Schriftgrößen beispielsweise verbessern nicht nur die Lesbarkeit für Menschen mit Sehbehinderungen, sondern auch für ältere Nutzerinnen und Nutzer oder solche, die unter ungünstigen Lichtverhältnissen surfen.

Bei der Gestaltung barrierefreier Websites ist es entscheidend, dass Inhalte für alle wahrnehmbar und bedienbar sind. Textalternativen für visuelle Elemente und die Möglichkeit, alle Funktionen über die Tastatur zu nutzen, sind dabei zentrale Faktoren. Verständlichkeit ist ein weiteres Schlüsselelement: Eine klare Navigation und verständliche Sprache helfen allen Nutzerinnen und Nutzern, sich mühelos zurechtzufinden. Gleichzeitig müssen Websites robust gestaltet sein, damit sie auch mit assistierenden Technologien einwandfrei funktionieren.

Funktionen wie Untertitel oder eine klare, intuitive Navigation erhöhen die Benutzerfreundlichkeit und sorgen dafür, dass Websites von einer größeren Anzahl an Menschen – unabhängig von ihren individuellen Fähigkeiten – genutzt werden können. 

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Häufige Fehler: Tastaturnavigation übersehen, Navigation überkomplex

Ein häufiger Fehler ist, die Tastaturnavigation zu übersehen. Für viele Menschen mit motorischen Einschränkungen ist die Tastatur die Hauptschnittstelle. Um dies zu vermeiden, sollte regelmäßig getestet werden, ob alle Funktionen auch ohne Maus zugänglich sind. Ein weiteres Problem ist eine komplexe Navigation. Wenn der Seitenaufbau nicht logisch ist, verlieren sich Nutzerinnen und Nutzer schnell auf einer Seite. Eine klare Struktur und Vorhersehbarkeit in der Navigation hilft allen, sich leichter zu orientieren.

Von anderen lernen, heißt Barrierefreiheit lernen. Dabei hilft gerade der Blick ins europäische Ausland, wo es bereits eine Vielzahl von barrierefreien Best-Cases gilt. Etwa die BBC: Die Website der britischen Nachrichten-Institutionist ein Vorzeigebeispiel für barrierefreies Design. Sie bietet flexible Anpassungen für Nutzerinnen und Nutzer mit Seh- oder Hörbehinderungen, inklusive Farbanpassungen und einer Text-zu-Sprache-Funktion. Ein weiteres großartiges Beispiel ist Hamburg.de, die offizielle Website der Stadt. Sie integriert Funktionen wie leichte Sprache, Gebärdensprache und barrierefreie Dokumente, um den Zugang für alle zu verbessern – von Menschen mit Behinderungen bis hin zu Nicht-Muttersprachlern.

Fazit

Beim Thema Barrierefreiheit gibt es für viele deutsche Unternehmen langsam gehörig Zeitdruck. Sie sollten die Anpassung an die veränderte Rechtslage zum Anlass nehmen, eine generelle neue Haltung zum Thema einzubauen. Wer aus der Pflicht eine Kür macht, sichert sich die Chance auf neue Umsätze und erschließt neue Kundenkreise. Es lohnt sich.

Wiktoria Kleindienst

Wiktoria

Kleindienst

Vorstand

dc AG

Wiktoria Kleindienst ist seit Februar 2021 Vorstand der dc AG, welche sich auf die Entwicklung der E-Commerce-Plattform “dynamic commerce” und des Content-Management-Systems “dynamic content” spezialisiert hat. Mit umfassender Expertise im Bereich der digitalen Agenturleistungen unterstützt sie als Managing Director Creation mittelständische Unternehmen in den Bereichen Content & Design, Creation und
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