Operationsbericht, Verlegungsbericht, Entlassungsbericht – dies ist nur ein kleiner Auszug aus den Dokumentationspflichten von Krankenhausärzten und -ärztinnen.
«45 bis 50 Prozent der Zeit, die Ärzte im Krankenhaus verbringen, verbringen sie am Dokumentieren», sagt Marek Zygmunt, Leiter der Frauenklinik der Universitätsmedizin Greifswald (UMG). «Dieser Aufwand ist in den letzten Jahren stets größer geworden.» Er koste Geld und halte Pfleger und Ärzte von der direkten Arbeit mit Patienten ab und das in Zeiten von Personalmangel.
Abhilfe soll Software schaffen, die derzeit an Zygmunts Klinik erprobt wird. Mittels Künstlicher Intelligenz (KI) und Spracherkennung sollen Programme der Firma Amnexis etwa Arztgespräche aufzeichnen und automatisch notwendige Berichte ausfüllen. «Am Ende des Gesprächs bekomme ich einen von mir zu korrigierenden kompletten Bericht», erklärt Zygmunt. Oder er könne während einer Operation mit Stichworten den Operationsbericht erstellen. «Wir hoffen, 20 Prozent der Zeit so für die richtigen ärztlichen und pflegerischen Aufgaben gewinnen zu können», sagt der Mediziner.
Joachim Mueller-Wende hat das Start-up Amnexis vor fünf Jahren in Irland und Berlin gegründet. Er und Zygmunt lernten sich 2023 in Vorbereitung der Nationalen Branchenkonferenz der Gesundheitswirtschaft kennen, die in Rostock stattfand und deren Tagungspräsident Zygmunt ist. Er sei über die Dynamik der Innovationen im Gesundheitssektor in MV überrascht gewesen, sagt Mueller-Wende. Hier werde nicht nur begutachtet, sondern auch gemacht. «Das passiert alles jetzt, innerhalb der letzten anderthalb Jahre. Davor hat man viel geredet und es ist weniger passiert.»
Auch nach Aussage des Greifswalder Bioinformatikers Lars Kaderali tut sich einiges im Hinblick auf KI in MV. So habe der Landtag kürzlich in erster Lesung ein Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsforschung behandelt. Von einem Paradigmenwechsel spricht er. Demnach wäre es möglich, Patientendaten für Forschungszwecke zu nutzen, ohne vorher ein aufwendiges Aufklärungsgespräch zu führen und aktiv die Einwilligung einzuholen. Stattdessen sei jetzt eine Widerspruchslösung angedacht. Das hieße, nach einer weniger aufwendigen Aufklärung könnten Patienten, die dies nicht wollen, aktiv widersprechen.
Die bislang bestehende Einwilligungslösung sei so aufwendig, dass sie praktisch nicht für die Erhebung von Forschungsdaten genutzt worden sei, sagt Kaderali. Mit der neuen Lösung stünden absehbar viele Daten zur Verfügung, etwa um KI-Anwendungen zu entwickeln. «Das heißt, für uns ist das ein ganz wichtiger Gesetzentwurf, der hier möglich machen wird, in Mecklenburg-Vorpommern mit Patientendaten wirklich Forschung zu betreiben und dann letztlich auch zum Wohle der Patienten solche Modelle zu entwickeln.» Bislang würden KI-Modelle vor allem in den USA oder China entwickelt und kämen dann auf den hiesigen Markt. Sie seien aber nicht optimal an die Bevölkerung angepasst.
Wenn ein Arzt etwa wissen wolle, ob eine bestimmte Behandlung für einen Patienten gut sei oder nicht, wäre es denkbar, dass er Daten anderer Patienten mit der gleichen Behandlung statistisch auswerte, erklärt Kaderali. «Das dürfen Sie nicht machen nach der aktuellen Gesetzesregelung, sofern der Patient nicht explizit eingewilligt hat.» Der Gesetzesentwurf sehe verschiedene Stufen der Pseudonymisierung und Anonymisierung für die Datenweitergabe vor.
Der Bioinformatiker spricht mit Blick auf das neue Gesetz von einem möglichen Wirtschaftsfaktor für das Land. «Ich könnte mir sogar vorstellen, dass das auch bundesweit Interesse auf sich zieht und sich Unternehmen gezielt dann hier in Mecklenburg-Vorpommern ansiedeln, wenn es die Möglichkeit gibt, dort mit solchen Daten zu forschen.»
Seine Kollegen und er arbeiten an der UMG selbst an KI-Projekten etwa zur Vorhersage der Lebensdauer anhand von Gesundheitsdaten aus einer Bevölkerungsstudie. Bei einem anderen Projekt werde KI genutzt, um mittels optischer Analyse von Blutproben und ohne Labor Krankheiten zu erkennen. Auch die Analyse von MRT-Bildern mittels KI werde erprobt. Bei all diesen Projekten könne man aber nicht breitangelegt Patientendaten nutzen.
Die Assistenten von Amnexis arbeiten nach Aussage Mueller-Wendes bereits vergleichsweise präzise. «Die produzierten Ergebnisse, die rauskommen, liegen ungefähr im Bereich von 90 bis 95 Prozent Genauigkeit. Das heißt, der Nutzer muss nicht viel Zeit aufwenden, zu korrigieren.» Amnexis kooperiert nach Aussage Mueller-Wendes auch mit Physiotherapeuten in Mecklenburg-Vorpommern. Der Assistent soll im zweiten Quartal in den Bereichen ambulante Pflege, niedergelassene Ärzte und Physiotherapeuten an den Markt gehen. Für die Integration in Krankenhaussysteme brauche es noch mehr Zeit.
Nach Aussage Zygmunts bietet auch die Mehrsprachigkeit Vorteile. Ukrainische Ärzte an der UMG etwa könnten mit ukrainischen Patienten in ihrer Muttersprache reden und trotzdem deutsche Berichte erstellen lassen. Mueller-Wende, der mit seiner Firma inzwischen auch eine Niederlassung in Greifswald hat, weist neben der Zeitersparnis auf einen weiteren Faktor hin. Ein Arzt habe ihm von einsetzender Müdigkeit am Nachmittag berichtet und gesagt, er habe dann keine Lust mehr, diese Berichte zu schreiben. «Das heißt, die Qualität geht in den Keller.» Nicht so bei der Software, wie er sagt. «Die KI wird nicht müde.»
dpa