Interview

KI als Karriereturbo – Neue Weiterbildungswege in der IT

Karriere

Thorsten Mücke diskutiert die langfristigen Auswirkungen von KI auf den Arbeitsmarkt. Er erkennt das transformative Potenzial der KI, welches nicht nur zur Automatisierung führen, sondern auch die Natur vieler bestehender Jobs verändern wird.

1. Chance oder Gefahr – wie schätzen Sie die langfristigen Auswirkungen der KI auf den Arbeitsmarkt ein?   

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Thorsten Mücke: Das transformative Potenzial von KI ist so stark wie bei wenigen Technologien zuvor. Künstliche Intelligenz wird bald reif genug sein, um viele Aufgaben zu automatisieren. Und es ist dann tatsächlich davon auszugehen, dass eine Reihe von Arbeitsplätzen durch KI ersetzt werden. 

Das bedeutet aber nicht, dass es insgesamt weniger Arbeit geben wird. Die meisten bestehenden Jobs werden sich durch den Einzug von KI ganz einfach verändern. Zum einen wird sie für eine deutlich höhere Produktivität sorgen. Zum anderen werden sich Schwerpunkte verlagern – hin zu kreativen, emotionalen, sozialen und kommunikativen Aufgaben, was für deutlich bessere Ergebnisse sorgen wird. 

Außerdem muss künstliche Intelligenz entwickelt, gesteuert, eingeführt, mit Daten gefüttert, dokumentiert und kontrolliert werden. Der Umgang mit ihr muss geschult und vermittelt werden. Die Zukunft wird also auch viele neue Berufe bereithalten müssen, um eine Wirtschaft »powered by KI« überhaupt erst zu ermöglichen.  

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Ob das nun als Chance oder Gefahr gesehen wird, ist eine Frage der Perspektive, der Ausgangsposition, der Einstellung. Ich denke, es kommt darauf an, was wir aus den Chancen machen. Gut beraten ist, wer sich heute schon fragt, wie man in seiner Rolle mit KI einen Mehrwert schaffen kann. 

2. Welche neuen Jobfelder, die durch KI entstehen, sehen Sie in der nahen Zukunft?  

Thorsten Mücke: Einer der derzeit gefragtesten Berufe ist der des Data Scientist. Diese:r  ist Spezialist:in für Data Mining und maschinelles Lernen und kann KI-Projekte entlang der gesamten Prozesskette aufbauen und steuern. Typische Berufe der zweiten Generation sind Machine Learning Engineers für die Erstellung von Datenmodellen, Data Scrum Master oder Data Product Owner für die Projektsteuerung sowie Machine Learning Platform Engineers, die die Verantwortung für die technische Infrastruktur übernehmen. Wer sich für die Zukunft rüsten möchte, ist nach meiner Einschätzung mit diesen neuen Berufen bzw. Spezialisierungen gut beraten.  

Aber nicht nur für Techniker:innen entstehen durch KI neue Berufe: Zum Beispiel kümmern sich Data Stewards um die Datenqualität und um das Datenmanagement in Unternehmen. Data und Business Intelligence Analysts identifizieren Fragestellungen rund um Big Data und Künstliche Intelligenz. KI-Controller:innen sorgen für den rechts- und compliancekonformen Einsatz der neuen Technologien. Gerade durch den European AI Act wird dieser Rolle eine große Bedeutung zukommen.  

3. Welche Branchen werden Ihrer Meinung nach am stärksten davon betroffen sein oder davon profitieren? 

Thorsten Mücke: Aktuell beschäftigen sich Expert:innen in nahezu allen Branchen mit Künstlicher Intelligenz und forschen an Anwendungsfällen. Da ist viel zu erwarten, und man kann heute längst noch nicht alles überblicken. In drei Bereichen kündigt KI aber jetzt schon großes Potenzial an: 

In der Medizin sorgt KI für einen Quantensprung – sowohl in der Forschung als auch in der Diagnostik und Behandlung. Mit Algorithmen zur Bilderkennung können etwa Krankheiten wie Krebs viel früher erkannt werden als bisher. KI-gesteuerte Systeme beschleunigen beispielsweise die Entdeckung neuer Medikamente, indem sie die Synthese und Analyse potenzieller Wirkstoffmoleküle effizienter gestalten. 

Im Rechtswesen muss viel recherchiert, gelesen, ausgewertet und geschrieben werden. Hier schlagen die Vorteile generativer KI voll zu Buche. Datenbanken können schneller durchsucht und relevante Fakten und Präzedenzfälle identifiziert werden. KI-basierte Analysen können dazu beitragen, Risiken und Chancen in Vertragsdokumenten besser zu erkennen. Juristische Schriftstücke können durch Textprozessoren vorbereitet werden. Schon jetzt gibt ein Drittel der Jurist:innen an, dass KI ihre Arbeit deutlich verändert habe.  

Weitreichende Änderungen sind auch im Bereich der Versicherungen und Finanzdienstleistungen zu erwarten – etwa beim Risikomanagement, der Betrugserkennung und der Personalisierung von Kundenangeboten. Besonders wirkungsvoll sind hier zeitreihenbasierte Vorhersagemodelle, die die genaue Kalkulation von Versicherungs-, Finanz- und Anlageprodukten ermöglichen. 

4. Welche spezifischen Fähigkeiten und Kompetenzen sind für die neuen Jobfelder unerlässlich? Und wie unterscheiden sich diese von den traditionellen IT-Skills?  

Thorsten Mücke: Data- und Machine-Learning-Berufe erfordern mehr als nur mathematische und technische Fähigkeiten. Sie sind eher interdisziplinär. KI-Expert:innen müssen ein ausgeprägtes Verständnis für Daten haben und gut einschätzen können, welche Aussagen sich damit treffen lassen. In der Fachsprache des Data Mining wird dies als Business Understanding bezeichnet. 

Meines Erachtens nach ist im Vorteil, wer über Branchenkenntnisse verfügt und die Metriken, Daten und Prozesse kennt, mit denen gearbeitet wird. Viele KI-Berufe eignen sich aber auch hervorragend für einen Quereinstieg. Die technischen Hürden sind nicht so hoch wie in vielen anderen IT-Bereichen. Umso wichtiger ist die Fähigkeit, Daten in einen Kontext zu setzen und strategische Entscheidungen zu treffen. 

Soft Skills wie ein umsichtiges Stakeholder-Management, problemlösungsorientiertes Handeln, ausgeprägte Kommunikationsfähigkeiten und eine hohe Lernbereitschaft runden das Profil ab. 

5. Wie können Unternehmen kontinuierliche Weiterbildung konkret umsetzen? 

Thorsten Mücke: Live-Schulungen, ob in Präsenz oder online, sind nach wie vor wichtig. Sie sind ideal, um größere Wissenspakete zu vermitteln, Theorie unter Anleitung in die Praxis zu bringen und um Raum für Interaktion zu schaffen. Fachkräfte profitieren stark vom direkten Kontakt zu den Expert:innen und können oft schon konkrete Take-aways mit an ihren Arbeitsplatz nehmen. 

Danach sollte die Learner Journey jedoch nicht beendet sein. Mit Technikwissen ist es wie mit einer Fremdsprache – es muss kontinuierlich und in möglichst unterschiedlichen Szenarien geübt werden, um sich zu festigen. Dafür brauchen Technik-Expert:innen passende Projekte sowie Freiräume und Spielwiesen zum Experimentieren und Ausprobieren.  

Ich finde es sinnvoll, in Teams oder dedizierten Lerngemeinschaften zu lernen statt ganz allein, denn: Soziales Lernen hat eine große Wirkung – nicht nur für das Lernen selbst, sondern auch für die Akzeptanz und Etablierung der neuen Technologien in den Teams. Hier gibt es sehr gute Konzepte wie Working-out-loud, Peer-Learning oder Corporate Learning Communities, die kooperatives Lernen und Lernanlässe miteinander verbinden. 

Lernen muss mit der täglichen Arbeit Hand in Hand gehen, gefördert und vorgelebt werden. Nur so kann eine Lernkultur entstehen. Und die ist Voraussetzung – nicht nur für lernende Mitarbeiter:innen, sondern auch für lernende Unternehmen.   

6. Unterscheidet sich Weiterbildung in der IT von Weiterbildung in anderen Bereichen? 

Thorsten Mücke: Der KI-Boom zeigt, dass sich die Arbeitswelt sehr schnell verändern kann. Für IT-Berufe gilt das nochmal mehr, der technische Fortschritt in der Branche ist immens. Um Schritt halten zu können, sollten zeitliche Freiräume zum Lernen explizit eingeräumt und eingeplant werden.  

Dabei sollten IT-Mitarbeiter:innen ihre Weiterbildung selbst auswählen können, da Personalverantwortliche meist fachlich viel zu weit von den Themen entfernt sind. Eine große Rolle spielen zum Beispiel offizielle Zertifizierungen von Verbänden oder Herstellern: Mitarbeiter:innen weisen so ihre Fachexpertise aus, Unternehmen können auf einen Blick erkennen, ob die nötige Kompetenz vorhanden ist. Eine Win-win-Situation. 

Ich bin überzeugt davon, dass IT heute ohne Weiterbildung und eine entsprechende Lernkultur nicht mehr möglich ist. Schaffen Unternehmen die richtigen Voraussetzungen, machen es ihnen die Mitarbeiter:innen in der Regel leicht. Denn IT-Expert:innen sind ausgesprochen gute, selbstständige, motivierte Lifetime Learner, die das Lernen schon von sich aus in ihren Alltag integrieren und großen Spaß daran haben. Unternehmen müssen das einfach nur nutzen. 

Vielen Dank für das Interview!

Thorsten Mücke

Thorsten

Mücke

Produkt- und Portfoliomanager

skill it

Thorsten Mücke ist Produkt- und Portfoliomanager bei „skill it – smart tech qualification”, dem Weiterbildungsangebot der Haufe Akademie für IT-Professionals.
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