Wo liegt die Zukunft des Einkaufens: Durch den Laden um die Ecke stöbern oder online auf virtuelle Shoppingtour gehen? Sich vor Ort persönlich beraten lassen oder auf KI-gestützte Empfehlungen im Web-Shop vertrauen?
Durch belebte Innenstädte schlendern oder Angebote online vergleichen und mit einem Klick liefern lassen? Beides, wenn es nach dem Handel geht. Denn dieser stellt sich zunehmend hybrid auf: 85 Prozent der deutschen Handelsunternehmen bieten ihre Produkte und Dienstleistungen sowohl online als auch stationär an. Damit setzt sich ein Trend fort: Vor der Pandemie 2019 waren es noch 66 Prozent, die hybrid verkauften, 2021 schon 77 Prozent. Ausschließlich stationär sind demnach derzeit nur noch 8 Prozent der deutschen Händler aktiv, 2021 waren es noch 16 und 2019 sogar 25 Prozent. Das sind Ergebnisse einer repräsentativen Befragung unter 503 Handelsunternehmen in Deutschland ab 10 Mitarbeitenden im Auftrag des Digitalverbands Bitkom.
„Die Corona-Pandemie hat dem Online-Handel einen deutlichen Schub verliehen und das Einkaufsverhalten der Kundinnen und Kunden dauerhaft verändert“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder. „Dieser Trend setzt sich nun fort, immer mehr Händler bauen Ihre Online-Aktivitäten aus – betreiben aber auch weiterhin das Geschäft vor Ort.“ Der Anteil der Unternehmen, die beide Vertriebskanäle nutzen und mindestens die Hälfte oder mehr ihres Gesamtumsatzes mit ihrem Online-Geschäft machen, steigt in diesem Jahr auf 30 Prozent. 2018 waren es nur 8 Prozent, 2020 lag der Anteil bei 19 Prozent. Ausschließlich online verkaufen 2023 nur 5 Prozent der Händler, 2021 und 2019 waren es jeweils 6 Prozent.
29 Prozent der hybrid aufgestellten Händler können sich vorstellen, in Zukunft nur noch online zu verkaufen. Abgesänge auf den stationären Handel dürften aber verfrüht sein. Nur 12 Prozent der Handelsunternehmen sagen, der stationäre Handel habe keine Zukunft. 7 von 10 (71 Prozent) sind aber der Meinung, der stationäre Handel muss sich neu erfinden. 68 Prozent sagen, der stationäre Handel kann mit den günstigen Preisen im Internet nicht mithalten und 54 Prozent meinen, virtuelle Einkaufserlebnisse mit AR und VR werden dem stationären Handel immer mehr Konkurrenz machen. Rohleder: „Der stationäre Handel ist unter Zugzwang. Er ist nach wie vor ein wichtiges Standbein für die Unternehmen in Deutschland, braucht aber dringend innovative Ideen. Digitale Services können hier ein Baustein sein, um den stationären Handel für Verbraucherinnen und Verbraucher attraktiv zu halten und die Vorteile aus beiden Vertriebswegen zu verbinden.“
WLAN und bargeldloses Bezahlen gehören inzwischen zum Standard
Die große Mehrheit der Handelsunternehmen setzt längst auf digitale Technologien im Geschäft. Bei 88 Prozent der Einzelhändler mit stationärem Handel lässt sich per Smartphone beziehungsweise Smartwatch bargeldlos bezahlen, 6 Prozent planen oder diskutieren dies. WLAN stellen bereits 79 Prozent ihrer Kundschaft zur Verfügung, weitere 7 Prozent planen oder diskutieren es. Auch Click&Collect ist mittlerweile ein weit verbreiteter Service. Knapp drei von vier stationären Einzelhändlern (73 Prozent) bieten dies ihrer Kundschaft an, jeder zehnte stationäre Einzelhändler (10 Prozent) diskutiert oder plant es.
Immerhin die Hälfte (52 Prozent) nutzt an der Kasse außerdem Tablet- oder Smartphone-gestützte Systeme, bei 23 Prozent wird der Einsatz derzeit diskutiert oder geplant. Tablet-PCs und interaktive Bildschirme, zum Beispiel zum Abruf von Produktinformationen, setzt jeder dritte Einzelhändler im Laden ein (33 Prozent), 34 Prozent planen oder diskutieren es. Digitale Preisschilder nutzt ebenfalls jeder dritte stationäre Einzelhändler (32 Prozent), 37 Prozent diskutieren oder planen es. Nur 10 Prozent der stationären Einzelhändler bieten bereits Seamless-Checkout-Lösungen an, bei weiteren 19 Prozent ist es in Planung oder Diskussion.
Mehrheit hält KI künftig für wettbewerbsentscheidend – aber zögert beim Einsatz
Künstliche Intelligenz wird derzeit quer durch alle Branchen diskutiert – und auch im Handel geht eine Mehrheit von 56 Prozent davon aus, dass der Einsatz von KI entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit sein wird. Dennoch setzen erst 4 Prozent der deutschen Handelsunternehmen KI-Technologien ein. 15 Prozent planen und diskutieren es, bei der überwiegenden Mehrheit von 77 Prozent ist der Einsatz von KI bislang kein Thema. 73 Prozent sagen, dass sie beim Einsatz von neuen KI-Technologien wie zum Beispiel ChatGPT in der Regel erst einmal warten, welche Erfahrungen andere machen. Gleichzeitig geben aber auch 61 Prozent der Händler an, dass ihnen die Mitarbeitenden im Bereich KI fehlen, um die Einbindung voranzutreiben. „Wait and See ist selten eine gute Strategie. Die Einstiegshürden für den KI-Einsatz sind derzeit so niedrig wie noch nie“, sagt Rohleder. „Vom Kundenservice bis zur Werbekampagne, von der Einkaufsplanung bis zur Produkteinführung – KI kann im Handel fast überall sinnvoll eingesetzt werden.“
Mit der neuen Technologie sind aber auch Sorgen verbunden: Drei Viertel (76 Prozent) der Handelsunternehmen befürchten, durch den Einsatz von KI im Kundenservice werde eine Entfremdung von der Kundschaft vorangetrieben. 72 Prozent sind besorgt, dass massenhaft KI-generierte Fake-Bewertungen ihrem Unternehmen schaden könnten.
Potenzial für KI im Handel vor allem im Bestandsmanagement und Textgenerierung
Zwar sagen 26 Prozent der Händler, KI-Technologien im Handel seien ein Trend, der bald vorüber gehen werde, gleichzeitig sieht der Handel aber Einsatzmöglichkeiten für KI-Technologien in sehr vielen Bereichen. Sehr großes oder eher großes Potenzial sehen 85 Prozent der Handelsunternehmen für den Einsatz im Bestandsmanagement, 82 Prozent bei der Textgenerierung und 76 Prozent beim Einsatz für personalisierte Empfehlungen. Dem Einsatz von KI im Kundenservice und der Kundenkommunikation bescheinigen 69 Prozent sehr großes oder eher großes Potenzial, in der Preisoptimierung und in der visuellen Produktsuche jeweils 48 Prozent.
Handel 2030: Autonome Lieferung, virtuelle Shopping-Welten und NFTs?
Nach Vorstellung der Händler spielt im Handel von morgen aber nicht nur KI eine Rolle: 77 Prozent der Händler glauben, dass im Jahr 2030 sehr weit oder eher weit verbreitet sein wird, dass in stationären Geschäften keine Kassensysteme mehr genutzt werden, sondern das Bezahlen beim Verlassen des Geschäfts automatisch abläuft. 69 Prozent glauben, dass die Lieferung von Produkten direkt an die Haustür durch autonome Fahrzeuge sehr weit oder eher verbreitet sein wird. Über die Hälfte (54 Prozent) der Händler meint, 2030 würden virtuelle Shoppingwelten wie das Metaversum, die es ermöglichen in digitalen Umgebungen einzukaufen und mit anderen Personen zu interagieren, sehr weit oder eher verbreitet sein. Ebenso glauben 54 Prozent, der Handel wird durch den Einsatz digitaler Lösungen rund um die Uhr geöffnet sein, und 53 Prozent erwarten eine weite Verbreitung von KI, die im Haushalt aufgebrauchte Produkte erkennt und eigenständig die Nachbestellung übernimmt.
42 Prozent meinen, dass Produkte 2030 mit einem NFT, also einem unverfälschlichen digitalen Abbild versehen sein werden, über das sich Informationen zu Produktionsbedingungen und Echtheit abrufen lassen. Knapp jeder fünfte Händler (19 Prozent) ist der Meinung, dass holografische Produktpräsentationen sehr weit oder eher weit verbreitet sein werden. Diese würden es ermöglichen, Produkte in 3D und lebensecht zu erleben, ohne physisch vor Ort zu sein. Dass KI anlassbezogene Einkaufslisten auf Zuruf erstellt, zum Beispiel ein Outfit für eine Hochzeit oder Zutaten für ein Drei-Gänge-Menü, und dabei auch aktuelle Preise und Verfügbarkeiten berücksichtigt, sehen nur 17 Prozent als künftig sehr weit oder eher weit verbreitetes Szenario für 2030.
Zwei Drittel des Handels sehen sich als digitale Nachzügler
Bis diese Zukunftsszenarien tatsächlich Realität werden, scheint es aber noch ein weiter Weg: Zwei Drittel der Handelsunternehmen (68 Prozent) sehen sich bei der Digitalisierung eher als Nachzügler, 3 Prozent sagen gar, sie haben den Anschluss verpasst. 23 Prozent sehen sich eher als Vorreiter, 4 Prozent an der Spitze. Rohleder: „Digitalisierung im Handel ist inzwischen viel mehr als ein Online-Shop. Hinter einem online erfolgreichen Unternehmen stehen auch digitalisierte Geschäftsprozesse. Wer Rechnungen noch ausschließlich auf Papier verschickt, wird es auch schwer haben, zum Beispiel virtuelle Shoppingwelten oder KI-gestützte Bestellvorgänge einzubinden.“
E-Commerce: Eigene Websites und Mails vor Plattformen
Wer online verkauft, tut dies in der Regel unter anderem über einen unternehmenseigenen Shop auf der Website: 93 Prozent der Handelsunternehmen mit Online-Handel nutzen diesen Verkaufskanal. Eine Bestellung per E-Mail bieten 87 Prozent an, auf Online-Marktplätzen beziehungsweise Verkaufsplattformen verkaufen 7 von 10 Online-Händlern (69 Prozent) ihre Produkte und Dienstleistungen. Bei lediglich 23 Prozent lässt sich über Social-Media-Plattformen bestellen und bei 13 Prozent über eine unternehmenseigene App. Online-Handel bedeutet aber nicht, dass das Verkaufen rein digital erfolgt: Immer noch 63 Prozent der Handelsunternehmen mit Online-Handel bieten auch eine Bestellung per Fax und 57 Prozent eine Bestellung per Telefon oder Post an.
Hinweis zur Methodik: Grundlage der Angaben ist eine Umfrage, die Bitkom Research im Auftrag des Digitalverband Bitkom durchgeführt hat. Dabei wurden 503 Unternehmen aus Groß-, Einzel- und Kraftfahrzeughandel ab 10 Beschäftigten in Deutschland telefonisch befragt. Die Befragung fand im Zeitraum von KW 25 bis KW 33 2023 statt. Die Umfrage ist repräsentativ.
www.bitkom-research.de