Die Zertifizierung nach ITIL gilt als Goldstandard im IT-Service-Management (ITSM). Doch ist sie auch der beste Weg zur Prozessoptimierung – oder eher ein kostenintensives Privileg? Und welche Alternativen gibt es?
Ursprünglich in den 1980er-Jahren von der britischen Regierung entwickelt, um ineffiziente IT-Prozesse in der öffentlichen Verwaltung zu standardisieren, hat sich ITIL (Information Technology Infrastructure Library) in den letzten Jahrzehnten zu einem weltweit anerkannten Referenzmodell für IT-Service-Management entwickelt. Der aktuelle Rechteinhaber, PeopleCert, hat die Vermarktung professionalisiert – und gleichzeitig eine Debatte ausgelöst: Sollte ein privatwirtschaftliches Unternehmen über ein so wichtiges Framework die Kontrolle ausüben?
„Wir haben das Geschäftsmodell nicht erfunden”, sagt Markus Bause, Vice President Product & Marketing bei PeopleCert. „Schon 2013 wurde ITIL im Zuge eines Joint Ventures kommerzialisiert. Unser Ziel war und ist es, das ITIL-Ökosystem weiterzuentwickeln.” Heute umfasst ITIL 34 Practices, darunter klassische Bereiche wie Incident Management, Change Enablement oder auch Service Request Management. Die Einführung ist modular möglich, was Unternehmen je nach Reifegrad und Ressourcen ein individuelles Vorgehen erlaubt.
Ein teurer Spaß?
Der deutsche Open Source-ITSM-Anbieter KIX Service Software hat sich beispielsweise in 15 dieser Practices zertifizieren lassen. „Unsere Kunden fragen gezielt nach zertifizierten Prozessen“, erklärt CEO Rico Barth. „Die unabhängige Prüfung durch PeopleCert bringt uns hier einen echten Wettbewerbsvorteil.” Auch intern habe sich die Zertifizierung positiv ausgewirkt. „Wir mussten unsere Dokumentation präzisieren, die internen Abläufe schärfen – das hat sich gelohnt.”
Die Kosten allerdings sind nicht außer Acht zu lassen: Neben Lizenzgebühren entstehen Aufwendungen für Schulungen, Vorbereitung und die Prüfverfahren selbst. Für kleinere Anbieter kann das zur Hürde werden. Bause räumt das ein: „Darum bieten wir abgestufte Zertifizierungen an. Auch einzelne Practices können zertifiziert werden – das signalisiert Kunden des Softwareherstellers bereits Qualität.”
In einer zunehmend regulierten Welt, in der gesetzliche Vorgaben wie der Cyber Resilience Act oder der IT-Grundschutz des BSI Unternehmen zum Handeln zwingen, gewinnt eine ITIL-Zertifizierung zusätzlich an Relevanz. Sie steht nicht nur für technische Kompetenz, sondern auch organisatorische Reife.
Alternativen zu ITIL
Alternative Frameworks zu ITIL gibt es auch, diese füllen aber meist bestimmte Nischen aus: FitSM etwa ist ein schlankes, europäisches Framework, das besonders für kleinere Organisationen attraktiv ist. Es setzt ebenfalls auf klare Prozesse, bleibt aber lizenzfrei. COBIT hingegen adressiert vor allem die IT-Governance und ist bei Unternehmen mit hohem regulatorischem Druck verbreitet. Das Business Process Framework (früher eTOM), ursprünglich aus der Telekommunikationsbranche, betrachtet Geschäftsprozesse umfassender, über die IT hinaus. CMMI schließlich legt den Fokus auf Prozessreife und kontinuierliche Verbesserung – unabhängig vom konkreten IT-Service-Kontext.
ITIL hat in den letzten Jahren daran gearbeitet, agiler zu werden. Die Einführung von Practices statt starrer Prozesse, die stärkere Einbindung von Governance- und Continual-Improvement-Elementen sowie die Betonung der „Service Value Chain” zeigen: Auch das führende Framework passt sich dem Wandel an.
Zwischen Qualität und Marketing
Für KIX ist die Zertifizierung kein Selbstzweck. „Sie ist für uns auch ein Marketinginstrument”, sagt Barth. „Mit unseren zertifizierten Practices spielen wir auf Augenhöhe mit großen Anbietern wie Matrix42, USU oder Atlassian.” Die Kunden honorierten das – sowohl bei Ausschreibungen als auch in der Bestandskundenpflege.
Doch nicht nur Software wird geprüft. Bause betont: „Wir haben vor über 25 Jahren mit der Zertifizierung von Menschen begonnen. Denn ITIL ist nur so gut wie die Menschen, die es umsetzen.” Auch heute noch machen Personalzertifizierungen einen Großteil der ITIL-Schulungen aus.
Ob ITIL Pflicht oder Kür ist, hängt vom Umfeld und Anspruch des Unternehmens ab. Klar ist: Wer regulatorisch auf Nummer sicher gehen will, wer international tätig ist oder schlicht die Qualität seiner IT-Services steigern möchte, kommt an ITIL nicht vorbei. Für andere hingegen können schlankere Frameworks wie FitSM oder gezielte Prozessoptimierungen die sinnvollere Wahl sein.
Am Ende bleibt ITIL ein Gütesiegel – mit allem, was dazugehört: Aufwand, Struktur, aber auch Anerkennung.
(vp/PeopleCert)