Onlineshops, die ihre Verkaufskanäle auf neue Plattformen und Regionen ausdehnen, kommen früher oder später an den Punkt, an dem das gewachsene tägliche Bestellaufkommen einen spürbaren Rückstau im Bearbeitungsablauf verursacht.
Probleme mit Bestellungen häufen sich im Kundensupport, während die zuständigen Mitarbeitenden Schwierigkeiten haben, in Einzelfällen manuell Ausnahmen im System vorzunehmen, um aufgetretene Probleme zu lösen. Die Verwaltung von Online-Bestellungen wird zunehmend kompliziert. Ein Teil des Bestands scheint zudem ein Schattendasein zu führen, da er sich schlichtweg nicht dort befindet, wo er laut System sein sollte, was sich in Überverkäufen und stornierten Bestellungen äußert. Die Ursachen dafür werden durch ein inadäquates Management von Bestandsdaten begründet.
Leistungsgrenzen von ERP-Systemen im E-Commerce
Meist nutzen Onlineshops eine Shop-Plattform in Kombination mit ihrem Enterprise Resource Planning (ERP) System, in dem alle Bestell- und Warenverkehrsprozesse zusammenlaufen. Und dort liegen in der Regel die Ursachen für derartige Probleme. ERP-Systeme sind darauf ausgelegt, sämtliche Kernprozesse im Unternehmen zu steuern, Einblick in das gesamte Unternehmen zu geben sowie finanzrechtliche Dokumentations- und Auskunftsfähigkeit zu unterstützen.
Auditierbarkeit und Rückverfolgbarkeit, langfristige Speicherung und die analytische Vorbereitung strategischer Geschäftsentscheidungen sind die Bereiche, für die ERP-Systeme nach wie vor unabdingbar sind. Ihre Aufgabe besteht darin, der Geschäftsführung eine Bestandsaufnahme zu liefern, unter anderem über die erfolgten Verkäufe, den tagesaktuellen Umsatz und den derzeitigen Warenbestand. Sie sind nicht dafür entwickelt, die Prozesse, die diesen Daten zu Grunde liegen, zu verfeinern oder zu beschleunigen, denn ihr Fokus liegt auf der buchhalterischen Unterstützung. ERP-Systeme nutzen Batchverarbeitung, um ihre Daten zu aktualisieren, was in manchen Fällen nur einmal pro Tag geschieht.
Da Onlinehandel jedoch rund um die Uhr stattfindet, können zwischen den Aktualisierungszeitpunkten zahlreiche neue, noch nicht abgeschlossene Anfragen an das Shopsystem eingegangen sein. Beispielsweise kann es passieren, dass ein Kunde eine Bestellung platziert und das Shopsystem ihm dafür eine Auftragsbestätigung mit angekündigtem Lieferzeitfenster zugeschickt hat. Doch einen Tag später, nach Aktualisierung der Warenbestandsdaten durch das ERP-System, stellt sich heraus, dass zum Zeitpunkt seiner Bestellung einer oder mehrere Artikel seines Warenkorbs schon gar nicht mehr vorrätig waren. Derartige Vorkommnisse sorgen nicht nur für Frust beim Kunden, sie beschädigen vor allem das Vertrauen in den Shop und senken die Chancen auf weitere Einkäufe in der Zukunft.
Ab einem gewissen Anfrageaufkommen sind ERP-Systeme als alleinige Informationsquelle für Warenbestandsdaten zu schwerfällig. Sie sind dafür da, Betriebsabläufe für die Geschäftsführung umfassend zu dokumentieren, nicht um die Warenverfügbarkeit für die Kunden, die momentan auf den Shop zugreifen, zu optimieren. Verbesserungspotenziale in Waren- und Lieferverkehr sowie in der Bestellabwicklung bleiben damit ungenutzt.
Erhöhte Fulfillment-Anforderungen
Der Erfolg von Onlineshops hängt maßgeblich davon ab, ob es gelingt, Kundenvertrauen herstellen zu können. Eine individualisierte, an den Kundenbedürfnissen orientierte Einkaufserfahrung mit zuverlässigem Fulfillment ist dafür eine wesentliche Voraussetzung. Im stationären Handel könnte man sich dieses Ideal anhand eines engagierten Verkaufsmitarbeiters vorstellen, der die Wünsche seiner Kunden versteht und keine Mühen scheut, diesen zu entsprechen. Er kennt nicht nur die Waren auf der Verkaufsfläche, sondern auch den Bestand des Warenlagers, inklusive retournierter Artikel und neu eingetroffener Lieferungen, auf die er bei Bedarf zurückgreift, um seine Kunden zufrieden zu stellen.
Überträgt man dieses Beispiel zurück auf den Onlinehandel, auf Shops mit mehreren tausend Besuchern gleichzeitig und komplexen Fulfillment-Strukturen aus mehreren Versandstandorten in unterschiedlichen Regionen und verschiedenen Versanddienstleistern wird deutlich: Es geht um Sekundenbruchteile, in denen zuverlässige Warenverfügbarkeitsinformationen bereitstehen müssen, um einerseits allen Kunden ein erfüllendes Einkaufserlebnis zu bieten und andererseits möglichst effizient zu verkaufen. Shopbetreiber sehen sich einer komplizierten Fulfillment-Logik gegenüber, für das sie spezifischere Anpassungsmöglichkeiten benötigen.
Grundregeln, wie beispielsweise die Aufteilung einer Lieferung nach Kundennähe genügt womöglich nicht mehr, um die gewünschte Lieferzeit einzuhalten. Stattdessen kann es nun erforderlich sein, festzulegen, wann die Lieferung geteilt und wie sie weitergeleitet wird. Oder sie muss gegen eingehenden Bestand verrechnet werden, damit die Bestellung erfüllt werden kann. Angesichts eines hohen Anfrageaufkommens im Onlineshop sollten derartige Logiken automatisiert erfolgen. Erhöhte Fulfillment-Anforderungen wie diese können in ERP-Systemen jedoch nicht abgebildet werden, ohne die Komplexität in der Bedienung stark zu erhöhen.
Fulfillment-Steuerung durch Distributed Order Management Systeme
Stattdessen kann es für Shopbetreiber sinnvoll sein, die Nutzung ihres ERP-Systems auf seine Kernfunktionen – Dokumentation und Datenanalyse – zu beschränken und für die Steuerung von Fulfillment-Prozessen sowie die automatisierte Umsetzung von Entscheidungslogiken ein Distributed Order Management System (DOM) einzusetzen. Ein DOM integriert sich nahtlos in verschiedene Systeme und Plattformen, nutzt APIs an allen Stationen des Fulfillment-Prozesses, aktualisiert Bestandsdaten in Echtzeit und orchestriert alle Abläufe zwischen Shop-Backend und Beschaffung. Es erlaubt eine individuelle, granulare Erstellung und Anpassung von Erfüllungslogiken, darunter unter anderem:
- Kategorisierung von Artikeln mit Produktattributen, wie zum Beispiel sperrig oder zerbrechlich, Kosten der Bestellung, Kategorisierung nach Gefahrgutstufe, um die am besten passende Versandoption zu wählen.
- Regelungen nach Standortattributen, wie beispielsweise Kapazität der Filiale, letztmögliche Abholzeit des Transportdienstleisters, Filiale mit dem größten oder ältesten Bestand, Fähigkeit, sperrige oder zerbrechliche Artikel zu versenden oder nach Niederlassungen mit den höchsten Abschlägen oder größten oder ältesten Beständen.
- Zuweisung von Verteilzentren für bestimmte Vertriebskanäle.
- Begrenzung der Zahl an Teillieferungen pro Bestellung.
- Unterschiedliche Fulfillment-Optionen je nach Kunden-Treuestatus.
- Liefer- und Abholoptionen für einzelne Artikel einer Bestellung.
- Alternative Fulfillment-Regelungen, wenn die bevorzugte Variante nicht umsetzbar ist.
Für Shopbetreiber entstehen dadurch neue Gestaltungsmöglichkeiten, die Effizienz entlang des gewünschten Kundenerlebnisses zu verbessern. Onlineshop-Besucher wiederum erleben eine erfüllende Einkaufserfahrung, da sie stets Optionen angeboten bekommen, die auf den tatsächlichen, momentanen Warenbestandsinformationen beruhen.
Synergien zwischen ERP und DOM
Durch die Ergänzung eines DOM lassen sich Fulfillment-Aufgaben vom ERP trennen und granular steuern. Ohne die Abhängigkeitvom ERP-System werden Shop-relevante Prozesse agiler, wodurch die Leistungsfähigkeit auch während Spitzenzeiten sichergestellt ist. Andererseits liefert das DOM jederzeit präzise Daten, die das ERP im gesamen Unternehmenskontext analysieren kann. Diese Ergebnisse können genutzt werden, um über das DOM Fulfillment-Logiken nachzujustieren. Durch dieses Zusammenwirken können Online-Shops bislang ungenutzte Verbesserungspotentiale freisetzen.