Wie hilfreich technologische Entwicklungen bei der Umsetzung nachhaltigerer Prozesse sein können, zeigt sich an vielen Stellen – so auch beim Hafenmanagement. Hier sind es vor allem die komplexen Be- und Entladevorgänge der Fracht- und Containerschiffe, die einerseits Energie verbrauchen, andererseits auch welche erzeugen. Um den Energiekreislauf möglichst geschlossen zu halten und den CO2-Fußabdruck von Hafenterminals zu reduzieren, setzen heute bereits einzelne Häfen auf den Einsatz Digitaler Zwillinge.
Voraussetzungen für den Erfolg eines Hafens ist die sichere, effiziente und intelligente Maximierung von Kapazität und Durchsatz. Zugleich wird das Ziel verfolgt, die logistischen Prozesse und den Übergang zwischen Schiff, Straße und Schiene so zu gestalten, dass die Folgen für die Umwelt möglichst minimal sind. In diesem Kontext steht auch das Projekt eines Hafens im Norden Deutschlands, bei dem zwei Containerbrücken, deren Kapazitäten für den Einsatz in diesem Hafen nicht mehr ausreichten, abgebaut und nach Estland verschifft wurden – quasi als Recycling-Projekt. Die Inbetriebnahme vor Ort wurde zudem genutzt, um einen Digitalen Zwilling des Energiemanagements dieser Containerbrücken zu erstellen, damit der Betrieb zukünftig energieeffizienter gestaltet werden kann.
Retrofit einer Terminalbrücke
Ursprünglich waren die beiden Brücken jahrelang für das Be- und Entladen von Containerschiffen im Einsatz; sie konnten Frachter mit bis zu 14.000 Containern löschen. Da inzwischen in den Großhäfen aber Frachtschiffe mit bis zu 23.000 Containern zuhause sind, war die Nutzung dieser Brücken in der alten Heimat nicht mehr lukrativ. Also musste Platz geschaffen werden für neue Container-Terminals mit einem größerem Verarbeitungsvolumen. Da die alten Brücken noch nicht schrottreif waren und ein estländischer Partnerhafen Interesse bekundet hatte, entschied man sich für die Verschiffung der 1.400 tonnenschweren Brücken.
Aus der Idee, die Containerbrücken einer weiteren Nutzung zuzuführen, entwickelten sich weitere Projekte, die dazu dienen, Prozesse, Kosten und den Energieverbrauch zu optimieren. Dass dabei die Digitalisierung und Automatisierung der verschiedenen Hard- und Software-Komponenten eine zentrale Rolle spielt, war klar. Da die Bauzeit der besagten Brücken über 20 Jahre zurücklag, entsprach der Digitalisierungsgrad nicht dem aktuellen Stand. Deshalb wurden die Brücken nach ihrer Überführung nicht einfach wieder aufgebaut, sondern mit modernen Hardware-Komponenten und Sensortechnik ausgestattet. Berücksichtigt wurden die verschiedenen IT-Ebenen der Digitalisierung, Automatisierung und Integration und man setzte auf eine offene und flexible Architektur, die auf zukünftige Anforderungen angepasst werden kann.
Man kann nur steuern, was man kennt
Da dem estnischen Hafenbetreiber der Umweltschutz wichtig war, entschied man sich, mit der Digitalisierung des Energiemanagements zu starten. Zum Hintergrund: Beim Hochheben eines Containers wird Energie benötigt, bei der horizontalen Bewegung vom Schiff an Land ist der Energieverbrauch geringer und beim Abladevorgang wird sogar Energie erzeugt. Ziel war es, den Strombedarf sowie die Stromerzeugung besser in den Hafenbetrieb zu integrieren. Eine Idee war, die in der Regel elektronisch betriebenen fahrerlosen Lastfahrzeuge, die bei der Landverladung zum Einsatz kommen, mit der beim Verladevorgang gewonnenen Energie zu versorgen. Der Vorteil bei dieser Art von Nutzung liegt darin, dass das operative Lademanagement der Fahrzeuge bereits einem hohen Digitalisierungsgrad entspricht und leicht nachvollziehbar ist, wo Strom benötigt wird.
Das größte Problem ist jedoch die Transparenz der Daten. Deshalb brachte man zusätzliche Strommesssensoren, sogenannte Power Meter, an. Um die so generierten Daten zielführend auswerten und nutzen zu können, wollte man die technischen Möglichkeiten der Digital-Twin-Technologie nutzen.
Digitaler Zwilling
Aber wie ist es möglich, die Sensordaten zu sammeln, sichtbar zu machen, zu strukturieren und auszuwerten? Besteht die Möglichkeit, die Daten des Digitalen Zwillings in das Hafenmanagement zu integrieren und an weitere Partnersysteme, z.B. SAP oder auch das in Häfen meistens verwendete Terminal Operating Systems (TOS) anzubinden? Können das Port Community System (PCS) und andere auftragsverwaltende Systeme mit einbezogen werden? Diese und andere Fragen wurden berücksichtigt als man sich für die Implementierung einer digitalen Datendrehscheibe entschied, die nicht nur für den Datenaustausch sorgen sollte, sondern die zugleich eine Lösung für die Zustandsüberwachung (Condition Monitoring) ermöglichen sollte. Der Plan: Neben der Erzeugung eines Digital Twins wollte man auch breite Auswertungs- und Anbindungsmöglichkeiten haben.
Und es funktionierte. Mit dem Business Integration Cluster, edbic von compacer, das heute als Datendrehscheibe im estnischen Hafen fungiert, werden nicht nur bisher verborgene Daten verfügbar und sichtbar gemacht, sondern auch die Daten der neuen Sensoren abgebildet. Die Datendrehscheibe sammelt sämtliche Daten, konsolidiert diese und stellt sie in einer einheitlichen Struktur, dem sogenannten Metaformat bereit. Dieses lässt sich problemlos in die vorhandene Softwarelandschaft integrieren. Das Resultat: Das Sammelsurium aus „alten Daten“ und neuen Sensorinformationen ist ein präzises Abbild aus Energiebedarf und -erzeugung und versetzt den Hafenbetreiber in die Lage, ein effizientes Energiemanagement zu betreiben.
Wurde in der Vergangenheit die beim Abladen erzeugte Energie noch als Wärme in die Luft abgegeben, so besteht heute die Möglichkeit diese zu speichern und für andere Zwecke zu nutzen. Eine KI-basierte Software entwickelt daraus sogar eine Energiebedarfsvorhersage. Die Kombination diese Daten mit denen aus anderen Gewerken, Anwendungen und Clouddiensten, versetzt den Hafen in der Lage den Stromverlauf etwa eine Woche im Voraus vorherzusagen mit einer Genauigkeit von 96 – 98 Prozent. Langfristig will man so einen optimal gestalteten Energiekreislauf etablieren, der den punktuellen Bedarf an Strom vorhersagt und die produzierte Energie in einen kontinuierlichen Prozess softwaregestützt wieder einbringt.
Das Digital-Twin-Prinzip multiplizieren
Basierend auf den Learnings in Estland möchten andere Häfen ebenfalls ihre Containerterminals umstellen und das Energiemanagement neuausrichten. Hinzu kommt dabei die Idee, das Prinzip des Digitalen Zwillings auf andere Bereiche auszuweiten. Beispielsweise könnten durch die Überwachung der Seillängen und damit verbunden der Seilqualität, Stillstandzeiten und Ausfälle von Containerbrücken frühzeitig erkannt und vermieden werden.
Auf dem Weg zum nachhaltigen Hafenmanagement ist die Verbindung horizontaler und vertikaler Prozesse der Schlüssel zum Erfolg und der digitale Zwilling die beste Grundlage für die Umsetzung. Wem es gelingt, die Daten der im Betrieb befindlichen Hafenkomponenten sichtbar zu machen und für eine Weiterverarbeitung aufzubereiten legt den Grundstein dafür, dass internationale Häfen „grüner“ werden.