Deutschland und die anderen EU-Länder geraten im Bereich der Digitalwirtschaft im Vergleich zu China, Südkorea und den USA immer weiter ins Hintertreffen. Das ist das zentrale Ergebnis einer Studie, die zwei Forscher an der Universität Bonn im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung erstellt haben.
Die Diagnose widerspreche den Aussagen der EU-Kommission. «Das geplante „Digitale Jahrzehnt“ wird Europa kaum in die Lage versetzen, um die „digitale Führung“ auf globaler Ebene zu konkurrieren», heißt es in der Studie, die am Dienstag in Berlin veröffentlicht wurde.
Die Forscher Maximilian Mayer und Yen-Chi Lu haben für ihre Analyse den «Digital Dependence Index» (DDI) entwickelt, der das Verhältnis von inländischer Nachfrage und ausländischem Angebot digitaler Technologien verdeutlicht. Auf den Idealwert zwischen 0 und 0,25 kommt demnach keine Region weltweit. Die USA sind die einzige führende Wirtschaftsnation mit einem DDI-Wert knapp unter 0,5. Diese Kennzahl bedeutet, dass das inländische Angebot den Großteil der digitalen Technologien liefert. Damit seien die USA beim Handel mit digitalen Gütern und Dienstleistungen, im Bereich der Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen sowie bei den geistigen Eigentumsrechten für digitale Technologien am besten aufgestellt.
In der Studie landet China mit dem DDI-Wert von 0,58 auf Platz 2, Südkorea mit 0,66 auf Platz 3. Deutschland und die anderen Länder der EU überschreiten alle die Schwelle von 0,75, die eine hohe Verwundbarkeit der Digitalwirtschaft signalisiert. Die Autoren werfen in diesem Zusammenhang die Frage auf, ob großangelegte EU-Projekte wie die Cloud-Initiative Gaia-X die richtige Wahl seien, um zum Aushängeschild für die Ambitionen in Bezug auf technologische Autonomie zu werden.
Wie sehr Europa ins Hintertreffen geraten sei, könne man auch an der Zahl der Patente ablesen, die im Umfeld der Digitalwirtschaft zugesprochen worden seien. «US-amerikanische, chinesische und südkoreanische Unternehmen melden immer mehr IKT-bezogene Patente an», heißt es in der Studie.
Deutschland mit einen DDI-Wert von 0,82 sei nur beim Handel in der Digitalwirtschaft halbwegs gut aufgestellt. Die Abhängigkeit von ausländischen Digitalplattformen sei dagegen sehr hoch. Auch beim geistigen Eigentum gebe es große Defizite. Daher sei die Forderung nach einer digitalen Souveränität Deutschlands unrealistisch und gleiche dem sprichwörtlichen Kampf gegen Windmühlen. Ein realistischeres Ziel könnte darin bestehen, eine Politik zu entwerfen, die das Abhängigkeitsniveau der Wirtschaft von «hoher Verwundbarkeit» zu «geringer Verwundbarkeit» bewegen.
dpa