Wenn wir an soziale Netzwerke denken, ist das Darknet vielleicht die letzte Assoziation, die einem hier in den Sinn kommt. Wenn doch, dann ist der nächste Gedanke wahrscheinlich direkt bei kriminellen Machenschaften. Tatsächlich beschäftigt sich die aktuelle Forschungslandschaft im Kontext der Darknet-Forschung, neben den technischen Aspekten, bisher vorrangig mit der Klassifikation von Darknet-Seiten (Hidden Services).
Aber von vorn. Warum nutzen Personen eigentlich soziale Netzwerkseiten? Einer Studie zur Folge geht es Personen hier vorrangig um Selbstpräsentation und um das soziale Bedürfnis “dazuzugehören”. Ferner zeigten Studienergebnisse, dass die Kommunikation mit Personen, die bereits aus dem offline-Kontext bekannt sind, sowie die Motivation auf dem Laufenden zu bleiben, im Vordergrund stehen.
Wie passt all das nun eigentlich zusammen? Selbstpräsentation und der Bezug zu Personen aus der offline-Welt auf der einen und Anonymität auf der anderen Seite?
Anonym in sozialen Netzwerken – wie passt das zusammen?
Aus psychologischer Sicht gibt es diverse Erklärungen, warum Personen in der Kommunikation zu bestimmten Themen eine Disassoziation des Inhalts zu ihrer Person anstreben. Eine davon betrifft die heterogene Zusammensetzung des Publikums bzw. der Freundesliste, die eine Vermischung verschiedener sozialer Rollen einer Person in der Kommunikation bedingt (sog. context collapse). So belegen Studien, dass vor diesem Hintergrund politische Kommunikation auf sozialen Netzwerkseiten als nicht sehr erstrebenswert wahrgenommen wird. Das lässt sich leicht nachvollziehen, wenn man sich nur einmal auf das Gedankenspiel einlässt, wie man seine Meinung entsprechend der sozialen Verortung des Gegenübers (Kollege, Familie, Grundschulfreund, usw.) different darstellt.
Lösungsmöglichkeiten für dieses potenzielle Risiko finden sich beispielsweise in der Verwendung von sozialer Steganografie. Hierbei wird der Inhalt so kommuniziert, dass er nur von den ihn betreffenden Personen verstanden wird. Eine weitere Möglichkeit besteht in einem Wechsel des Kommunikationskanals. Ein solcher Wechsel stellt auch ein Verlegen der Kommunikation in den Kontext des Darknets dar. Genau hier liegt der Fokus des vorliegenden Artikels. Insbesondere handelt es sich hierbei um eine Analyse eines sozialen Netzwerks im Darknet unter der Annahme des Modells von anonymer Kommunikation. Anonymität ist hierbei nicht beschränkt auf die Ausprägungen von “anonym” bzw. “nicht anonym”, sondern kann weiter differenziert werden.
Betreffend soziale Netzwerkseiten heißt das insbesondere, dass wir hinsichtlich des technischen Hintergrunds zwischen Clear- und Darknet unterscheiden müssen. Zudem gilt es, in den jeweiligen Kontexten zwischen den Strukturen der Identitätsinformationen zu unterscheiden. So finden wir im Clearnet soziale Netzwerke, auf denen Personen sich authentifizieren und unter ihrem Klarnamen agieren (bspw. Facebook), aber auch differente Formen von pseudonymen Plattformen wie Reddit oder Jodel.
Struktur, Kommunikationsthemen und das Privatheitsverhalten von Nutzer:innen im Darknet
Wie ist nun aber eine soziale Netzwerkseite im Darknet hinsichtlich ihrer Struktur, der dort stattfindenden Kommunikation und des Privatheitsverhalten der Nutzer:innen konstituiert? In einer eigens durchgeführten Studie galt es, ein besseres Verständnis dafür zu erlangen, wie ein soziales Netzwerk im Vergleich zu den bekannteren Formaten im Clearnet aufgebaut ist. In diesem Zuge lag der Fokus auf der Struktur des Netzwerks sowie auf den Themen der Kommunikation und dem Privatheitsverhalten der Nutzer:innen. Im Vergleich der strukturellen Merkmale sozialer Netzwerkseiten im Clear- und Darknet konnten insbesondere Unterschiede betreffend der Implementierung von Profilen und Freundeslisten festgestellt werden.
Hinzu kommt, dass es gängig ist, Nutzer:innenprofile nur für einzelne Posts, über kurzen Zeitraum oder auch nur ein einziges Mal zu verwenden. Eine Analyse der Häufigkeit der Aktivitäten pro Profil über die Zeitspanne der Erhebung zeigte, dass für einige Profile wiederholt Aktivitäten stattfanden, für andere aber nur zu einem einzigen Zeitpunkt Aktivität zu verzeichnen war. Hintergrund ist, den Aufbau einer Online-Identität zu vermeiden.
Die Themen der Kommunikation auf einer sozialen Netzwerkseite im Darknet spiegelten ein vielfältiges Themenfeld wider, dass sich in die folgenden drei Gruppen subsumieren lässt:
- Beiträge mit technischem Fokus,
- Beiträge, die kommunikations- und austauschorientiert waren und
- Beiträge, die bei einer Verknüpfung von Inhalt und dazugehörender offline-Identität als potenziell sozial riskant einzuschätzen sind. Dies betrifft insbesondere Kommunikation zu sozial unerwünschten Themen, wie auch Tabuthemen. Ein Beipsiel in dieser Kategorie betrifft den offenen Austausch zu gesundheitlichen und psychischen Problemen.
Was auffällt, ist, dass trotz des technisch anonymen Kontextes weitere Maßnahmen zur Verschleierung eingesetzt werden. Und das ohne, dass kriminelle Machenschaften im Vordergrund stehen.
Das heißt jetzt jedoch nicht, dass soziale Netzwerke im Darknet generell frei von Kriminalität sind. Die Ergebnisse der Untersuchung basieren auf einem einzigen sozialen Netzwerk und bieten einen ersten Einblick. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Berichterstattungen zum Darknet tendenziell einseitig stattfinden, ist eine unvoreingenommene wissenschaftliche Betrachtung dieses Kommunikationsraumes im Spannungsfeld von kriminellen Machenschaften und dem Bedürfnis nach anonymer Kommunikation enorm wichtig.
Hier können Sie die anderen Teile der Darknet-Serie lesen:
Teil 1: Darket – Licht im Dunkeln
Weiterbildung Cybersecurity
Das Fraunhofer Lernlabor Cybersicherheit bietet für Sie eine Weiterbildung mit praxisnahen Übungen an, in der Sie technische und rechtliche Perspektiven und die Inhalte im Darknet kennenlernen, damit Sie Chancen sowie Risiken der Anonymität und Zensurfreiheit im Darknet beurteilen können.
Im interdisziplinären Projekt “Parallelstrukturen, Aktivitätsformen und Nutzerverhalten im Darknet (PANDA)” untersuchen Wissenschaftler des Fraunhofer SIT die Bedeutung des Darknets für die zivile Sicherheit.
Alexandra Lux