Die Angst vor Cyberangriffen und einem möglichen Cyberkrieg wächst in Deutschland. Eine aktuelle Studie des Digitalverbands Bitkom zeigt, dass 70 Prozent der Bevölkerung die Gefahr durch Cyberkriminalität als hoch einstufen und Deutschland gleichzeitig als schlecht vorbereitet ansehen.
Noch gravierender: 61 Prozent fürchten explizit einen Cyberkrieg, doch rund zwei Drittel glauben, dass das Land darauf nicht angemessen vorbereitet ist. Diese Zahlen verdeutlichen eine alarmierende Diskrepanz zwischen der wahrgenommenen Bedrohung und den getroffenen Schutzmaßnahmen.
Behörden und Verwaltung unzureichend gerüstet
Besonders kritisch wird die Situation im Bereich der öffentlichen Verwaltung und Institutionen wie Polizei oder Bundeswehr gesehen. Nur 23 Prozent der Befragten trauen diesen Einrichtungen zu, gut gegen Cyberangriffe gewappnet zu sein. Demgegenüber stehen 70 Prozent, die angeben, dass Deutschland insgesamt schlecht auf digitale Angriffe vorbereitet ist. Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst betont: „Deutschland wird täglich digital angegriffen. Die Grenzen zwischen Cybercrime und hybrider Kriegsführung, zwischen privaten und staatlichen Akteuren sind inzwischen fließend.“
Wintergerst fordert eine verstärkte Absicherung nicht nur der Verwaltung, sondern auch der kritischen Infrastruktur und Unternehmen. Denn die Bedrohung durch Cyberangriffe geht weit über den reinen Datendiebstahl hinaus. Laut der Studie sind 71 Prozent der Meinung, dass künftige Kriege hauptsächlich mit digitalen Mitteln ausgetragen werden. Zudem sehen 63 Prozent Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen als größere Gefahr als konventionelle militärische Angriffe.
Wer bedroht Deutschlands Cybersicherheit?
Die deutsche Bevölkerung sieht die Hauptgefahr für Cyberattacken von ausländischen Geheimdiensten (78 Prozent) und der organisierten Kriminalität (67 Prozent) ausgehen. Politische und religiöse Extremisten (59 Prozent) sowie Einzelpersonen mit kriminellen Motiven (41 Prozent) werden ebenfalls als Bedrohung wahrgenommen.
Besonders kritisch betrachtet wird Russland, das 98 Prozent der Befragten als Cyberbedrohung einstufen. Auch China (84 Prozent) und Nordkorea (44 Prozent) stehen weit oben auf der Liste. Erstaunlicherweise betrachten 32 Prozent sogar die USA als potenzielle Bedrohung für Deutschlands Cybersicherheit, noch vor dem Iran (29 Prozent) oder Belarus (17 Prozent). Wintergerst sieht in dieser Einschätzung eine deutliche Verschiebung der geopolitischen Wahrnehmung: „Die Grenzen zwischen Freund und Feind sind nicht mehr so klar wie noch vor 10 oder 20 Jahren.“ Er betont die Notwendigkeit digitaler Souveränität für Deutschland und Europa.
Angriffe auf Untersee-Kabel als neue Gefahr
Besonders beunruhigend sind aktuelle Attacken auf Untersee-Kabel, die eine zentrale Rolle für den internationalen Datenverkehr spielen. Fast zwei Drittel (63 Prozent) der Deutschen fürchten, dass diese Infrastruktur zu leicht sabotiert werden kann. Daher fordern 80 Prozent mehr Kabelverbindungen zur Absicherung der Netzwerke. Zudem sprechen sich 77 Prozent für spezielle Einsatzteams aus, um Schäden schnell zu beheben, und 69 Prozent fordern, dass solche Sabotageakte wie militärische Angriffe gewertet werden.
Wintergerst warnt: „Die vermutliche Sabotage von Untersee-Kabeln zeigt auch die physische Bedrohung unserer kritischen Infrastruktur durch nicht staatliche und nicht militärische Akteure.“ Entsprechend fordert eine Mehrheit eine verstärkte Überwachung dieser Infrastruktur, unter anderem durch Satellitentechnologie.
Cyberkrieg: Deutschland muss sich rüsten
Die Sorge vor einem digitalen Krieg ist weit verbreitet: 61 Prozent der Deutschen befürchten, dass es dazu kommen könnte. Interessanterweise ist diese Angst bei jüngeren Menschen (59 Prozent) etwas geringer als bei älteren (69 Prozent). Frauen (65 Prozent) zeigen sich besorgter als Männer (58 Prozent). Die technologische Fähigkeit zur digitalen Kriegsführung wird vor allem Russland (76 Prozent), den USA (75 Prozent) und China (74 Prozent) zugeschrieben. Deutschland selbst sehen 61 Prozent als technisch befähigt, aber in der Abwehr schlecht vorbereitet.
Wintergerst fordert eine gezielte Stärkung der digitalen Verteidigungsfähigkeit: „Wer im Cyberraum angreifbar ist, wird sich auch in der physischen Welt nicht erfolgreich verteidigen können.“ Die Studie zeigt große Unterstützung für weitreichende Maßnahmen: 75 Prozent befürworten einen digitalen Katastrophenschutz, 73 Prozent fordern Investitionen in die Sicherheit kritischer Infrastrukturen. Auch Cyber-Bündnisse nach dem Vorbild der NATO (68 Prozent) sowie Notfallschulungen für die Bevölkerung (56 Prozent) werden befürwortet.
Stockende Umsetzung der Sicherheitsstrategie
Trotz der klaren Bedrohungslage und vieler Forderungen aus Politik und Wirtschaft bleibt die Umsetzung der nationalen Sicherheitsstrategie hinter den Erwartungen zurück. Von den 30 vorgesehenen Maßnahmen wurden lediglich zwei vollständig umgesetzt. 19 befinden sich in der Umsetzung, und neun wurden bislang nicht einmal begonnen. Ein Beispiel für den Stillstand ist die geplante Erweiterung des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zu einer zentralen Behörde für Cybersicherheit, die aus Mangel an parlamentarischer Unterstützung verschoben wurde.
Wintergerst mahnt: „Ambitionierte Strategien und Agenden nützen nichts, wenn es beim beschriebenen Papier bleibt. Die nächste Bundesregierung muss die nötigen Maßnahmen ohne weitere Verzögerung umsetzen.“
Es zeigt sich: Die Bedrohung durch Cyberangriffe ist real und nimmt stetig zu. Deutschland steht vor der Herausforderung, nicht nur seine digitale Verteidigung auszubauen, sondern auch eine strategische und nachhaltige Sicherheitsarchitektur zu etablieren. Ohne entschlossenes Handeln könnte das Land in der digitalen Welt zunehmend verwundbar werden.