Cyberangriffe sind die unsichtbare Front moderner Konflikte. Unternehmen, Behörden und kritische Infrastruktur stehen zunehmend unter Beschuss.
Während Firewalls und Virenscanner oft als erste Verteidigungslinie gelten, agiert im Hintergrund eine wenig bekannte, aber für die Sicherheit und Stabilität der Wirtschaftsnation Deutschland entscheidende Gruppe: die Cyber-Reservisten.
Bürger in Uniform
Sie analysieren Bedrohungsszenarien, trainieren den Ernstfall auf NATO-Ebene und unterstützen bei der digitalen Krisenbewältigung. Cyber-Reservisten zählen zu den Schlüsselakteuren der deutschen IT-Sicherheitsarchitektur. Als hochqualifizierte IT-Fachkräfte bringen sie ihr Wissen aus Wirtschaft, Forschung und Verwaltung gezielt in militärische Strukturen ein – häufig ehrenamtlich und mit klarem Auftrag. Ihre Mission: Sicherheitslücken erkennen, Angriffe frühzeitig identifizieren und die digitale Resilienz stärken. Teils über den Reservistenverband der Deutschen Bundeswehr organisiert, teils über eine Beorderung an das Kommando Cyber- und Informationsraum angeschlossen, engagieren sich die Spezialisten der Cyber-Reserve für eine sichere digitale Infrastruktur. Ihr Beitrag reicht von Personalgewinnung über Fachkräftevernetzung bis zur Partizipation an multinationalen Übungen. Tech- und Cybersecurity-Begeisterte finden hier ein Umfeld, in dem zivil erworbene Expertise unmittelbar in sicherheitsrelevante Aufgaben einfließt – im Dienst der Bundeswehr und der gesamtstaatlichen Verteidigungsfähigkeit.
Plattform für digitale Wegbereiter
In Hamburg besteht seit Anfang 2022 eine Cyber-Reservistenarbeitsgemeinschaft, kurz CRAG, die sich mit Cybersicherheit auseinandersetzt. Interessierte treten über ein persönliches Erstgespräch mit der Leitung bei und finden schnell Anschluss. In Think-Tanks eingebunden, beteiligen sie sich an Vorträgen und Diskussionsrunden. Experten aus dem In- und Ausland fördern den kontinuierlichen Wissensaustausch. Die Community organisiert Workshops, unter anderem in Zusammenarbeit mit der Führungsakademie der Bundeswehr, nimmt an Messen und Meetups teil und präsentiert die Bundeswehr als Bürger in Uniform wirksam nach außen. Dabei spielt der Kontakt zur Privatwirtschaft eine zentrale Rolle: Der Dialog zwischen militärischen und zivilen Experten schafft Synergien für beide Seiten.
KI, Taktik und Tabletop
Die inhaltliche Arbeit der Cyber-Reservisten fokussiert zukunftsrelevante IT-Sicherheitsthemen.
Ein Projekt widmet sich der Verbesserung des Lagebildes mithilfe künstlicher Intelligenz, indem Fotoaufnahmen – etwa von militärischen Fahrzeugen – automatisch erkannt und klassifiziert werden. Derartige Technologien beschleunigen die Informationsgewinnung und unterstützen die Lagebeurteilung erheblich. Ebenso unterstützen Cyber-Reservisten bei der Entwicklung von Planspielen, wie das Educational Wargame „HyDRA“ das hybride Bedrohungsszenarien simuliert. „HyDRA“ meint „Hybrid Warfare Defence, Resilience and Awareness Game”. Die Community entwirft Szenarien mit, testet sie und trägt damit zur Weiterentwicklung der Ausbildungsmethoden bei.
Auch die Teilnahme an multinationalen Übungen gehört zum Aufgabenspektrum der Cyber-Reservisten. Als Exercise Controller überprüfen sie die Zielerreichung, identifizieren Schwachstellen und entwickeln Verbesserungsvorschläge. Sie agieren als Analysten oder Teamleiter und bringen ihr Know-how in komplexe Übungsszenarien ein. Übungen wie „Defence Cyber Marvel“ oder die international renommierte „Locked Shields“ untermalen die Bedeutung dieser Arbeit. Zu diesen Anlässen treffen sich Cyber-Reservisten vieler Nationen und intensivieren darüber ihre Zusammenarbeit.
Mit Methoden wie Scrum steuert die Cyber-Reserve dynamische Entwicklungsprozesse, entwickelt Prototypen und bereiten deren Übergabe an die Bundeswehr oder den Cyber Innovation Hub vor. Die meisten Entwicklungen entstehen auf Basis von Open-Source-Technologien. Cyber-Reservisten nutzen private Entwicklerumgebungen und eigene Infrastrukturen, um unabhängig und kostenbewusst zu arbeiten. Der Zeitaufwand bleibt beachtlich. Über 120 Stunden investieren die Mitglieder ehrenamtlich im Schnitt pro Projekt – zusätzlich zu ihren beruflichen Verpflichtungen.
Global denken, lokal wirken
Trotz ihrer hohen Einsatzbereitschaft stoßen die Cyber-Reservisten auf strukturelle Hürden. Vor allem bei materiellen Ressourcen zeigt sich Nachholbedarf. Die Cyber-Community arbeitet sparsam, improvisiert, nutzt private Software und Hardware. Dies zeugt einerseits von einer hohen Lösungsorientierung und andererseits von der Notwendigkeit, langfristig umfassendere Unterstützung bereitzustellen. Die internationale Zusammenarbeit verdeutlicht, wie wichtig einheitliche Prozesse und abgestimmte Terminologie sind. Begriffe wie J7, die auf NATO-Ebene eingeführt wurden, hielten auch in nationalen Strukturen Einzug. Gemeinsame Übungen und der ständige Austausch begünstigen das Verständnis über Ländergrenzen hinweg. Persönliche Begegnungen auf internationalen Events stärken das Netzwerk und den Teamgeist. Die Bundeswehr profitiert von diesen Beziehungen, muss dafür jedoch vermehrt in den Aufbau und die Pflege dieser Netzwerke investieren.
Darüber hinaus wächst der Bedarf, die Cyber-Reservisten enger mit den Heimatschutzkompanien zu verzahnen. Diese Einheiten, traditionell auf den physischen Schutz von Liegenschaften und Infrastrukturen fokussiert, verfügen zunehmend auch über cyberaffine Mitglieder der jungen Generation. Der Schulterschluss zwischen beiden Bereichen verspricht wertvolle Synergien. Gemeinsame Ausbildungen und Übungen bündeln Kompetenzen und verbessern die Einsatzfähigkeit.