Die Wahrnehmung der Veränderungsvorhaben hängt maßgeblich davon ab, wie viele und welche Erfahrungen Mitarbeiter mit Umgestaltungen gemacht haben. Welche Informationspolitik ist also während eines Change Prozesses zielführend?
Jahrhundertelang, über Generationen hinweg ist und bleibt die Frage nach der Wahrheit strittig. Sie gehört zu den zentralen Problemen der Philosophie und der Logik. Auch der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick stellte fest: „Es ist ein Dilemma mit der Wahrheit“, als er sich der Frage widmete, wie wirklich die Wirklichkeit sei. Ein Paradoxon, das sich besonders im Umgang mit geplanten Veränderungen zu einer schwierigen Gratwanderung entpuppen kann. Die Wahrnehmung solcher Veränderungsvorhaben hängt maßgeblich davon ab, wie viele und welche Erfahrungen Mitarbeiter mit Umgestaltungen gemacht haben. Wie viel „Wahrheit“ im Sinne von Informationen brauchen die involvierten Akteure eines Unternehmens über anstehende Veränderungen? Wäre es manchmal nicht ratsamer, im Vorfeld zu schweigen, um unnötige Spekulationen und Gerüchte im Vorhinein zu unterbinden?
Gefährliche Halbwahrheiten
Anstehende Veränderungsprozesse sollten stets gut durchdacht in Angriff genommen werden. Grundsätzlich gestaltet es sich schwierig, vor einem Change-Prozess genau abschätzen zu können, wie viele Informationen tatsächlich notwendig sind. Es hängt stets vom Empfänger und seiner aktuellen Situation ab, wie er Informationen aufnimmt oder verarbeitet. Eines ist jedoch sicher: Halbwahrheiten oder gar Lügen führen nicht zum Erfolg. Im Gegenteil – solche absichtlichen Irreführungen fliegen früher oder später auf und stiften nur Verwirrung bei den Betroffenen. Auch mangelnde oder fehlende Auskünfte hinterlassen ein ungutes Gefühl und fördern Unsicherheit oder Angst. Die Betroffenen stellen sich vermehrt Fragen wie: „Was bedeutet die bevorstehende Veränderung für mich? Ist mein Arbeitsplatz gefährdet?“ Während eines Change-Prozesses lassen sich Unsicherheiten kaum restlos aus dem Weg räumen, denn „Angst haben wir alle. Der Unterschied liegt in der Frage wovor.“ (Frank Thiess)
Abwehr und Angriff
Ein Veränderungsprozess ist ein einschneidendes Ereignis, das den betroffenen Akteuren mitunter eine neue sowie ungewohnte Verhaltensweise abverlangt. Dieser Umstand führt zu einem erhöhten Konflikt- und Stresspotenzial aller Beteiligten. Unklarheiten im neu eingeführten oder veränderten System sowie verschiedene Meinungen über Vorgehensweisen bieten oft Anlass für Streitigkeiten. Nicht selten kommt es vor, dass die von den Veränderungen betroffenen Akteure ihre bisherige Verantwortung und ihre Position in Gefahr sehen. Diese Vermutung endet häufig in einer Kampfansage an Kollegen und das Unternehmen. Um den Erhalt der bisher erreichten Position wird gekämpft, selbst wenn dies dazu beiträgt, die Veränderungen zu vermeiden oder die Festigung des neuen Systems zu verhindern. Somit lautet die erste Devise in vielen Köpfen: Angriff!
Flucht ist auch keine Lösung
Grundsätzlich kann Angst in zwei Reaktionen münden: Angriff und Flucht. Dabei gibt Angriff dem Betroffenen eine Form von Kontrolle über die Lösung von bedrohlich empfundenen Situationen. Das Gefühl, etwas aktiv zu tun – und sei es nur, Widerstand zu leisten –, wirkt sich beruhigend aus. Flucht wiederrum ist der passive Ausdruck von Angst. In diesem Falle erstarrt der Mitarbeiter und verharrt in alten Denkmustern. Beide Reaktionen, sowohl Angriff als auch Flucht, korrespondieren als Reaktionsmuster mit den Perspektiven Misstrauen und Vertrauen. Dabei handelt es sich insofern um keine Gegensätze, sondern unterschiedliche Sichtweisen zur Bewertung der Chancen aus Angriff und Flucht. (Seeger, Kerstin; Seeger, Adrian: Management von Industrieleistern. Herausforderungen, Konzepte, Beispiele, (Gabler), Wiesbaden 2010, S. 75.)
Bild 1: Verbale und nonverbale Verhaltensauffälligkeiten bei „Angriff“
Bild 2: Verbale und nonverbale Verhaltensauffälligkeiten bei „Flucht“
Vom richtigen Zeitpunkt
Eine gelungene Informationspolitik steht in engem Zusammenhang mit der gelebten Führungskultur und den Kompetenzen der beteiligten Führungskräfte. Ohne Fingerspitzengefühl jedoch lässt sich die Aufgabe nicht erfolgreich bewältigen. Es ist die Aufgabe der Managementebene, die richtigen Informationen zum geeigneten Zeitpunkt empfängergerecht bereitzustellen, zu erklären, Missverständnisse zu vermeiden und ein gutes Gespür für die Stimmung unter den betroffenen Akteuren zu entwickeln. Ein zentraler Erfolgsfaktor bei der Implementierung von Veränderungsprozessen ist die klare Information über das Geplante. Dazu zählen vor allem das Ziel der Veränderung und die damit verbundenen Schritte sowie der daraus resultierende Nutzen und die Notwendigkeit. Verstehen die Betroffenen die Beweggründe und erkennen den Nutzen der Veränderung auch für ihre eigene Position, fällt es ihnen leichter, Maßnahmen zu akzeptieren. Der Inhalt einer Information variiert dabei mit der Phase der Veränderung. Hierfür gilt es zentrale Fragen zu beantworten:
- Warum wird eine Veränderung angestrebt?
- Welche angestrebte Veränderung soll erreicht werden?
- Wer ist in die Veränderung involviert?
- Warum soll sich der/die Betroffene ändern?
- Welche Medien werden für die Kommunikation der geplanten Maßnahmen verwendet?
- Wer wird den Veränderungsprozess durchführen? / Wer sind die Ansprechpartner?
Verpackung ist alles
Wie lässt sich eine Botschaft gut verpacken, damit sie die betroffenen Mitarbeiter wie gewünscht erreicht und keine Angst schürt? Gerade bei Veränderungsprozessen ist eine vorsichtige, aber nicht beschönigende Wortwahl angebracht. In der Praxis hat es sich als hilfreich erwiesen, weniger von Veränderungen zu sprechen als vielmehr von Weiterentwicklung. Die Botschaft an die Betroffenen könnte lauten: „Wir sind heute gut und um noch besser zu werden, ist es notwendig, den nächsten Schritt zu gehen!“ Dieser Ansatz trifft auf deutlich mehr Akzeptanz als die Haltung: „Wir sind schlecht und müssen uns dringend verändern!“ Das muss allerdings glaubwürdig und ehrlich transportiert werden, denn sonst wird es schnell als Phrase erkannt und verfehlt die Wirkung. Eine objektive und umfassende Information kann grundlegend dazu beitragen, unbegründete Befürchtungen und Ängste abzubauen. Hierbei lassen sich drei verschiedene Arten nützlicher Informationen unterscheiden: Als Erstes solche, die durch Gründe, Ziele und Phasen der beabsichtigten organisatorischen Veränderung transparent gemacht werden. Als Nächstes Informationen, die den Betroffenen helfen, ihre neuen Rollen und Aufgaben zu verstehen und richtig auszufüllen, wie beispielsweise durch Training und Simulation. Letztlich gibt es noch Informationen, die sich auf die Auswirkungen der Veränderung beziehen und etwa Aussagen zu Status, Arbeitsplatz und Einkommen enthalten.
Das Ziel vor Augen
Warum ist die geplante Veränderung überhaupt notwendig? Diese Frage beschäftigt die betroffenen Mitarbeiter. Führungskräfte sind gefragt, dies adäquat zu beantworten. Dabei hilft ein möglichst klares, positives Zielbild. Mit solch einem Bild lässt sich der Nutzen der Veränderung für die individuellen Abnehmer aufzeigen und motiviert diese gleichzeitig, auf das Ziel hinzuarbeiten. Alle folgenden Aktivitäten erhalten somit einen nachvollziehbaren Sinn. Denn ohne Basis ergeben angestrebten Veränderungen keinen Sinn. Schon Konfuzius wusste: „Wenn über das Grundsätzliche keine Einigkeit besteht, ist es sinnlos, miteinander Pläne zu machen.“
Nur mit einem adäquaten Informationsfluss bekommen die Mitarbeiter die Chance, Rückfragen zu stellen. Hieraus entsteht ein meist produktiver Austausch, der sich zur Vorstufe der Partizipation entwickelt. Demzufolge geht es weniger um die Menge der Informationen, sondern vielmehr um ihre Qualität. Diese Vorgehensweise hat einen maßgeblichen Einfluss auf das Verhalten der betroffenen Akteure, denn die Entscheidung, ob ein Mensch eine Veränderung annimmt oder nicht, vollzieht sich in seiner eigenen Wirklichkeit. Vor einer möglichen Akzeptanz muss bei den Betroffenen erst eine positive Geisteshaltung entstehen, die die geplante Weiterentwicklung befürwortet. Das Schaffen von Transparenz bleibt dabei die beste Basis für Vertrauen. Angst hingegen ist kein guter Berater – weder aufseiten der Führungskräfte noch als betroffener Mitarbeiter. Das gilt für den normalen Arbeitsalltag und im Besonderen für einen anstehenden Change Prozess.
Ulrich Göbbels ist seit 2013 Senior Consultant bei der aretas GmbH in Aschaffenburg. Er war von 1996 bis 2004 bei der GZS als Supervisor und Projektmanager für IT-Großprojekte tätig. Nach einem Projekt für den Landkreis Bergstraße arbeitete er von 2005 bis 2008 als Bezirksleiter im Vertrieb und zeitweise als Teilprojektleiter. Von 2008 bis 2010 war er Lead-Trainer im Projektmanagement und Trainer und Consultant im Service-Management. Im Anschluss war er als Lead-Trainer für Projekt- und Risikomanagement und als Managing Consultant tätig.
Martin Beims ist Impulsgeber für Service-Management und Service-Innovation in Deutschland. Er ist einer der Geschäftsführer der aretas GmbH in Aschaffenburg, die er gemeinsam mit Dr. Roland Fleischer und Nico Kroker gründete. Bis zur Unternehmensgründung im Jahr 2010 war er in führenden Beratungsunternehmen für Service-Management als Berater und Trainer tätig und verfügt über langjährige Erfahrung als Seminarleiter und Referent. Martin Beims ist Autor des Bestsellers „IT-Service Management in der Praxis mit ITIL“ und des Onlinemagazins „Der Service Kompass“, Mitautor weiterer Fachbücher rund um das Thema „Service“ und Mitglied des IDG-Expertennetzwerks.