Die Corona-Pandemie hat für grundlegende Veränderungen in der Arbeitswelt gesorgt – und damit für große Herausforderungen für Unternehmen. Diese Herausforderungen erfordern neue Lösungen und eine Weiterentwicklung der Personalstrategie.
Immer mehr Schlagzeilen verkünden, dass die “Great Resignation” Deutschland erreicht haben soll. Worum genau handelt es sich bei diesem Phänomen?
Josef Günthner: Die “Great Resignation” ist eine Kündigungswelle, die sich in Gang setzte, nachdem sich die Wirtschaft leicht von der Coronakrise erholt hatte. Begonnen hat sie in den USA, aber mittlerweile ist der Trend auch in Deutschland spürbar. Das hat beispielsweise auch die Gallup-Studie 2021 gespiegelt: Knapp ein Viertel der Deutschen möchte binnen eines Jahres nicht mehr bei seinem derzeitigen Unternehmen tätig sein, 42 Prozent wollen den Absprung innerhalb der nächsten drei Jahre wagen. Das sind überdurchschnittlich hohe Werte, die die deutschen Unternehmen zum Nach- und teilweise auch zum Umdenken anregen sollten.
Ist es wirklich – wie oft betont wird – allein die Pandemie, die für diese Entwicklung verantwortlich ist?
Josef Günthner: Ich denke nicht, nein. Hier geht es um Probleme, die zum Teil auch schon in den vergangenen Jahren auf dem Arbeitsmarkt bestanden haben. Mit der Pandemie kamen natürlich auch neue Herausforderungen dazu, aber in erster Linie hat ein Umdenken von Seiten der Arbeitnehmenden stattgefunden. Viele Menschen waren in Kurzarbeit; dadurch hatten sie deutlich mehr Zeit, sind zur Ruhe gekommen und haben reflektiert. Einige von ihnen hat das in eine Sinnkrise gestürzt und sie haben ihre tägliche Tätigkeit und deren Zweck hinterfragt. Bei anderen hat sich in dieser Zeit gezeigt, dass sie unzufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen sind. Gerade auf die Distanz waren viele Arbeitgebende etwas nachlässig in Sachen Wertschätzung, Vertrauen und was die Anpassung ihres Talentmanagements anging.
Was genau versteht man denn überhaupt unter Talentmanagement?
Josef Günthner: Talentmanagement ist ein kontinuierlicher HR-Prozess. Es geht darum, hochqualifizierte Mitarbeitende zu gewinnen, zu halten und ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Grundlage für all diese Maßnahmen sollte eine starke und attraktive Arbeitgebermarke sein. Das Recruiting stellt dann die Weichen für eine lange Zusammenarbeit. Ein möglichst persönliches und schnelles Onboarding, bei dem die neue Arbeitskraft in die bestehenden Strukturen eingearbeitet wird, aber auch eigene Präferenzen berücksichtigt werden, ist dabei erfolgsentscheidend.
Nach diesem Schritt ist eine langfristig angelegte Strategie gefragt, die eben nicht von der Personalabteilung abseits des operativen Geschäfts entworfen werden sollte. Stattdessen sollte sie von Anfang an mit diesem verwoben werden. Das heißt: Jeder Schritt wird auch aus Personal-Sicht betrachtet und im Bedarfsfall angepasst.
Welche Herausforderungen für das Talentmanagement hat die Pandemie mit sich gebracht?
Josef Günthner: In den vergangenen Jahren hat sich unser Verständnis und unsere Art zu arbeiten stark gewandelt. Wir sind schneller als erwartet in der Zukunft der Arbeit angekommen – diese Veränderungen muss jetzt natürlich in die Verwaltung der Mitarbeitenden einbezogen werden. Viele Unternehmen arbeiten mittlerweile mit einer hybriden und eventuell sogar globalen Belegschaft. Das erfordert neue Skills von Führungskräften: Diese müssen auch über die Distanz dazu in der Lage sein, ihre Teams zu führen, neue Mitarbeitende zu integrieren und klar, sachlich und wertschätzend zu kommunizieren.
Gerade für Unternehmen, die sich noch immer mit diesen Veränderungen schwer tun, besteht die Gefahr, dass seine Angestellten unzufrieden werden und gegebenenfalls abwandern.
Was sind Ihre konkreten Handlungsempfehlungen für das Talentmanagement nach der Pandemie?
Josef Günthner: Es ist ganz entscheidend, seine Angestellten jetzt dort abzuholen, wo sie stehen und nicht mit dem Gefühl der Unsicherheit oder Unzufriedenheit alleine zu lassen. Gerade aufgrund des zum Teil sehr umfangreichen Personalwechsels sind Schulungen und Weiterbildungsmöglichkeiten elementar. Nicht nur, dass sich dadurch entstandene Wissenslücken schließen – für viele Angestellte bedeutet ein Fortbildungsangebot auch eine Form der Fürsorge, die ihnen ihr Unternehmen entgegenbringt.
Außerdem entscheidet oft das Gefühl der Sinnhaftigkeit darüber, ob ein Job als erfüllend wahrgenommen wird. Deshalb sollte man seine Mitarbeitenden je nach Priorisierung der Projekte flexibel einsetzen – eben da, wo sie wirklich gebraucht werden und Aufgaben übernehmen können, die ihnen liegen. Wenn dann gemeinsam eine übergeordnete Unternehmensvision verfolgt wird, ist schon viel getan. Denn das verleiht auch kleineren operativen Aufgaben einen Sinn und misst ihnen damit einen Wert bei. Es ist also eine Kombination aus strategischen Entscheidungen und “weichen” Faktoren, die jetzt entscheidend ist. Dafür müssen vor allem Führungskräfte sensibilisiert werden.
Was sind denn beispielsweise solche “weichen” Faktoren?
Josef Günthner: Es sollte immer ein Auge auf die Employee Experience geworfen werden. Also: Wie sind die Erlebnisse und Erfahrungen, die die Angestellten an ihrem Arbeitsplatz sammeln? Befindet sich ein Teammitglied häufig im Homeoffice oder arbeitet sogar ausschließlich remote, muss dafür gesorgt werden, dass es sich dem Unternehmen zugehörig und nicht isoliert fühlt. Nur so werden sich alle Mitarbeitenden auch langfristig als Team fühlen und genug Engagement aufbringen, um produktiv zu arbeiten.
Und ein weiterer Schlüsselfaktor ist sicherlich die Wertschätzung. Auch auf die Distanz möchten Angestellte, dass sie und ihre erbrachte Leistung gesehen werden. Hier ist Kommunikation das A und O. Geäußerte Wünsche und Bedürfnisse sollten in die Planung künftiger Projekte mit einbezogen werden. Außerdem sollte man seinem Team Vertrauen und Freiheiten in der Prozessgestaltung schenken; denn diese gibt Raum für Kreativität und persönliche Entfaltung. Das wiederum motiviert, zu bleiben.