Jane Hart ist eine der bekanntesten Persönlichkeiten für Corporate Learning und Gründerin des Centre for Learning & Performance Technologies (C4LPT). Im Interview spricht sie über Modern Workplace Learning, die Zukunft des Lernens und darüber, wie Robotik, Künstliche Intelligenz (KI) und Deep Learning das Lernen verändern werden.
Als Mitglied des Kongresskomitees der LEARNTEC (29. bis 31. Januar 2019, Messe Karlsruhe) gestaltet Jane Hart einen englischsprachigen Vortragsteil zu Modern Workplace Learning.
Auf der LEARNTEC führen Sie durch die dreitägige englischsprachige Session zum Thema Modern Workplace Learning. Ist das in den Unternehmen nicht längst etabliert?
Für die meisten Unternehmen und ihre Mitarbeiter bedeutet Lernen am Arbeitsplatz Ausbildung. Dabei vergessen sie, dass Lernen auf vielen Wegen erfolgt – meistens während der Arbeit. Einige Personalentwickler haben verstanden, dass es mehr als nur E-Learning und Präsenzschulungen gibt. Sie wissen aber nicht, wie sie damit umgehen sollen. Modern Workplace Learning ist ein neuer Ansatz, um alle Lernformen innerhalb und außerhalb des Unternehmens zu unterstützen.
Wie würden Sie Modern Workplace Learning definieren?
Modern Workplace Learning umfasst drei Hauptbereiche in der Personalentwicklung: Die Förderung eines stetigen Lernprozesses, die kontinuierliche Verbesserung der Arbeit und den Zugang zu aktuellen Inhalten, Veranstaltungen und Erfahrungen.
Wie würde das perfekte Lernszenario aussehen?
Das wäre ein Szenario, bei dem jeder die Verantwortung für seine Weiterentwicklung übernimmt, um seine eigenen beruflichen Interessen zu verfolgen. Ein Szenario, bei dem Manager verstehen, dass Lernen kontinuierlich am Arbeitsplatz stattfindet und nicht nur ab und zu im Schulungsraum. Eines, bei dem Lernen als fortlaufender Prozess verstanden wird, der neue Ideen und Denkweisen hervorbringt.
Wie und wo können Mitarbeiter das für ihren Job erforderliche Wissen erwerben, wenn nicht innerhalb des Betriebs?
Sie erwerben es beispielsweise durch Lesen, das Anschauen von Videos oder durch den Austausch in Online-Netzwerken und Communities. Es liegt an jedem Einzelnen, die richtigen Orte und Menschen zu finden, um für sich selbst den besten Nutzen zu erzielen. Einige Menschen haben die Bedeutung des eigenständigen Lernens noch nicht verstanden. Sie können sich aber nicht mehr darauf verlassen, dass ihr Unternehmen ihnen alles bereitstellt. Wenn die Unternehmen es trotzdem machen, hilft es ihnen bei der Mitarbeiterbindung. Die einzigen Schulungen, die zwingend vom Unternehmen durchgeführt werden müssen, sind Compliance-Schulungen und andere regulatorische und obligatorische Trainings. Das persönliche und berufliche Lernen ist Sache jedes Einzelnen.
Wie wird sich Lernen in Zeiten von Robotik, Künstlicher Intelligenz (KI) und Deep Learning verändern?
Untersuchungen zeigen, dass KI die meisten Jobs nicht ersetzt, sondern verändert. Jeder muss agil sein und sich weiterentwickeln wollen. Jeder Mitarbeiter sollte ständig neues Wissen und neue Fähigkeiten erwerben. Unternehmen können ihre Mitarbeiter auf die Arbeit mit Robotern und Cobots vorbereiten, aber wer die Weiterbildung völlig dem Management überlässt, ist der erste, der geht.
Aber wie können Mitarbeiter eigenständig lernen, mit KI zu arbeiten?
Bei der Arbeit mit Robotern brauchen Wissensarbeiter nicht unbedingt die dahinterstehende Technologie zu verstehen. Sie müssen nur wissen, wie sie mit ihr arbeiten sollen – etwa um Entscheidungen zu treffen. Ich finde es wichtiger, effektiv mit Kollegen zu kooperieren. Unternehmen sollten kollaboratives Lernen am Arbeitsplatz unterstützen und dazu eine Kultur des Wissensaustauschs fördern.
Werden Menschen und Roboter eines Tages im selben Klassenzimmer sitzen?
Wer weiß… aber wahrscheinlich sitzen sie eher am selben Arbeitsplatz. Die Mehrheit der Roboter werden keine Humanoide sein, sondern intelligente Software.
Welches Wissen wird in Zukunft benötigt und müssen Mitarbeiter sich dazu neue Lernmethoden aneignen?
Ich würde eher von Fähigkeiten als von Wissen sprechen. Künftig geht es nicht darum, sich Fakten zu merken, sondern zu wissen, wo man sie findet. Die Menschen müssen die Rechercheergebnisse validieren können und darin Muster und Trends erkennen. Ich nenne es Professional Learning. Es gibt bereits viele Professional Learner, aber für andere ist eigenständiges Lernen Neuland. Diese müssen wir unterstützen. Manchmal ist es nur eine Frage der Motivation. Es geht nicht nur um formale Bildung, also einen Online-Kurs zu absolvieren oder ein Buch zu lesen, es geht um regelmäßiges Lernen – und das täglich.
Können Sie ein Beispiel geben, wie tägliches Lernen aussehen sollte?
Ich kann Ihnen ein sehr persönliches Beispiel geben: Ich bin seit 2008 auf Twitter unterwegs. Jeden Tag lese oder höre ich etwas in meinem Netzwerk, das mich im Bereich der Personalentwicklung voranbringt. In den letzten zehn Jahren habe ich Dinge gelernt, verlernt und neu gelernt – obwohl ich mir dessen nicht bewusst war. Ich weiß nur, dass es zu einer großen Menge an Wissen geführt hat, die ich sonst nicht erworben hätte. Viele Menschen lernen bereits so wie ich. Es geht darum, sich für die eigenen Interessensgebiete etwas Zeit zu nehmen. Nur 20 Minuten am Tag reichen aus, um etwas Neues zu lernen.
Sind die Unternehmen auf diese neue Ära vorbereitet?
Die Mehrheit bewegt sich noch immer in der traditionellen Ära von Schulung und Umschulung. In den meisten Unternehmen herrscht eine Führungskultur und Denkweise vor, bei der das Management für alles verantwortlich sein will. Anstatt die Trainingsaktivitäten ihrer Mitarbeiter nachzuverfolgen, sollten sie sie lieber in ihrer Entwicklung unterstützen. Erfolg sollte nicht am Gelernten gemessen werden, sondern an der Leistung. Leider verfolgen die meisten Unternehmen lieber die Bewegungen ihrer Mitarbeiter auf der Lernplattform.
Wie bewältigen Unternehmen den Wandel vom Lernen zur Leistung?
Es ist ein Bottom-Up- und kein Top-Down-Ansatz erforderlich. Ich schlage vor, mit einer Sensibilisierungskampagne zu beginnen, die den Menschen zeigt, was ein moderner Lernansatz für sie bedeutet. Die Personalentwicklung kann den Weg weisen, aber am Ende erwarten die Mitarbeiter Autonomie und Flexibilität. Einige Leute wissen nicht, wo sie anfangen und suchen sollen. Sie brauchen mehr Unterstützung durch die Personalentwicklung. Jedes Unternehmen hat seine individuellen Bedürfnisse. Es gibt kein Rezeptbuch, da muss jede Organisation Kreativität an den Tag legen.
Studien zeigen, dass die Halbwertszeit von Wissen dramatisch abnimmt. Nach welchen Kriterien sollen die Unternehmen entscheiden, welches Wissen ihre Mitarbeiter benötigen?
Wissen ist schnell veraltet. Vor einem Jahrhundert dauerte es rund 35 Jahre, bis die Hälfte des Wissens, das ein Ingenieur an der Hochschule gelernt hat, korrigiert oder ersetzt wurde. In den 1960er Jahren schrumpfte diese Zeitspanne auf ein Jahrzehnt. Nach neuen Schätzungen liegt die Halbwertzeit eines Ingenieurstudiums zwischen 2 ½ und fünf Jahren. Die Grundlagen bleiben erhalten, aber andere Dinge entwickeln sich weiter. Wer sich nicht mitentwickelt, wird seinen Job bald nicht mehr erfüllen können.
Wird der Support am Arbeitsplatz das Lernen ersetzen?
Es gibt eine Verschiebung von Kursen zu Ressourcen, die das On-Demand-Lernen unterstützen. Ein Video anzuschauen, um ein konkretes Problem zu lösen, ist weitaus flexibler und kostengünstiger als die Schulung von Hunderten von Menschen im Klassenzimmer.
In Ihrem Buch „Modern Workplace Learning 2019“ erwähnen Sie ein mehrstufiges Leben. Was meinen Sie damit und was hat das mit Lernen zu tun?
Früher bestand eine Karriere aus drei Stufen: Ausbildung, Arbeit, Ruhestand. In Zukunft werden wir ein mehrstufiges Leben führen: Wir arbeiten nach der Ausbildung als Festangestellter oder Freiberufler, in Voll- oder Teilzeit, und wir wechseln sogar mehrfach in unserem Arbeitsleben unseren Karriereweg. Für Unternehmen ist es oft billiger, Mitarbeiter für bestimmte Jobs oder Projekte einzustellen, als die eigenen Mitarbeiter weiterzubilden.
Welche Lernpräferenzen haben die Mitarbeiter selbst?
Seit 2011 führe ich jedes Jahr eine Umfrage durch, in der es genau um diese Frage geht. In der Umfrage von 2018 halten 94 Prozent der Befragten das Lernen aus ihrer täglichen Arbeit heraus für sehr wichtig oder wichtig, gefolgt vom Wissensaustausch im Team und der Websuche. Nur 29 Prozent finden klassische Schulungen sehr wichtig oder wichtig.
Immerhin fast ein Drittel der Befragten.
Ja, aber Präsenzschulungen stehen an letzter Stelle. Ich war selbst überrascht, wie unwichtig sie eingestuft werden. Eigentlich legen die meisten Personalentwickler wenig Wert auf klassische Schulungen und E-Learning – doch genau das ist ihre Aufgabe. Einer meiner Kollegen meint, dass viele Schulungen nur durchgeführt werden, um gesetzliche Vorgaben zu erfüllen.
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