Die Arbeitswelt befindet sich im Umbruch. Immer häufiger verlassen Fachkräfte ihren Job nicht still und leise, sondern mit lauter, manchmal dramatischer Geste – ein Akt der Abrechnung mit dem Arbeitgeber. Dieses Verhalten hat einen Namen: Revenge Quitting.
Was einst als „Quiet Quitting“ begann, also das stille Zurückziehen ins berufliche Minimum, ist inzwischen vielerorts einer aktiven, oft öffentlichkeitswirksamen Kündigung gewichen. Der Frust über unerfüllte Versprechen, destruktive Unternehmenskulturen und fehlende Wertschätzung entlädt sich nicht mehr im Rückzug, sondern in einem bewussten Signal: „So nicht mehr.“
Nicht nur Frust, sondern Systemversagen
Hinter dem Wunsch nach einem spektakulären Abschied steckt mehr als alltäglicher Ärger. „Beim Revenge Quitting geht es nicht nur um die Frustration bei alltäglichen Aufgaben, sondern um den Zusammenbruch der Kommunikation und das Versäumnis, die Ambitionen der Mitarbeitenden mit der Unternehmenskultur in Einklang zu bringen“, erklärt Dr. Ryne Sherman, Chief Science Officer bei Hogan Assessments. Die Ursachen reichen also tief und wurzeln oft in einem langfristig angespannten Verhältnis zwischen Mitarbeitenden und Unternehmen.
Gleichzeitig macht Sherman Hoffnung: „Die gute Nachricht? Es ist vermeidbar.“ Organisationen, die es schaffen, die emotionale Bindung ihrer Mitarbeitenden frühzeitig ernst zu nehmen, können vorbeugen.
Was Menschen wirklich wollen – und warum Pizza nicht reicht
Die klassischen „Goodies“ wie Gehaltserhöhungen, Gratis-Kaffee oder ein Tischkicker im Pausenraum reichen vielen Beschäftigten längst nicht mehr. Stattdessen rücken Themen wie Flexibilität, persönliche Entwicklung und Work-Life-Balance in den Mittelpunkt.
Laut einer Erhebung der ManpowerGroup sehen 35 % der europäischen Beschäftigten keine ausreichenden Möglichkeiten zur beruflichen Weiterentwicklung in ihrem Unternehmen – ein Alarmsignal. Fehlen Perspektiven, steigt das Risiko der inneren Kündigung oder eben des bewussten Abgangs mit Nachdruck.
Um dem entgegenzuwirken, braucht es echtes Interesse an den Bedürfnissen der Mitarbeitenden. „Um dem einen Schritt voraus zu sein, müssen Unternehmen transparente Konzepte einführen, echte Flexibilität bieten und offene Feedback-Kanäle einrichten“, betont Dr. Ryne Sherman. Wer zuhört und sich mitentwickelt, bleibt attraktiv – nicht nur für die bestehenden, sondern auch für potenzielle neue Teammitglieder.
Führung als Schlüssel – oder Stolperstein
Ein nicht zu unterschätzender Faktor beim Revenge Quitting ist die Qualität der Führung. Fehlende Unterstützung durch Vorgesetzte, mangelndes Vertrauen oder gar toxisches Verhalten führen häufig dazu, dass sich Mitarbeitende entfremden und schließlich gehen – mit Ansage.
Eine aktuelle Gallup-Studie zeigt, dass Führungskräfte entscheidend zum Engagement der Mitarbeitenden beitragen. Satte 70 % des Mitarbeiter-Engagements hängen direkt von ihnen ab. Umgekehrt sind Teams mit empathischen, strukturierten und ruhigen Führungspersönlichkeiten drei Mal stärker emotional gebunden.
Investitionen in Führungskräfteentwicklung sind deshalb kein Bonus, sondern eine Notwendigkeit. Nur wer seine Führungskräfte befähigt, kann seine Talente halten.
Vertrauen schafft Sicherheit – und bindet Menschen
Der vielleicht wichtigste Schutzschild gegen dramatische Kündigungen liegt in der sogenannten psychologischen Sicherheit. Das bedeutet: Mitarbeitende müssen sich trauen dürfen, Kritik zu äußern, neue Ideen einzubringen oder auch Fehler zu machen – ohne negative Konsequenzen fürchten zu müssen.
Dr. Sherman bringt es auf den Punkt: „Die Schaffung psychologischer Sicherheit ist nicht nur eine HR-Initiative, sondern auch eine geschäftliche Notwendigkeit.“ Wo Vertrauen herrscht, steigt nicht nur die Mitarbeiterbindung, sondern auch Innovationskraft und Leistungsbereitschaft.
Gerade angesichts der Tatsache, dass laut Weltwirtschaftsforum rund 40 % der Beschäftigten weltweit einen Jobwechsel in Betracht ziehen, wird klar: Unternehmen, die keine vertrauensvolle Kultur schaffen, riskieren, auf breiter Front Talente zu verlieren.
Wer auch künftig die besten Köpfe halten will, muss mehr bieten als schöne Worte. Authentische Führung, echte Perspektiven und ein sicheres Arbeitsumfeld sind keine Zugabe – sie sind das Fundament moderner Arbeitswelten.