Wenn Mitarbeiter nicht mehr zur Arbeit pilgern, sondern zuhause aus dem Home-Office arbeiten, hat dies oberflächlich betrachtet schöne Vorteile. Kein Arbeitsweg, dadurch mehr Zeit und die Umwelt atmet auch noch auf. Wunderbar.
Schaut man aber etwas genauer hin, kommt man sehr bald zum Schluss, dass Führungskräfte jetzt handeln müssen. Dabei müssen sie bereit sein für etwas, wofür sie nie ausgebildet wurden.
Schein und Sein
Natürlich haben wir immer alles im Griff. Auf die Frage «Bei dir alles klar?» erwarten wir eigentlich nur eine einzige Antwort: «Klar doch, bei dir auch?» Für viele Menschen ist aber der Druck im Home-Office nicht kleiner als im Unternehmen. Im Gegenteil. der Papagei mit Sprechdurchfall, die beiden Kinder, die nicht begreifen, warum Papa zuhause und doch nicht da ist, die Waschmaschine und in schwachen Momenten auch mal YouTube und die neue Clubhouse-App – sie alle buhlen um unsere Aufmerksamkeit und können den Fokus auf die To-do-Liste schnell zunichtemachen.
Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Gemäß einer repräsentativen Studie des Forschungsinstituts Link hat sich der Gemütszustand der Schweizer Bevölkerung innerhalb eines Jahres (von Januar 2020 bis Januar 2021) deutlich verschlechtert. Über die Hälfte der befragten Personen sagten, Ängste und Sorgen hätten zugenommen, ein Viertel der Befragten schliefen schlechter.
Viele Business-Experten glorifizieren den Schritt ins Home-Office. Zu wenig wird jedoch an die Schattenseiten gedacht. Wenn jemand in einer Dreizimmerwohnung mit zwei kleinen Kindern arbeiten soll, ist das nämlich nicht «gut machbar».
Fokus und Produktivität
Die Bedenken vieler Führungskräfte, dass die Produktivität im Home-Office leidet, ist meist unbegründet. Im Gegenteil: Eine Studie mit 16.000 Mitarbeitern („Does working from home work?“) ergab, dass die Menschen zuhause 13 Prozent produktiver sind. Auch eine UN-Studie zeigte, dass in den eigenen vier Wänden mehr unbezahlte Arbeit geleistet wurde. Aber ganz egal, ob Sie Studien trauen oder nicht: Wichtig ist, dass Menschen im Home-Office lernen, sehr schnell eine Struktur zu schaffen und sich ihrer Selbstdisziplin bewusst werden. Fehlt einem diese Erfahrung, findet man sich irgendwann im Pyjama, unrasiert und unfrisiert auf dem Bett mit dem Laptop wieder. Zum Glück werden regelmäßig Online-Sitzungen durchgeführt. Dies wirkt der Komfortzone entgegen, denn dann muss mindestens das obere Drittel des eigenen Körpers kameratauglich sein.
Nie gelernt: Führen auf Distanz
Führungskräfte haben eine doppelte Herausforderung: Sie müssen ihren eigenen Alltag bewältigen und neu erfinden und gleichzeitig ihre Mitarbeiter auf Distanz führen. Das ist keine einfache Disziplin, die man mit ein paar Tipps intus hat. Führen auf Distanz hat sehr viel mit Kultur und Vertrauen zu tun. Das bedeutet, dass sich möglichst alle zuerst auf ein Mindset-Update einlassen sollten. Das bedingt wiederum, dass sich alle bewusst machen und definieren, wie sie in dieser neuen Situation arbeiten wollen. Welche Kommunikations-Tools für was? Wie verwenden wir Messenger, wann E-Mail oder die Chat-Funktion des Intranets? Wie «funktionieren» Besprechungen wirklich? Bei dieser Gelegenheit könnte man auch gleich die ganzen Meetings (auch «Müdings» genannt), die früher live stattgefunden haben, kritisch hinterfragen. Zudem sollte man als Führungskraft Ideen im Köcher haben, wie man die Interaktion im Team fördert. Home-Office zwingt Führungskräfte das zu tun, was in ihrer Stellenbeschreibung ganz oben steht: Führen. Der Small-Talk in der Cafeteria entfällt gerade. Darum ist es wichtig, dass die Führungskraft diesen virtuell ersetzt. Jetzt ist sowieso die perfekte Gelegenheit, die Mitarbeiter ins gemeinsame Boot einzuladen, falls das noch nicht geschehen ist. Sprechen Sie über Kultur, über die Zusammenarbeit, über Chancen und Potentiale in der Zukunft. Legen Sie die coole Maske ab und zeigen Sie sich als Führungskraft so wie sie wirklich sind. Denn gerade in einer Krise wirkt gespielte Coolness nur noch kontraproduktiv.
Fokus und Motivation: Wer ist da zuständig?
Eine Führungskraft weiß nicht wirklich, wie es ihren Mitarbeitern im Home-Office geht. Der kleine Bildausschnitt in Zoom oder Teams offenbart nicht das innere Befinden. Jede Führungskraft hat jetzt die Chance, genau hier zu punkten. Indem sie sich um das mentale Wohlbefinden der anderen kümmert. Immer noch haben zu viele Unternehmen zwar im Leitbild verankert, dass die Mitarbeiter im Mittelpunkt stehen, aber in Weiterbildung, Inspiration und Motivation wollen sie dann doch nicht investieren. Zu teuer. Die Lohnkosten von 50 Mitarbeitern übersteigen schnell 250‘000 Euro pro Monat. Die Frage, ob es sich lohnen könnte, wenn Mitarbeiter etwas fokussierter, motivierter und inspirierter an die Arbeit gehen, ist dann eigentlich eine rhetorische.
Ja, Management-Gurus sagen, dass jeder Mitarbeiter selbst zuständig ist für seine Motivation. Das stimmt grundsätzlich schon. Aber in herausfordernden Zeiten ist alles etwas anders. Da wird es besonders geschätzt, wenn sich der Chef auch mal nach dem Wohlbefinden erkundigt und etwas Smalltalk betreibt.
Wer aber motiviert und inspiriert die Führungskräfte?
Es scheint ungerecht. Mitarbeiter solle man motivieren, loben und wertschätzen. Und wer macht das bei der Führungskraft? Führungskräfte sollten nicht darauf hoffen, gelobt zu werden. Vielmehr geht es darum, dass eine gute Führungskraft (wie auch Unternehmer) weiß, warum sie tut, was sie macht. Es geht hier also noch stärker um den Sinn der Arbeit. Hat man dies für sich selbst definiert, ist man weniger auf Lob und Anerkennung von außen angewiesen.
Das bedeutet, dass man dem Business-Buzzword «Mindset» jetzt doch wesentlich mehr Beachtung schenken sollte als bisher. In schwierigen Situationen, in denen wir wenig Erfahrung haben und sich vieles verändert, sind Ängste und Unsicherheit vorprogrammiert. Darum ist es wichtig, worauf wir uns fokussieren und wohin wir unsere Denkhaltung bewusst lenken. Liest und hört man im Stundentakt die neuesten Corona-Zahlen und die nächsten frustrierenden Lockdown-Maßnahmen, ist dies nicht der Nährboden für Inspiration und Motivation. Wir sollten etwas kritischer sein bei dem, was wir «da oben» reinlassen, weil es unsere Laune, unsere Energie und damit unsere Leistungsfähigkeit entscheidend beeinflusst.
Was kann man als Unternehmer und Führungskraft konkret für die Kollegen zuhause im Home-Office machen?
Fehlende Kontakte, fehlende Motivation und die oft fehlende Struktur (Vermischung von Beruf- und Privatleben) sind aktuell die wesentlichen Herausforderungen im Home-Office. Hinzu kommt ein falscher Fokus (weil die Arbeit zuhause mit der Waschmaschine, dem Staubsauger, YouTube, den Kindern und dem Goldfisch konkurriert).
Unterstützen Sie Ihre Mitarbeiter – das ist jetzt eine wichtige Führungsaufgabe. Inspirieren Sie sie mit Info-Snacks (Online-Vorträgen, kleinen Impulsen oder Diskussions-Sessions). Schenken Sie Ihren Mitarbeitern ein gutes Buch, das Sie gerade gelesen haben und das Sie nachhaltig inspiriert hat. Motivieren Sie mit guter Kommunikation und ernstgemeinter Wertschätzung. Und das Wichtigste: Interessieren Sie sich für Ihre Mitarbeiter im Home-Office. Vielleicht halten Sie dazu ja regelmäßig virtuelle »After Work Drinks« ab.
Und zu guter Letzt DER Tipp an alle Unternehmer und Führungskräfte: Bleiben Sie positiv! Übernehmen Sie die Verantwortung und agieren Sie. Geht mal etwas schief, richten Sie keine Schuldzuweisung an irgendjemanden. Denn das hilft Ihnen nicht und bringt auch Ihren Mitarbeitern nichts. Sie dürfen sagen, was abläuft und müssen die Krise nicht kleinreden. Sie dürfen auch mal Emotionen zeigen, aber Sie sollten, wenn immer möglich, beruhigend und positiv wirken.
Schlussendlich ist jede Krise eine mentale Herausforderung. Und als Führungskraft ist man eben nicht nur für sich selbst verantwortlich, sondern muss auch stets für seine Mitarbeiter da sein. Geschieht dies unterstützend, wohlwollend und wertschätzend und vermitteln Führungskräfte Sinn, bleiben Teams und Unternehmen auch in Krisen leistungsfähig.
Stefan Dudas, Leadership-Experte für Sinn in Unternehmen, https://www.stefandudas.com/