Können Menschen Maschinen konstruieren, die denken können wie ein Mensch, ein Bewusstsein haben und vielleicht sogar Gefühle? Diese Frage treibt längst nicht mehr nur Science Fiction-Autoren um. Spätestens seit dem Siegeszug von ChatGPT staunt und schaudert die Menschheit ob der Fähigkeiten von künstlicher Intelligenz.
Physiker, Neuro- und Kognitionswissenschaftler Dr. Patrick Krauss von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) erforscht, wie Mensch und Maschine denken und erklärt im Interview, was die Maschine vom Menschen lernen kann – und umgekehrt.
Herr Krauss, vor zwei Jahren hat eine künstliche Intelligenz, nämlich ChatGPT, den so genannten Turing-Test bestanden, ein Verfahren, das erdacht wurde, um zu entscheiden, ob eine Maschine über die Fähigkeit zu denken verfügt. Wie ordnen Sie dies ein?
Dr. Patrick Krauss: Das Bestehen des Turing-Tests zeigt, dass Maschinen prinzipiell in der Lage sind, in einer Weise zu kommunizieren, die von menschlichen Gesprächspartnern als natürlich empfunden wird. In den Kognitionswissenschaften ist Denken gleichbedeutend mit Informationsverarbeitung. In Bezug auf Maschinen wie ChatGPT bedeutet „denken“, dass sie Sprache verstehen, indem sie Muster in Daten erkennen und auf dieser Basis Antworten generieren.
Was unterscheidet menschliches und maschinelles Denken?
Dr. Patrick Krauss: Bei beiden Systemen stehen wir vor der enormen Aufgabe, verstehen zu wollen, wie aus einer Vielzahl von Einzelkomponenten – den natürlichen oder künstlichen Nervenzellen – ein koordiniertes, funktionales Ganzes entsteht.
Unser Verständnis des Gehirns hat sich zwar erheblich verbessert, aber die genauen Mechanismen, wie die ca. 86 Milliarden Nervenzellen zusammenarbeiten, sind noch nicht vollständig entschlüsselt. Das Gehirn weist eine extrem komplexe Netzwerkstruktur auf, in der die Neuronen durch Synapsen miteinander verbunden sind. Diese Verbindungen können sich als Antwort auf Erfahrungen ändern, was die Basis für Lernen und Gedächtnis bildet.
Ähnlich verhält es sich mit KI-Systemen. Obwohl wir die Algorithmen kennen, die diesen Systemen zugrunde liegen, ist das Verständnis darüber, wie diese Algorithmen interagieren, begrenzt, besonders bei tiefen Lernmodellen, wo selbst die Entwickler oft nicht genau erklären können, warum ein bestimmtes Ergebnis erzielt wurde.
Die Wissenschaft versucht, mithilfe künstlicher Intelligenz zu einem besseren Verständnis der komplexen Prozesse und Strukturen des Gehirns zu gelangen. Umgekehrt nutzt die Forschung Erkenntnisse über das Gehirn, um künstliche Intelligenz besser zu verstehen. Wie kann man sich das vorstellen?
Dr. Patrick Krauss: Die Synergie zwischen Hirnforschung und KI eröffnet also völlig neue Möglichkeiten, die Grenzen beider Felder zu erweitern.
Die Methoden, die beispielsweise dazu entwickelt wurden, das Gehirn zu verstehen, können auch auf KI-Systeme angewendet werden. Außerdem verwenden wir Erkenntnisse über die Funktionsweise des Gehirns, um noch bessere KI-Systeme zu entwickeln. So können durch die Verbesserung künstlicher neuronaler Netzwerke, die biologischen Prinzipien folgen, effizientere und robustere KI-Systeme geschaffen werden, die weniger Rechenleistung benötigen und gleichzeitig leistungsfähiger sind. Umgekehrt versuchen wir, durch die Simulation spezifischer Gehirnregionen und deren Interaktionen, die zugrunde liegenden neuronalen Mechanismen von kognitiven Funktionen wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit oder Sprachverarbeitung besser zu verstehen.
KI-Systeme haben den entscheidenden Vorteil, dass sie im Gegensatz zum Gehirn zu jeder Zeit voll zugänglich und beobachtbar sind. Außerdem können wir an ihnen beliebige Experimente durchführen, welche an lebenden Gehirnen aus ethischen oder technischen Gründen unmöglich wären. Diese Erkenntnisse helfen dann wiederum, KI-Systeme zu entwickeln, die diese Funktionen noch besser emulieren oder unterstützen.
Darüber hinaus werden KI-Methoden dazu eingesetzt, um große Mengen an neurologischen Daten zu analysieren, die durch bildgebende Verfahren gewonnen werden. Diese Methoden können dabei helfen, Muster und Zusammenhänge zu erkennen, die für menschliche Forscher zu komplex oder zu subtil sind.
Fortschritte in der KI tragen ebenfalls zur Entwicklung von Gehirn-Computer-Schnittstellen bei, die es ermöglichen, neuronale Aktivitäten direkt in Maschinensteuerung umzusetzen, etwa um Prothesen zu bewegen oder Computer direkt mit Gedanken zu steuern.
Mittlerweile zeigt künstliche Intelligenz in vielen Anwendungsgebieten beeindruckende Leistungen – zum Teil bessere, als sie ein Mensch erzielen würde. Müssen wir Angst haben, dass der Mensch bald von der KI abgelöst wird?
Dr. Patrick Krauss: KI-Systeme können große Datenmengen schneller und oft genauer analysieren als Menschen. In Bereichen, in denen es um wiederholbare und gut definierte Routineaufgabe geht, kann KI die Effizienz und Genauigkeit steigern. Durch KI können auch Prozesse automatisiert und optimiert werden, indem sie die effizientesten Wege zur Erreichung eines Ziels findet.
Doch ihr fehlt noch echte menschliche Kreativität, die völlig neue Ideen und Konzepte hervorbringt. Auch fehlt KI noch das Verständnis für menschliche Emotionen in einer Weise, die für soziale Interaktionen und Führungsrollen entscheidend ist. Und schließlich können KI-Systeme nicht eigenständig ethische Überlegungen anstellen.
Die Integration von KI in die Arbeitswelt bedeutet daher nicht zwangsläufig, dass menschliche Arbeitskräfte überflüssig werden. Vielmehr verändert sich die Art der Arbeitsplätze. Einige Berufe könnten durch KI ersetzt werden, insbesondere solche, die repetitive und vorhersehbare Aufgaben umfassen.
Durch die Kombination der Stärken von Mensch und KI können wir eine Zukunft gestalten, in der Technologie die menschliche Kapazität eher erweitert, anstatt sie zu ersetzen.
Im Jahr 2022 erregte eine Meldung weltweit Aufsehen, wonach ein Software-Spezialist des Google Mutterkonzerns Alphabet behauptete, dass eine dort entwickelte KI Bewusstsein besitze und Gefühle zeige. Ist ein künstliches Bewusstsein noch Science Fiction?
Dr. Patrick Krauss: Aktuell gibt es in der wissenschaftlichen Gemeinschaft keinen Konsens darüber, dass irgendeine existierende KI tatsächlich Bewusstsein entwickelt hat. Tatsächlich besteht in der Hirnforschung nicht einmal Einigkeit darüber, wie Bewusstsein überhaupt entsteht und wie man zweifelsfrei feststellt, ob ein bestimmtes System, egal ob natürlich oder künstlich, ein Bewusstsein hat.
Einige neurowissenschaftliche Theorien zur Entstehung von Bewusstsein implizieren jedoch, dass es sich auch beim bewussten Erleben um eine bestimmte Art der Informationsverarbeitung handelt. Wenn ein KI-System also dieselben Prozesse ausführt, ist nicht auszuschließen, dass es tatsächlich eine Art von Bewusstsein entwickeln könnte.
Dr. Patrick Krauss, Physiker, Neuro- und Kognitionswissenschaftler, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU)