Ob für die intelligente Bewässerung des Feldes, die Verhaltensanalyse der Tiere im Stall oder die datenbasierte Entscheidungshilfe bei der Aussaat – die Landwirtschaft steht vor einer KI-Revolution. Fast die Hälfte der Höfe in Deutschland (47 Prozent) beschäftigt sich derzeit mit Einsatzmöglichkeiten von KI.
Jeder zehnte Betrieb (9 Prozent) setzt bereits Künstliche Intelligenz ein, weitere 38 Prozent planen oder diskutieren dies. Je größer der Betrieb, desto intensiver der Einsatz und die Beschäftigung mit KI: Während erst 27 Prozent der Betriebe mit 20 bis 49 ha KI nutzen, den Einsatz planen oder diskutieren, sind es unter Betrieben mit 50 bis 99 ha 38 Prozent und bei großen Betrieben ab 99 ha sogar schon 52 Prozent. Das sind Ergebnisse einer repräsentativen Befragung unter 500 landwirtschaftlichen Betrieben, die der Bitkom und die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) heute vorgestellt haben.
„Die Landwirtschaft gehört zu den Vorreitern der KI, und ist dabei den meisten anderen Branchen voraus. KI kann die landwirtschaftlichen Betriebe massiv entlasten, sodass Landwirtinnen und Landwirten mehr Zeit für andere Aufgaben bleibt. Gerade kleinere Betriebe sollten sich die Möglichkeiten der KI stärker zu Nutze machen“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder. DLG-Vizepräsident Prof. Dr. Till Meinel, Institut für Bau- und Landmaschinentechnik, Köln (IBL), betont: „Der Einsatz von KI ist kein Trend, sondern aufgrund der vielfältigen Belastungen der Betriebsleiter zunehmende eine zwingende Notwendigkeit.“
Größtes Potenzial für KI wird in Klima- und Wettervorhersagen gesehen
Das größte Potenzial für KI-Einsatz in der Landwirtschaft wird in Vorhersagen und dem Pflanzenschutz, aber auch in der Büroarbeit gesehen: 54 Prozent der Betriebe, die KI bereits einsetzen, es planen oder diskutieren, tun das für Klima- und Wettervorhersagen, 36 Prozent für Marktanalysen beziehungsweise Preisvorhersagen, jeweils 28 Prozent für die Ernte- und Produktionsplanung oder Ertragsprognosen. 46 Prozent der Betriebe, die KI einsetzen, planen oder diskutieren, wollen den Pflanzenschutz, zum Beispiel durch Krankheitsdiagnosen und 20 Prozent die Gesundheitsüberwachung in der Viehzucht verbessern. Aber auch abseits von Stall und Feld wird KI geplant, diskutiert oder bereits eingesetzt, bei 4 von 10 Betrieben (39 Prozent) für alltägliche Büroarbeit wie Verwaltungstätigkeiten. Meinel: „Frühzeitiger genauer hinzusehen löst viele Probleme bereits im Ansatz, insofern ist es in der Praxis bereits eine große Hilfe, wenn ein digitales Tool nur darauf hinweist, dass ein Problem entstehen könnte. Diese Funktionen gibt es bereits.“
Große Mehrheit sieht Digitalisierung als Chance für den eigenen Betrieb
Generell sieht eine große Mehrheit (79 Prozent) der Landwirtinnen und Landwirte die Digitalisierung als Chance für ihren Betrieb. Nur 15 Prozent sehen sie als Risiko, für 6 Prozent hat die Digitalisierung keinen Einfluss auf den Betrieb. Die größten Vorteile, die Landwirtinnen und Landwirte persönlich auf ihren Höfen durch digitale Anwendungen wahrnehmen, sind Zeitersparnis (69 Prozent), eine höhere Effizienz in der Produktion (61 Prozent) gefolgt von körperlicher Entlastung (57 Prozent).
Aber auch für die Zukunft des gesamten Sektors setzen die Betriebe große Hoffnungen in digitale Lösungen, um die landwirtschaftliche Produktion gleichzeitig nachhaltiger und effizienter zu gestalten: 80 Prozent sind überzeugt, dass ihnen digitale Technologien eine umweltschonendere landwirtschaftliche Produktion ermöglichen. „Hochwertig, umweltschonend produziert und gleichzeitig bezahlbar sollen sie sein – die Landwirtschaft steht bei der Produktion von Lebensmitteln unter Druck. Mit KI und digitalen Lösungen lässt sich dem begegnen“, sagt Rohleder.
Konkret meinen 91 Prozent der Landwirtinnen und Landwirte, dass digitale Technologien helfen, Dünger, Pflanzenschutzmittel und andere Ressourcen einzusparen. 69 Prozent geben an, sie können zur Steigerung des Tierwohls beitragen. 67 Prozent sagen, mithilfe von digitalen Technologien können Höfe langfristig Kosten senken und 60 Prozent sehen dies für die Verbesserung der Qualität landwirtschaftlicher Produkte. Gleichzeitig ist für rund die Hälfte (54 Prozent) der landwirtschaftlichen Betriebe die Digitalisierung selbst eine Herausforderung. Meinel: „Wir werden große Anstrengungen unternehmen müssen, um die Nutzung digitaler Tools in die Aus- und Weiterbildung der Landwirtinnen und Landwirte zu integrieren, ohne die fachlichen Grundlagen dieser Tools zu vernachlässigen.“
Sensoren, Drohnen, Managementsysteme: Landwirtschaft wird zunehmend digitaler
Die Chancen der Digitalisierung werden zunehmend ergriffen. Ob Sensorik, Robotik oder digitale Ackerschlagkartei, der Einsatz digitaler Technologien hat in den vergangenen zwei Jahren grundsätzlich zugenommen: Am verbreitetsten sind GPS-gesteuerte Landmaschinen, die bereits 69 Prozent einsetzen. Vor zwei Jahren waren es erst 58 Prozent. Es folgen digitale Ackerschlagkarteien beziehungsweise Kuh- oder Sauenplaner mit 68 Prozent (2022: 63 Prozent). Damit werden u.a. in der Tierhaltung Zuchtzyklen nachverfolgt. Farm- oder Herdenmanagementsysteme setzen inzwischen 46 Prozent der Höfe ein, während es 2022 erst 32 Prozent waren. „Das beweist erneut: Die Landwirtschaft ist eine Zukunftsbranche, die seit jeher sehr früh Optimierungspotenziale neuer Technik erkennt und konsequent nutzt“, sagt Meinel.
Nur so viel düngen oder spritzen wie unbedingt nötig: Bereits 36 Prozent der Höfe setzen auf Anwendungen für die teilflächenspezifische Ausbringung von Düngemitteln (2022: 30 Prozent) beziehungsweise 30 Prozent für die Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln (2022: 23 Prozent). Sensortechnik bei Tierhaltung und Pflanzenbau kommt bei 28 Prozent zum Einsatz (2022: 22 Prozent). Vorausschauende Wartung, zum Beispiel für Landmaschinen, setzt ein Viertel (25 Prozent) ein (2022: 19 Prozent). 24 Prozent nutzen Fütterungsautomaten beziehungsweise intelligente Fütterungssysteme (2022: 24 Prozent). Drohnen nutzt ebenfalls ein knappes Viertel (23 Prozent), 2022 waren es noch 19 Prozent. 12 Prozent setzten bereits auf Robotik (2022: 10 Prozent). Insgesamt 90 Prozent der Betriebe nutzen mindestens eine dieser digitalen Lösungen. „Der zunehmende Einsatz zeigt, dass die Potenziale erkannt werden“, so Rohleder. „Es muss nicht gleich ein vollständig durchdigitalisierter Hof sein. Einzelne digitale Lösungen wie Apps für die Aufgabenplanung bieten einen niedrigschwelligen Einstieg in Smart Farming und können eine Grundlage sein, die Bewirtschaftung nach und nach intelligenter zu gestalten.“
Ein Fünftel investiert in diesem Jahr – aber hohe Investitionskosten hemmen Ausbau
19 Prozent der Betriebe wollen in diesem Jahr in digitale Technologien und Anwendungen investieren. 2023 investierten bereits 46 Prozent der Betriebe. Außerdem planen ebenfalls 19 Prozent Digitalinvestitionen im kommenden Jahr, nach 2025 will ein Drittel (33 Prozent) investieren. Rohleder: „Einmalige Investitionen reichen oft nicht aus, Technik muss instandgehalten und Software aktualisiert werden, um den größtmöglichen Nutzen aus den Anschaffungen zu ziehen. Gleichzeitig rentieren sich Investitionen in digitale Technologien schnell, langfristig bedeuten sie auch mehr Wettbewerbsfähigkeit.“
Die Finanzierung macht den landwirtschaftlichen Betrieben auch angesichts der wirtschaftlichen Herausforderungen zu schaffen: Gefragt nach den stärksten Hemmnissen für die Digitalisierung der Landwirtschaft nennen mit 75 Prozent die meisten hohe Investitionskosten. Es folgen mit 61 Prozent die Sorge vor mehr Bürokratie und mit 59 Prozent unzureichend standardisierte Schnittstellen und Vernetzung von Systemen. „Um den digitalen Wandel in der Landwirtschaft erfolgreich zu gestalten, braucht es nicht nur Mut zur Innovation, sondern auch die nötige politische Unterstützung. Digitale Verwaltungsprozesse in Betrieben können helfen, Berichtspflichten leichter und schneller nachzukommen“, so Rohleder.
Mit der Politik sind die Landwirtinnen und Landwirte allerdings eher unzufrieden, im Durchschnitt geben sie der derzeitigen politischen Arbeit zur Digitalisierung der Landwirtschaft nur die Schulnote 4,7. Entsprechend beklagt die Hälfte (52 Prozent) der Betriebe eine mangelnde Einbindung bei der Planung politischer Maßnahmen. 51 Prozent zählen eine unzureichende Internetversorgung zu den stärksten Hemmnissen. Es folgen die Sorge um einen Verlust der Datenhoheit beziehungsweise eine hohe Komplexität digitaler Systeme mit jeweils 49 Prozent. 47 Prozent sorgen sich um IT-Sicherheit und 41 Prozent sehen mangelnde Digitalkompetenzen als Hemmnis. Meinel: „Was die Praktiker uns spiegeln, ist, dass ihnen ein klarer, auch auf längere Zeit verlässlicher Rahmen fehlt. Ohne verlässliche Rahmenbedingungen werden Investitionen und damit auch Innovationen gehemmt.“
Digitales Know-how: Drei Viertel an Weiterbildung interessiert
Dabei sind die Landwirtinnen und Landwirte durchaus daran interessiert, diese Digitalkompetenzen zu stärken. Ein Drittel (34 Prozent) der Befragten hat schon einmal an einer Weiterbildung zum Thema Digitalisierung der Landwirtschaft teilgenommen, weitere 43 Prozent haben daran Interesse. Nur ein Viertel (24 Prozent) interessiert sich nicht für solche Weiterbildungen. „Digitale Technologien entwickeln sich rasant fort. Nur mit dem passenden Know-how können die Vorteile digitaler Technologien für die Landwirtschaft auch umfassend genutzt werden“, so Rohleder. Meinel: „Damit ist auch klar: Das Berufsbild von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Landwirtschaft wird zunehmend anspruchsvoller.“
(pd/ Bitkom)