Dreizehn Jahre ist es her, dass der Begriff Industrie 4.0 im Jahre 2011 auf der Hannover Messe erstmals in der Öffentlichkeit auftauchte. Mittlerweile wird gern auch der Begriff Industrie 5.0 verwendet, um auf die “Menschenzentriertheit” der Industrie hinzuweisen.
Jüngst sah sich der Forschungsbeirat Industrie 4.0 des Bundeswirtschaftsministeriums jedoch genötigt, die Verwendung dieses neuen Begriffs zu kritisieren. Die Begründung: Industrie 5.0 umfasst keine neuen Inhalte. Der Begriff Industrie 4.0 steht für die vierte industrielle Revolution und deren fortlaufende Veränderung, die alle gesellschaftlichen Bereiche umfasst und ebenfalls einen menschenzentrierten Ansatz enthält. Dieses immer noch hochaktuelle industrielle Leitbild verfolgt als Hauptziel den Nutzen für die Gesellschaft und umfasst bereits neue Technologien, Wertschöpfungsmodelle und die daran beteiligten Menschen, so die Argumentation des Forschungsbeirats. Ein neuer Begriff sei demnach überflüssig.
In der Industrie 4.0 waren Fertigung und Distribution Vorreiter der Entwicklung. Die beiden Branchen profitierten in hohem Maße von Technologien wie dem Internet der Dinge (Internet of Things, IoT), Künstlicher Intelligenz (KI) und Big-Data-Analytics. Diese ermöglichten erste Schritte hin zu intelligenten Fabriken, die die Konnektivität und datengestützte Entscheidungsfindung auf eine völlig neue Ebene brachten.
Diese Entwicklung schreitet rasant voran, weshalb manche Protagonisten der Versuchung unterliegen, bereits von einer Industrie 5.0 zu sprechen. Tatsächlich ist eine zunehmend intelligentere, stärker personalisierte und mehr auf den Menschen ausgerichtete Fertigung im Kommen. Sie setzt den Fokus auf die Zusammenarbeit zwischen Menschen und innovativen Technologien wie KI, Robotik und IoT in den Mittelpunkt, um nachhaltigere, effizientere und anpassungsfähigere Produktionsprozesse zu schaffen. Der durch die KI ausgelöste Umbruch in der Industrie wird diese Partnerschaft zwischen Mensch und Maschine weiter stärken, da immer mehr Hersteller neue Technologien wie Blockchain in ihre Fabriken integrieren, um Innovation und Produktivität voranzutreiben.
Die Devise heißt anpacken und umsetzen
Trotz der großen Fortschritte bezüglich Effizienz und Entwicklung gibt es in der Industrie 4.0 nach wie vor große Herausforderungen. Mögliche Lösungsansätze setzen aber voraus, dass sich Unternehmen auf eine “echte” Partnerschaft zwischen Menschen und Maschinen einlassen.
Da ist zum Beispiel das sich verstärkende Problem des Fachkräftemangels. Unternehmen, die das Zusammenspiel und die Dynamik zwischen Menschen und Maschinen fördern, können ihren Personalbedarf senken. Während Menschen Anpassungsfähigkeit und Problemlösungskompetenz einbringen, steuern Roboter Geschwindigkeit und Präzision bei der Erfüllung der Aufgaben bei. Diese Kollaboration steigert nicht nur die Zufriedenheit der Mitarbeiter und die Produktivität, sondern fördert auch die Weiterentwicklung der Mitarbeiter bezüglich bestimmter Fähigkeiten und reduziert die Fehlerquote. Bereits heute werden zudem Roboter für gefährliche Arbeiten eingesetzt: Sie übernehmen körperlich anstrengende oder riskante Aufgaben, was die Sicherheit erhöht, menschliche Fehler in kritischen Situationen minimiert und letztlich ein gesünderes Arbeitsumfeld schafft.
Ein weiterer Punkt ist die Resilienz der Lieferketten. Industrie 4.0 hat das Potenzial, die Widerstandsfähigkeit der Supply Chain erheblich zu verbessern. Die anhaltende Krise im Roten Meer, unterbrochene Transportwege beim deutschen Güterverkehr oder neu eingeführte Mautgebühren, sind nur wenige Beispiele, die einen erhöhten Druck auf die Margen der Hersteller ausüben. Echtzeit-Datenanalysen und KI-gestützte Erkenntnisse können Mitarbeiter dabei helfen, bessere Entscheidungen bei der Prognose von Ereignissen und der Vermeidung von Lieferkettenstörungen zu treffen. Hochentwickelte Sensoren und IoT-Geräte überwachen kontinuierlich die Aktivitäten in der Supply Chain, einschließlich der Früherkennung potenzieller Probleme wie Transportverzögerungen oder Lieferengpässe. Mit Algorithmen des maschinellen Lernens (ML) werden historische Daten und aktuelle Trends analysiert, um die Nachfrage genau zu prognostizieren und so ein besseres Bestandsmanagement sowie eine Just-in-Time-Produktion zu ermöglichen.
Die ersten Bausteine für langfristigen Erfolg
Bevor jedoch ein echter Mehrwert aus der Zusammenarbeit von Mensch und Maschine erzielt werden kann, sollten Unternehmen zunächst eine solide Grundlage innerhalb ihrer IT-Systeme schaffen und ein Netzwerk integrierter Managementsysteme einführen, die diese Vorteile erst möglich machen.
Für eine erfolgreiche Umsetzung sollte eine solche IT-Basis zunächst skalierbar und flexibel sein. Sie versetzt Fabriken und Distributionszentren in die Lage, sich schnell und unkompliziert an sich ändernde Anforderungen anzupassen. Die Unterstützung durch KI-Algorithmen gewährleistet z.B. Agilität und Reaktionsfähigkeit bei der Erweiterung des Betriebs. Mit einer unternehmensweiten Plattform kann ein Echtzeit-Einblick in den Lagerbetrieb ermöglicht, die Zusammenarbeit zwischen den Teammitgliedern gefördert und der Betrieb durch Aufgabenmanagement und -planung optimiert werden.
Auch Cloud-native Lösungen spielen eine zentrale Rolle in diesem Ökosystem, da sie Investitionen in Hardware und Infrastruktur überflüssig machen. Dies bedeutet, dass IT-Ressourcen, die zuvor für die Wartung der Dateninfrastruktur aufgewendet wurden, für konkrete Projekte eingesetzt werden können, die einen echten Mehrwert bieten, das Kundenerlebnis verbessern und einen klaren ROI aufweisen. KI unterstützt dabei, Möglichkeiten zur Kosteneinsparung zu identifizieren, um die betriebliche Kosteneffizienz zu steigern. Auch in puncto Sicherheit lässt sich hier viel machen, da sich entsprechende Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz sensibler Daten leicht implementieren lassen.
Fazit
Auch ohne den Begriff Industrie 5.0 zu verwenden, bewahrheitet sich Schritt für Schritt das Versprechen von Industrie 4.0: eine Industrie zum Nutzen der Menschen zu schaffen. Industrie 4.0 ist schon lange kein Konzept mehr, sondern ein in den Fertigungshallen vieler Unternehmen angestrebtes und zum Teil auch gelebtes industrielles Leitbild, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Der Mensch wird durch intelligente Technologien unterstützt, Software spielt dabei eine entscheidende Rolle, indem sie die Interaktion zwischen Mensch und Maschine optimiert und neue Arbeitsweisen ermöglicht. Diese technologische Basis schafft die Grundlagen für eine Produktion, die den Menschen nicht ersetzt, sondern ergänzt und befähigt.