Selbst intensiv diskutierte Technologie-Ansätze verlieren ihren theoretischen Charakter erst dann, wenn die potenziellen Anwender den wirtschaftlichen Nutzen erkennen und einen konkreten und bezahlbaren Einstiegspunkt finden.
Dies war bei der zunächst schleppenden Nutzung der Cloud ebenso zu beobachten wie es derzeit bei der Etablierung neuer digitaler Servicemodelle oder bei Industrie-4.0-Szenarien der Fall ist. Die unlängst geschlossene Partnerschaft zwischen dem ERP-System- und Beratungshaus ams.Solution AG, dem Cloud-BI-Anbieter bimanu und dem Sondermaschinenbauer RNA soll dies auf mehreren Ebenen ändern.
RNA (Rhein-Nadel Automation GmbH) entwickelt und baut schlüsselfertige Anlagen, die das lagerichtige Zuführen von Werkstücken – Schrauben, Verschlüssen, Steckern oder sonstigen Metall- und Kunststoffteilen – in laufende, vollautomatisierte Montageprozesse gewährleisten. Die besondere Expertise der Aachener liegt im Bau leistungsfähiger Systeme, die sehr hohe Zuführgeschwindigkeiten erreichen oder besonders schwierige Werkstücksgeometrien verarbeiten können.
Als Christopher Pavel, Enkel des Firmengründers, 2013 als Geschäftsführer bei RNA einstieg, machte er es sich gleich zur Aufgabe, die Konzepte hinter Begriffen wie Industrie 4.0 und Digitalisierung besser zu verstehen. Dabei erkannte er, dass mit der im Jahr 2010 erfolgten Implementierung der auf Einzel- und Variantenfertiger zugeschnittenen Branchen-ERP-Software ams.erp bereits der entscheidende Schritt hinsichtlich interner Digitalisierung gemacht worden war. Besonders hebt der Geschäftsführer die Prozesstransparenz und -durchgängigkeit der Software hervor – im Grunde die Basis für jede weitere Überlegung in Sachen Industrie 4.0.
Bei der Bewertung des Begriffs Industrie 4.0 hingegen ging es ihm zunächst wie den meisten Verantwortlichen im Mittelstand. „Keiner konnte so richtig etwas mit dem Schlagwort anfangen“, bringt es der Firmenchef auf den Punkt. Dies veranlasste ihn, zwei Workshops zu organisieren, um mit externen Experten das mögliche Herangehen an Industrie 4.0 zu identifizieren: „Wir arbeiteten verschiedene Konzepte heraus, die wir weiterverfolgen wollten“, so Christopher Pavel. Eines der erfolgversprechendsten betraf die vorausschauende Wartung.
Voraussetzung für Predictive Maintenance ist der Zugriff auf die Maschinendaten. Womit man bei RNA vor der technischen Hürde stand, wie dieser Zugriff ohne speicherprogrammierbare Steuerung (SPS) erfolgen sollte. Denn viele ältere Maschinen besitzen keine SPS, und auch RNA baut heute noch sehr viele Zuführsysteme, die zwar über Steuergerätetechnik verfügen, aber eben über keine speicherprogrammierbare. Laut IT-Leiter Patrick Pirnay wollen viele RNA-Kunden den unerwünschten Zugriff auf ihre Maschinendaten ausschließen.
Vielversprechender Ansatz
Nachdem sich diverse Anläufe, über die hausinterne Elektrokonstruktion ein eigenes Programm für die Maschinendatenerfassung zu erstellen, als sehr aufwendig erwiesen hatten, stießen Christopher Pavel und Patrick Pirnay 2018 auf das Start-up Nexolink Solutions. Dieses hatte bereits eine sogenannte Sensor-Box entwickelt, die auf einfache Weise an die Sensorik von Anlagen oder Produkten andocken konnte und die gesammelten Daten über das Mobilfunknetz GSM an die eigene IoT-Plattform in der Cloud schickte.
Zum damaligen Zeitpunkt war das Gerät zu circa 80 Prozent fertiggestellt. Als sich die Möglichkeit bot, Nexolink zu übernehmen, handelte Christopher Pavel. Sein Team schloss die Entwicklung der Box ab und konnte dabei die eigenen Anforderungen einbringen. Daraus entstand die mittlerweile verfügbare IoT ConnectBox. „Dieser Zukauf öffnete uns auf der Produktseite die Tür in Richtung IoT/Industrie 4.0“, sagt der Geschäftsführer und betont, bei seiner Recherche kein Produkt gefunden zu haben, das den IoT-Einstieg in vergleichbar einfacher und kostengünstiger Weise ermöglichte.
Bild: Mit der neuentwickelten RNA IoT ConnectBox lassen sich auch ältere, nicht-internetfähige Maschinen und Produktionsanlagen vernetzen, um ihre Zustandsinformationen in Echtzeit zu erfassen und zu analysieren (Bildquelle RNA).
Die IoT ConnectBox ist ohne großen Projektaufwand installierbar und macht auch ältere Anlagen im Retrofit-Verfahren intelligent. Jeweils acht digitale und analoge Sensoreingänge nehmen die Maschineninformationen auf und übermitteln sie zur Aufbereitung und Analyse in die bimanu-BI-Cloud. Der Clou dabei: Der Datentransfer erfolgt über das flächendeckend verfügbare Mobilfunknetz GSM, nicht über das Internet. Außerdem bleiben die lokalen Netzwerke der Maschinenbetreiber (WLAN, LAN) unangetastet. Ein Zugriff auf andere Unternehmensdaten ist ausgeschlossen.
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Die Cloud-BI-Lösung von bimanu ist ebenfalls auf größtmögliche Anwenderfreundlichkeit ausgelegt. Während sich bisherige Business-Intelligence-Modelle meist kompliziert gestalteten, benötigt bimanu mit seinem Ansatz lediglich ein Drittel der Zeit, die herkömmliche BI-Anbieter für die Einrichtung von Datenanalyse-Plattformen in der Cloud benötigen. Die sichere, und flexibel skalierbare All-in-One-Lösung deckt alle Bereiche von der Datenintegration über die Modellierung bis hin zur Datenvisualisierung ab – inklusive unbegrenzter Datenhistorie.
Rohdaten als entscheidender Faktor
Angesprochen auf die Nutzung der Cloud, erklärt Patrick Pirnay, dass er grundsätzlich unterscheide zwischen Unternehmensdaten, die wie das ERP-System nach wie vor lokal vorgehalten werden sollten, und Maschinendaten, die nur in Cloud-Szenarien ihre volle Wirkung erzielten. Hinsichtlich Maschinenmassendaten hält er Sparsamkeit für den falschen Ansatz: „Rohdaten sind der entscheidende Faktor. Deshalb wollten wir so früh wie möglich starten, auch wenn wir noch nicht genau wissen, wie wir die Massendaten letztlich auswerten können.“ In jedem Fall müsse man die Daten zunächst aber über einen bestimmten Zeitraum erheben, denn ohne eine ausreichende Datenmenge ließen sich keine Muster für die vorausschauende Wartung etwa feststellen. Dafür benötige man die Verfügbarkeit der Cloud.
Der Unterschied zwischen der bimanu-Cloud und Microsoft Azure oder Amazon Web Services besteht darin, dass die Daten nicht auf weltweit verteilten Servern auf den Anbieterplattformen direkt verarbeitet werden. Stattdessen verbinden sich die IoT ConnectBoxen mit dedizierten, komplett gekapselten Servern im Rechenzentrum. Es ist jederzeit nachvollziehbar, wo sich die Daten befinden, was allerdings der Skalierbarkeit nicht entgegensteht.
Neben vorausschauender Wartung nennt Patrick Pirnay ein weiteres Einsatzbeispiel: „Wir können einen digitalen Fingerabdruck der Anlagen erstellen. Bei der Abnahme durch die Kunden visualisieren wir die komplette Sensorik und wissen, dass die Leistung bei den zu diesem Zeitpunkt herrschenden Bedingungen erbracht wurde. Dazu gehören auch solche Parameter wie Luftfeuchtigkeit und Temperatur.“ Dadurch sichert sich der Maschinenbauer vertraglich ab, denn wenn eine Anlage später in einer anderen klimatischen Umgebung steht, kann dies ihre Leistungsfähigkeit natürlich beeinflussen. Über den digitalen Fingerabdruck lässt sich nachvollziehen, welche Einstellungen verändert werden müssten, um bessere Ergebnisse zu erzielen.
Bereits die Fernüberwachung bietet große Vorteile nicht nur hinsichtlich der Funktionstüchtigkeit der Maschine, sondern auch mit Blick auf die Qualitäts- und Produktkontrolle. Das erklärte Ziel von Christopher Pavel besteht nun darin, über die Verbindung der bimanu-BI-Cloud an das ERP-System ams.erp direkte Aktionen und Workflows auszulösen: „Wird zum Beispiel ein bestimmter Sensorschwellwert über- oder unterschritten, kann eine Benachrichtigungs-Mail an einen Mitarbeiter versandt, ein Serviceeinsatz oder die automatische Bestellung eines benötigten Ersatzteils über das ERP-System angestoßen werden.“ ams.erp fungiert in Rahmen als zentrale Plattform für die Verarbeitung der in der Cloud analysierten Maschinendaten.
Guido Piech, www.ams-erp.com