Anwender profitieren erst dann von S/4HANA, wenn sie ihre Prozesse nah am Standard der neuesten SAP-Suite abbilden und Individualfunktionen auf der SAP Cloud Plattform implementieren. Um den eigenen Migrationspfad zu bestimmen, bieten sich unterschiedliche Tools an. Was sich wann empfiehlt.
Geschäftsprozesse sind vielschichtig und im eigenen, alten SAP-System oft hochindividuell abgebildet. Was früher die Regel war, wird bei S/4HANA zum Ausnahmefall. Denn die Anpassungen im Kern der ERP Central Component haben Systeme wie das SAP ECC 6.0 starr gemacht. Zwar verrichten die Business Suites solide ihren Dienst, lassen sich aber oft nur schwer administrieren und mit hohem Aufwand updaten. Das ändert S/4HANA, indem es die Cloud zum Ort der Innovation für das eigene ERP-System macht. Die Prozesse im digitalen Kern bleiben dagegen möglichst nah am Standard. Denn: Das Herzstück der neuesten Suite schlägt gerade dann mit voller Kraft, wenn Firmen ihre Abläufe gewissermaßen über die vorhandenen Blutbahnen abbilden, die SAP anbietet: die Standardprozesse. „So aufgesetzt lässt sich das SAP-System der nächsten Generation auch stets aktuell halten und stabiler betreiben“, sagt SAP-Experte Meik Brand von der QSC AG.
Transaktion für Transaktion nachlesen
Wollen Firmen mit ECC 6.0 zu S/4HANA migrieren, gilt es zu prüfen, wie stark die individuellen Anpassungen vom Idealweg abweichen. SAP selbst stellt Tools und Informationen bereit, um das technische sowie das prozessual-funktionale Update vorzubereiten: Über die SAP Simplification List kommuniziert das Walldorfer Softwareunternehmen beispielsweise alle Änderungen an seine Nutzer. Das mittlerweile weit über 800 Seiten starke Textdokument zeigt detailliert auf, was mit Funktionen beim Wechsel zu S/4HANA passiert. Transaktion für Transaktion lässt sich nachlesen, was SAP geändert, zusammengelegt oder neu organisiert hat. Handlungsempfehlungen weisen dann in jedem Einzelfall den Weg, den der ERP-Hersteller bei einer Migration vorsieht. Darüber hinaus erfahren Kunden, welche Branchenfunktionen das neue System überhaupt noch unterstützt. Denn: Teils hat SAP hier ersatzlos gestrichen, was über die Jahre gewachsen war. Mit S/4HANA verschlankt und bereinigt SAP bewusst die Geschäftsprozesslandschaft.
Mit Tools evaluieren
Wie groß sollte die SAP HANA-Datenbank sein? Welche Eigenentwicklungen lassen sich auch weiterhin nutzen? Welche Add-Ons sind kompatibel mit S/4HANA? Die Antworten darauf liefert der „SAP Readiness Check“. Nutzer laden die ERP-Konfiguration ihres ECC 6.0 in das Cloud-Evaluationstool von SAP. Das Dashboard zeigt dann auf einen Blick, inwieweit sich etwa der Umstieg auf bestehende Funktionen und Transaktionen auswirkt oder welche Fiori-Apps sich für das eigene ERP-System später anbieten. Zwar ersetzt auch das Tool nicht den individuellen Abgleich mit der Simplification List, aber die Anwender sparen Zeit: So prüft der SAP Readiness Check weitgehend automatisch.
„SAP sieht seinen neuesten Softwarespross nicht als weiterentwickeltes Bestandssystem, sondern als komplett neues Produkt“, sagt Brand. „Entsprechend ordentlich sollten die Nutzer bei einem Umzug aufräumen, um nachher das Maximum an Performance aus In-Memory-Technologie und HANA-Datenbank zu ziehen.“ So empfiehlt Brand auch den Einsatz ergänzender SAP-Systemtests von Drittherstellern wie Datavard, West Trax oder SNP. Über diese lässt sich genauer bestimmen, was Firmen anpassen müssen. Beispiel Datavard: Teilautomatisiert untersucht das Tool komplexe SAP-Landschaften, einschließlich SAP ERP, BW, IS-U, CRM und SRM-Systemen. Der Soll-Ist-Vergleich berücksichtigt dabei auch, wie intensiv sich der Umstieg auf bestimmte Geschäftsbereiche im SAP-System auswirkt. Die Ergebnisse zeigen dann auf, welche Transaktionen und Funktionen besonders betroffen sind. So wird klar, wo es sich lohnt, genauer in der umfangreichen SAP Simplification List nachzuschauen.
„Wir empfehlen, mit SAP Readiness Check und SAP Simplification List zu starten. Dann bieten sich, je nach Komplexität der eigenen SAP Umgebung, Tools von Drittherstellern und Support durch Experten an“, sagt Brand. Auch nach der Migration sollten Firmen Transaktionen, Prozesse und Funktionen im Blick behalten und optimieren: Process-Mining-Tools, wie das des Münchner IT-Start-Up Celonis, sorgen für Transparenz im ERP-System. Und das auch kontinuierlich.
Celonis arbeitet mit SAP-Rohdaten, um Aktivitäten in Echtzeit zu visualisieren und zu evaluieren. So deckt die Software auch zuverlässig Fehlstellungen auf. Das heißt: Stocken Abläufe oder entstehen Engpässe, setzen die Mitarbeiter auf Workarounds, um Bestellungen zu bearbeiten, Angebote zu erstellen oder das Lager bewirtschaften zu können. Die Folge: Ausnahmen werden die Regel. Ineffiziente Prozesse schleichen sich ein – Trampelpfade, die Zeit und Geld kosten. Mit Celonis lassen sie sich aufspüren und abstellen: Die Software stellt dazu Best-Practice-Vorlagen für Transaktionen und Aktivitäten bereit. Diese Schablonen erlauben einen schnellen und komfortablen Abgleich, um Abweichungen zu erkennen. Auch andere Datenquellen neben SAP kann die Big-Data-Lösung anzapfen. „Der Einsatz der Process-Mining-Technologie empfiehlt sich laufend“, sagt Brand. „Die Software steht für alte und neue SAP-Suites gleichermaßen bereit, um Prozesse in Echtzeit zu optimieren.“ Laut Celonis konnten Firmen etwa die Durchlaufzeiten einzelner Abläufe um bis zu 37 Prozent reduzieren und gleichzeitig auch Prozesskosten senken.
Weltweit bereits 6.900 SAP S/4HANA-Kunden
Aufräumen lohnt sich also – und das nicht nur, wenn Unternehmen zu S/4HANA migrieren wollen. Der Vergleich mit Vorgängerversionen zeigt, was Firmen speziell von der neuesten SAP-Suite erwarten dürfen: Wer etwa seine Lagerbestände kostenoptimal planen möchte, der profitiert von deutlich höheren Datendurchsätzen. So lassen sich Prozesse in der Materialbedarfsplanung um den Faktor zwanzig beschleunigen. Auch Pulkbuchungen sind nun möglich – ohne, dass das System kurzzeitig gesperrt ist. In-Memory-Technologie und HANA-Datenbank halten das Tempo weiter hoch: So benötigt das komprimierte, dubletten- und redundanzfreie Datenbankmodell im Arbeitsspeicher nur ein Zehntel des Speicherplatzbedarfs klassischer Ablagesysteme. Aktuelle Quartalsergebnisse der SAP SE aus Oktober 2017 sprechen für sich: Die Zahl der weltweiten SAP S/4HANA-Kunden stieg gegenüber der Vorjahresperiode um rund 70 Prozent auf über 6.900. Im dritten Quartal entschieden sich etwa 600 Kunden für dieses Produkt – davon mehr als 40 Prozent Neukunden.
Der SAP-Experte Meik Brand berät bei der QSC AG Mittelständler aus Retail und Logistik. QSC hat eine SAP-Full-Service-Sparte und ist langjähriger SAP-Partner. Der Dienstleister bietet alle SAP-Services aus einer Hand: von Basisbetrieb über Application Management, Implementierung und Anwender-Support bis zur Wartung. Brand ist Mitautor des Buchs Logistik mit SAP S/4HANA, das im Herbst im Rheinwerk Verlag erscheint.