Die Choice Architecture von Google
Google nutzt eine ausgeklügelte Choice Architecture, um das Verhalten der Nutzer zu beeinflussen und zu steuern. Durch die Integration in seine verschiedenen Dienste und Produkte schafft Google eine intuitive und personalisierte Nutzererfahrung, die sowohl die Nutzung vereinfacht als auch die kommerziellen Interessen des Unternehmens fördert. Hier sind die wichtigsten Elemente der Choice Architecture von Google:
1. Default-Einstellungen und Voreinstellungen
Beispiel: Bei der Ersteinrichtung eines Android-Geräts sind viele Google-Dienste wie Google Search, Google Maps und Google Assistant standardmäßig aktiviert. Diese Voreinstellungen fördern die Nutzung weiterer Google-Produkte und vereinfachen den Einstieg.
2. Personalisierung und Daten-Nutzung
Beispiel: Google verwendet Daten aus der Nutzung seiner Dienste, um personalisierte Empfehlungen zu geben. Google Search und YouTube nutzen den Suchverlauf und das Nutzerverhalten, um maßgeschneiderte Suchergebnisse und Videovorschläge zu präsentieren.
3. Visuelle Hierarchien und Design
Beispiel: In Google Search werden bezahlte Anzeigen und hervorgehobene Snippets prominent platziert, während organische Suchergebnisse weiter unten erscheinen. Dieses Design lenkt die Aufmerksamkeit der Nutzer auf bestimmte Inhalte.
4. Nudging durch Benachrichtigungen und Hinweise
Beispiel: Google Maps sendet Benachrichtigungen über Verkehrslage und voraussichtliche Ankunftszeiten, um Nutzer dazu anzuregen, die App regelmäßig zu nutzen.
5. Verwendung von Algorithmen und KI
Beispiel: Google Photos erstellt automatisch Alben, Fotobücher und Erinnerungen basierend auf den hochgeladenen Fotos. Diese Funktionen nutzen Algorithmen und künstliche Intelligenz, um das Nutzerverhalten zu analysieren und entsprechende Empfehlungen auszusprechen.
6. Kontinuierliche Optimierung und A/B-Testing
Beispiel: Google führt umfangreiche A/B-Tests durch, um die effektivsten Designs und Funktionen zu identifizieren und kontinuierlich zu verbessern. Verschiedene Layouts und Anzeigemethoden in Google Ads werden getestet, um die Klickrate und Konversionsrate zu maximieren.
7. Integration und Ökosystem
Beispiel: Die nahtlose Integration von Google Calendar mit Gmail ermöglicht es Nutzern, Termine direkt aus E-Mails heraus zu erstellen. Diese Integration fördert die Nutzung mehrerer Google-Produkte und vereinfacht die Nutzererfahrung.
8. Transparenz und Kontrolle
Beispiel: Im Google-Konto-Dashboard können Nutzer ihre Datenschutzeinstellungen anpassen, den Verlauf ihrer Aktivitäten einsehen und Daten löschen. Trotz der umfangreichen Datensammlung bietet Google Werkzeuge zur Kontrolle und Verwaltung dieser Daten.
Marktvorteil und Schwachstelle: Fehlende Transparenz
Ein wesentlicher Marktvorteil ist die fehlende Transparenz der Google-Algorithmen. Diese sind das Ergebnis von jahrelanger Innovation und Investitionen in Milliardenhöhe, die unter das Geschäftsgeheimnis fallen. Eine Offenlegung würde den Anreiz für solche Investitionen mindern.
Allerdings führt die Intransparenz auch zu Unsicherheit, da keine Kontrollmechanismen entwickelt werden können. Die komplexen Algorithmen und die immense Datenmenge machen es schwierig, die Entscheidungsprozesse von Google nachzuvollziehen. Regulierungsbehörden und Nutzer müssen weitgehend auf Vertrauen in die Praktiken von Google setzen, da klassische Kontrollmechanismen oft nicht anwendbar sind.
Gamechanger Digital Markets Act?
Es überrascht wenig, dass in dieser Gemengelage die Politik eingreift: Der Digital Markets Act (DMA) ist ein bedeutendes Gesetzesvorhaben der Europäischen Union. Es zielt darauf ab, faire Wettbewerbsbedingungen im digitalen Markt zu schaffen und die Marktmacht großer Technologieunternehmen, sogenannter „Gatekeeper”, zu regulieren. Das Gesetz ist so gestaltet, dass es flexibel an neue Entwicklungen wie technologische Entwicklungen oder neue Marktpraktiken reagieren kann. Für die kohärente Durchsetzung der Regeln arbeitet die Europäische Kommission mit den nationalen Wettbewerbsbehörden der Mitgliedsstaaten zusammen. Bei Missachtung drohen Geldstrafen von bis zu 10 % des weltweiten Jahresumsatzes des Gatekeepers sowie bis zu 5 % des durchschnittlichen Tagesumsatzes bei fortgesetzten Verstößen.
Auswirkungen auf Google als Gatekeeper
Google ist eines der Unternehmen, das als Gatekeeper eingestuft wurde und muss nun einige Auflagen erfüllen, um den DMA-Vorschriften gerecht zu werden:
1. Verbot von Self-Prefering/Selbstbevorzugung
Beispiel: Google darf in den Suchergebnissen nicht bevorzugt eigene Produkte wie Google Shopping anzeigen, während konkurrierende Produkte benachteiligt werden.
2. Verbot der Datennutzung
Beispiel: Google Maps darf den Standort eines Nutzers nicht nutzen, um in Google Search automatisch Vorschläge für nahegelegene Einkaufsmöglichkeiten zu machen. Diese Daten dürfen nicht ohne Zustimmung des Nutzers kombiniert werden.
3. Keine Beschränkungen bei der Deinstallation von Angeboten
Beispiel: Google darf Nutzer nicht daran hindern, vorab installierte Software oder Apps zu deinstallieren, wenn sie diese nicht nutzen wollen.
4. Verbot, Preisbeschränkungen gegenüber Dritten von Komplementären zu verlangen
Beispiel: Google darf Drittanbietern wie App-Entwicklern im Play Store nicht vorschreiben, dass ihre Produkte nicht auf anderen Plattformen zu einem günstigeren Preis angeboten werden dürfen.
5. Verpflichtung zur Datenportabilität
Beispiel: Nutzer müssen die Möglichkeit haben, ihre gesamten Daten, wie E-Mails, Kontakte und Kalendereinträge, problemlos von Google zu einem anderen Anbieter zu übertragen, wenn sie den Dienst wechseln möchten.
Welche Veränderungen bringt der DMA für Nutzer?
Ein Beweggrund für die europaweiten Regulierungen ist der Schutz der Nutzer. Wie wirken sich also die Änderungen konkret auf Privatpersonen und Firmenkunden aus, die Google nutzen?
1. Verbot von Self-Prefering/Selbstbevorzugung und Preisbeschränkungen
- Vorteile für Händler und Content-Anbieter: Händler und Content-Anbieter profitieren, da ihre Chancen steigen, von Nutzern außerhalb des Google-Ökosystems gefunden zu werden. Dies fördert den Wettbewerb und ermöglicht es ihnen, freier in ihrer Preisgestaltung zu sein.
- Nutzererfahrung: Nutzer haben besseren Zugang zu einer Vielzahl von Produkten und Dienstleistungen, die nicht durch Googles eigene Angebote beeinflusst werden. Dies kann zu mehr Transparenz und besseren Angeboten führen.
2. Verbot der Datennutzung
- Erhöhte Transparenz und Kontrolle: Nutzer profitieren von mehr Kontrolle darüber, wann und in welchem Umfang ihre persönlichen Daten geteilt werden. Zum Beispiel dürfen Inhalte aus E-Mails nicht mehr für individualisierte Werbung genutzt werden, was die Privatsphäre stärkt.
- Nachteile: Allerdings könnte dies auch den Service-Charakter beeinträchtigen, da Google weniger in der Lage ist, Bedürfnisse und Vorlieben präzise zu erkennen. Die personalisierten Empfehlungen könnten dadurch weniger treffend sein.
3. Verpflichtung zur Datenportabilität
- Einfacher Anbieterwechsel: Sowohl Privat- als auch Geschäftskunden können einfacher den Anbieter wechseln, ohne große Herausforderungen oder Datenverluste befürchten zu müssen. Dies fördert den Wettbewerb und kann potenziell zu besseren Preisen und Dienstleistungen führen.
- Positive Auswirkungen auf die Preise: Während konkrete Analysen noch fehlen, wird erwartet, dass die erhöhte Wettbewerbssituation zu günstigeren Preisen für entsprechende Dienste führt.
Die Richtlinien des Digital Market Acts sind ein wichtiger Schritt zu mehr Fairness und Transparenz im digitalen Wettbewerb und bieten sowohl Privatpersonen als auch Firmenkunden Vorteile. Für eine abschließende Bewertung des DMA bedarf es jedoch klarer Zielvariablen und weiterer Analysen. In der Praxis wird jedes Gebot und Verbot vermutlich zu Musterverfahren führen, in denen im Detail geklärt wird, wo die Grenzen der Regulierung liegen und welche Praktiken legitim sind. Eine wesentliche Frage bleibt, ob die Marktzutrittsbarrieren für digitale Märkte ausreichend gesenkt werden, um neue Marktteilnehmer zu fördern und den Wettbewerb zu stärken. Angesichts des enormen Vorsprungs und der finanziellen Ressourcen von Unternehmen wie Google und Apple bleibt dies jedoch eine Herausforderung.
Blackbox Google: Es fehlen Forschung und Evidenz
Insgesamt ist das Wettbewerbsfeld von digitalen Plattformen sehr schlecht erforscht – aufgrund der fehlenden Transparenz und der enormen Datenmenge gibt es kaum systematische Forschung auf dem Gebiet und viele Themen bewegen sich im Bereich der Vermutung. Dazu gehört beispielsweise der Vorwurf des Self-Prefering von Google – hier gibt es wenig Evidenz. Auch fehlt es an empirische Studien über den Einfluss von Werbenetzwerken über Webseiten hinweg – also die Frage, ob es eine Koordination zwischen Suchmaschinen und nachgelagerten Werbenetzwerken gibt. Selbst in Sachen Suchmaschinenoptimierung, die ganze Geschäftsfelder im erweiterten Plattform-Kosmos einnimmt, gibt es kaum empirische Evidenz, wie gut die angebotenen Maßnahmen funktionieren und welchen konkreten Nutzen sie bringen. Google und andere Gatekeeper sind Blackboxen, über deren Funktionsweise wir alle spekulieren.