Oliver Lorenz, Verantwortlicher für Y1 Digital in Österreich erklärt in seinem Fachbeitrag die vielfältigen Folgen der Ukrainekrise auf den Handel und den E-Commerce. Er beantwortet die dringende Frage, wie Unternehmen ihre Einbrüche im Russlandgeschäft zukünftig ausgleichen können und welche Stromschnellen es hierbei zu umfahren gilt.
Handelssanktionen gegen Russland: Neue Märkte warten
Warenhandel bedeutet Austausch. Handelssanktionen treffen deswegen immer beide Seiten. Die Seite, gegen die Sanktionen erlassen werden und jene, die sanktioniert. Allein diesen März wurden laut Statista 2.319 Sanktionen gegen Russland verhängt. Weitere Sanktionen werden folgen. Der Ukraine-Krieg hat neben dem unfassbaren menschlichen Leid und den noch nicht bezifferbaren Schäden der ukrainischen Infrastruktur, weitreichende Folgen für den weltweiten Handel. Besonders betroffen ist der E-Commerce. Die noch von der Corona-Pandemie schadhaften Lieferketten werden durch die mit dem Krieg verbundenen Handelssanktionen noch weiter geschwächt. Weder zu Land und zu See noch – aufgrund der Luftraumsperrung – per Flugzeug lassen sich Waren ins Land befördern.
Hinzu kommt, dass die Sanktionen bereits Wirkung zeigen und sich die Kaufkraft in Russland verringert. Dies gilt insbesondere für Waren aus dem Luxussegment. Händler beklagen bereits, dass ihnen in wenigen Tagen bedeutende Anteile ihres Kerngeschäfts eingebrochen sind.
Einer aktuellen Umfrage des E-Commerce Verbands bevh. zufolge gaben 33,8 Prozent der befragten Unternehmen an, dass sich die Auftragslage angesichts von Schwierigkeiten bei den Lieferketten eklatant verschlechtert hat. Dieses Ergebnis entspricht unserer eigenen Erfahrung. Doch wie soll auf die Auswirkungen der Sanktionen reagiert werden? Bei der Beantwortung dieser Frage offenbarte sich ein breites Stimmungsbild unter den befragten Unternehmern, das verschiedene unternehmerische Phasen darstellt. 50 Prozent der befragten Mitglieder sehen keine Möglichkeit, kurzfristig auf die Schockwirkung des Ukrainekriegs zu reagieren. Bereits ein knappes Drittel der Befragten hält nach alternativen Beschaffungs- und Vertriebswegen Ausschau.
Eine gewisse Lethargie und Angst haben durch die Handelssanktionen Einzug in die E-Commerce Branche gehalten. Das zeigt sich an der Bewertung der Auswirkungen auf die Weltwirtschaft durch die befragten Händler. Die Hälfte rechnet damit, dass sie „massiv und dauerhaft“ sein werden.
Umsatz und Umstrukturierung
Doch wie kann der E-Commerce reagieren, um Schaden von sich abzuwenden? Die Gewissheit, dass Erfolg unter anderem davon abhängt, sich schnell an veränderte Bedingungen anzupassen, ist seit jeher fester Bestandteil unseres Selbstverständnisses bei Y1. Unternehmen sollten sich nicht zurücklehnen und darauf hoffen, dass in Kürze alles wieder so sein wird wie zuvor. Um Schäden zu vermeiden, müssen Wege für ein alternatives Geschäft geebnet werden. Ein Baustein hierbei: E-Commerce in Asien. Wir stellen in persönlichen Kundenberatungen oftmals zwei Dinge fest: Zum einen haben viele Unternehmen ausschließlich China im Kopf, wenn sie Asien hören. Zum anderen hadern sie mit dem Eintritt in asiatische Märkte.
Asien – noch viel mehr als nur China
Viele Menschen denken nicht zuletzt wegen der immensen Größe sofort an China, wenn es um Märkte in Asien geht. Doch der Kontinent besteht nicht nur aus dem alten Reich der Mitte. Zahlreiche weitere Möglichkeiten warten in Indien und Südostasien. Diese Gelegenheiten sollten E-Commerce-Händler nicht ungenutzt lassen. Diese Länder haben mittlerweile eine hohe Kaufkraft dank einer aufstrebenden Mittelschicht. Neben China stehen in Indien und der SEA-Region aufstrebende Hidden Champions zur Verfügung, für die jetzt die Zeit reif ist.
Keine Kontaktscheu
Während meiner langjährigen Beratungstätigkeit habe ich die Erfahrung gemacht, dass viele Kunden weniger Bedenken haben, ein E-Commerce-Projekt in geographisch gesehen näheren Ländern umzusetzen. Russland liegt zwar nicht direkt vor der Haustür. Es macht den Anschein, dass die geographische und kulturelle Nähe für weniger Kontaktscheu sorgen, als es bei einem E-Commerce-Projekt in Asien der Fall wäre. Diese Scheu ist fehl am Platz und nicht zielführend, wenn man sich der lokalen Unterschiede bewusst wird und über ein starkes Partner-Netzwerk vor Ort verfügt. Kulturen unterscheiden sich zudem nicht ausschließlich über Kontinentalgrenzen hinweg. Die Anforderungen an erfolgreiche E-Commerce-Lösungen differieren auch innerhalb Asiens stark voneinander.
Deswegen bedarf es strategischer Planung und zudem Kenntnisse der rechtlichen, politischen und infrastrukturellen Bedingungen vor Ort, um erfolgreich in fremde Märkte einzutreten. Mit über 15 Jahren Erfahrung als Geschäftsführer in Asien habe ich das notwendige Know-how und weiß daher: jeder einzelne Markt hat seine eigenen Anforderungen und Regeln.
Das gleiche Produkt wird oftmals erst durch einen anderen „Twist“ oder eine Neugestaltung des Online-Shops zum Topseller. Unternehmen dürfen sich nicht darauf verlassen, dass das, was in Europa gut Anklang findet, ebenso in asiatischen Märkten gewinnt. Gemeint sind damit allerdings nicht nur Online-Shop-Funktionen. Ein plastisches Beispiel sind die Zahlungsmethoden in den jeweiligen Ländern. Werden diese nicht berücksichtigt, ist der Markteintritt von Anfang an aussichtslos.
Zusätzlicher Teilaspekt ist die Sprachbarriere, die von Land zu Land divergiert. In Singapur kann man bereits einen großen Marktanteil mit einem englischsprachigen Online-Shop abdecken. In anderen Ländern geht das nicht, ohne eine E-Commerce-Plattform in der jeweiligen Landessprache an den Start zu bringen.
Weitere wichtige Faktoren für den erfolgreichen Handel in Asien sind Sales-Perioden und die Adaption an lokale Fest- und Feiertage, die in jedem Land unterschiedlich umzusetzen sind. Ein Weihnachts-Sale in Indien ist naturgemäß ebenso wenig sinnvoll wie ein Sommerschlussverkauf in Indonesien. Planen Unternehmen nach Asien zu expandieren, müssen sie sich bewusst sein, dass es nicht reicht, die Sprache des bestehenden Online-Shops anzupassen. Ein Markteintritt ist weit mehr. Oberstes Gebot: Mit Insider-Wissen und Einfühlsamkeit die Message und das Marketing des Produktes dem jeweiligen Markt im Zielland anzupassen, zu pflegen und ständig weiter zu optimieren. Bei unseren Kunden besteht ein hoher Bedarf an Beratung hinsichtlich Logistik-Organisation. Jedes einzelne Land in Asien setzt andere Maßnahmen voraus. Wir berücksichtigen die lokalen Gepflogenheiten und integrieren beispielsweise die unterschiedlichen Zahlungsmethoden des jeweiligen Marktes. Fachliche Expertise und ein starkes Netzwerk von Partnern vor Ort ermöglichen es uns, Alleinstellungsmerkmale des jeweiligen Zielmarktes bestmöglich für ein erfolgreiches E-Commerce Business zu nutzen.
Fazit
Angesichts der Handelssanktionen gegen Russland kann sich die E-Commerce-Branche nicht darauf verlassen, dass alles bald wieder so sein wird wie zuvor. Um Verluste zu kompensieren und Unternehmen voranzubringen bedarf es der Erschließung neuer Märkte. Asien entpuppt sich hierbei als Schatzkiste und Geheimtipp. Wichtig für einen erfolgreichen Markteintritt sind die Überwindung von Berührungsängsten, die strategische Evaluation und die Anpassung an lokale der Begebenheiten mit ortskundigen Partnern.