Customer Centricity in Unternehmen funktioniert nach ähnlichen Mechanismen wie eine stabile Paarbeziehung. Auf dem Weg dahin gilt es – wie im echten Leben – Erfolgserlebnisse zu genießen, Erfahrungen zu sammeln, Frustrationsmomente auszuhalten und daraus zu lernen.
Einer der zentralen Sätze aus der Paartherapie lautet: „Es ist eigentlich egal, mit wem du zusammen bist.“ Denn die meisten Beziehungsprobleme haben vor allem mit der eigenen Person zu tun. Wichtiger als das Verhalten des Gegenübers ist deshalb die Fähigkeit, eigene Verhaltens- und Denkweisen zu reflektieren und weiterzuentwickeln.
Der Schlüssel ist die eigene Haltung. Das gilt für Beziehungen genauso wie für Unternehmen, die sich Customer Centricity auf die Fahnen schreiben. Der springende Punkt ist nur, dass niemand mit diesem Wissen geboren wird. Sowohl Menschen als auch Unternehmen müssen einen Reifeprozess durchlaufen und gewisse Erfahrungswerte sammeln, um Beziehungen kompetent und langfristig gestalten zu können.
Auf dem Weg zu echter Customer Centricity durchlaufen Unternehmen mindestens drei Phasen:
Erste Annäherung – die Beziehung als Möglichkeit
Beginnen Unternehmen, sich mit Kundenzentriertheit zu beschäftigen, ähnelt das oft den Schulhofliebeleien von früher. Den Anfang macht bei beiden eine einfache „Ja-Nein-Frage“. In der Schule: gekritzelt auf einen Schmierzettel, zugesteckt während des Unterrichts, exekutiert durch verlegenes Händchenhalten und schüchterne Blicke.
Bei Unternehmen: gestellt in einem breit angelegten Online-Panel. „Könnten Sie sich vorstellen, dieses Produkt zu kaufen?“ Wie bei der Schulhof-Liaison setzen auch die NutzerInnen meist schnell ein Kreuzchen bei „Ja“. Vorstellen kann man sich schließlich Vieles im Leben. Aber die Entscheidung gegen das altbewährte Produkt im Supermarkt oder für das Aufräumen des Smartphone-Speichers zugunsten der neuen App haben dann im Alltag echte Implikationen.
Auf Basis von „Könnten Sie sich vorstellen“-Fragen werden immer noch Millionenbudgets freigegeben, auf Grundlage des Konjunktivs reale Produkte hergestellt, die dann an echten Entscheidungen scheitern. Nach der ersten Auseinandersetzung mit Customer Centricity bleiben im Unternehmen meist Enttäuschung und die Erkenntnis, dass ein „Ja“ auf dem Zettel zwar eine Möglichkeit, aber kein Versprechen ist.
Optionen testen – Erfahrungen für die Beziehungsreife
Teil des Reifeprozesses ist für viele Menschen und Unternehmen eine Zeit des Ausprobierens. Im realen Leben ist diese Phase häufig in den Zwanzigern verortet – von Unverbindlichkeit, Abenteuerlust und Momenten der Ernüchterung geprägt.
Im Unternehmen bedeutet das eine neue Art der Auseinandersetzung mit Customer Centricity. Zum Beispiel versucht man im Rahmen von Innovationsworkshops, reale Eindrücke von der Zielgruppe zu gewinnen. Dazu wird nicht länger nur irgendeine anonyme Masse befragt. Es werden Menschen auf der Straße zu ihren Präferenzen, Gewohnheiten, Motivationen interviewt.
So vielversprechend diese Methode auf den ersten Blick erscheint, so häufig scheitert sie doch spätestens beim zweiten Anlauf an den Realitäten im Unternehmen. Steht die nächste Produktinnovation an, ist die Zeit einfach zu knapp. Erfahrungswerte werden doch nicht mehr von realen NutzerInnen, sondern den eigenen KollegInnen gewonnen und am Ende entscheidet doch die Führungskraft nach ihrem Bauchgefühl.
Customer Centricity ist in diesem Kontext mit dem Erlebnis eines One-Night-Stands vergleichbar. Der hat dann zwar im besten Fall Spaß gemacht, aber auch nicht lange gewährt und schon gar keinen Impact entfaltet.
Partnerschaft leben – eine Beziehung auf Augenhöhe
Irgendwann stellen die meisten Menschen fest, dass die Art von Beziehungen, die auf Unverbindlichkeit und Flüchtigkeit beruht, auf die Dauer anstrengend ist und sehr viel Energie kostet. Im echten Leben wird an diesem Punkt der Tinder-Account gelöscht. Es bleibt: die Person, mit der man schon immer die besten Gespräche an der Bar geführt hat und mit der man auch bei Lichte betrachtet zusammen sein will.
Auch in Unternehmen reifen folgende Erkenntnisse:
- Um gute Produkte zu entwickeln, braucht es regelmäßiges KundInnenfeedback.
- Um innovative Produkte zu entwickeln, braucht es andere Insights als sie Marktforschungsstudien oder Fußgängerzonen-Befragungen generieren.
- Um KundInnen langfristig an sich zu binden, braucht es ein tiefgreifendes Verständnis für ihre Bedürfnisse entlang der Customer Journey.
Bei der Frage nach der praktischen Umsetzung dieser Erkenntnisse sollten Unternehmen folgende Beziehungs-Tipps beherzigen:
- Routinen etablieren: Customer Centricity gewinnt durch den regelmäßigen Austausch mit KundInnen. Und zwar nicht erst bei der nächsten Marktforschungsstudie oder Innovation Week. Vielmehr müssen Innovations- und Produktteams befähigt werden, direkt Resonanz einzuholen. Dazu eignen sich beispielsweise Customer-Feedback-Days.
- Die rosarote Brille abnehmen: Es ist wichtig, die Ecken und Kanten der KundInnen zu sehen und sie dafür zu lieben. Das, was man erst auf den zweiten Blick sieht, bietet meist das größte Potential für Produktinnovationen.
- Auf KundInnen einlassen: Unternehmen sollten sich die Zeit nehmen, ihre KundInnen wirklich kennenzulernen. Wie sieht ihre Journey wirklich aus? Was passiert links und rechts der Touchpoints? Welche Hilfsmittel setzen NutzerInnen ein, welche Workarounds haben sie sich überlegt, weil das Produkt ein bestimmtes Feature (noch) nicht bietet?
- Neugierig sein: Organisationen, die Customer Centricity erfolgreich leben, behandeln ihre KundInnen auf Augenhöhe. Sie werden belohnt durch loyale KundInnen, die ein Unternehmen oder eine Marke als starken und verlässlichen Partner sehen.