Innerhalb der nächsten fünf Jahre wird ein Technologiewechsel im Bereich des In-Vehicle Infotainments stattfinden. Kunden verlangen ein vernetztes Fahrzeug mit Online- und Streaming-Diensten. Ein Interview mit Dr Bogdan Tanygin, Eleks.
Innerhalb der nächsten fünf Jahre wird es einen Technologiewandel im Bereich des Infotainments in Fahrzeugen geben. Die Kunden verlangen ein vernetztes Fahrzeug mit Online- und Streaming-Diensten. Wie reagiert die deutsche Autoindustrie darauf?
Die Automobilindustrie ist eine Schlüsselindustrie der deutschen Wirtschaft. Die neueste Entwicklung in dieser Branche, der Einsatz von In-Car-Infotainment-Systemen, basiert bei deutschen Automobilherstellern jedoch meist noch auf dem veralteten Software-Technologie-Stack. In-Car-Infotainment-Systeme werden im Rahmen langfristiger Projekte entwickelt, die mehrere Jahre dauern. Die Finanzierung solcher Projekte ist meistens sehr gut. Das garantiert eine ausreichende Qualität und beugt Risiken vor, soweit dies auf dem veralteten Techno-Stack möglich ist.
Der große Nachteil solcher langfristigen Großprojekte, die von etwa 50-100 Ingenieuren durchgeführt werden, besteht allerdings darin, dass die Dauer der Fertigstellung mit der Dauer einer Veränderung der weltweiten Technologielandschaft vergleichbar ist. Das Resultat ist ein Verlust an Agilität. Nicht nur das, die Situation ist oftmals noch schlimmer: Die Technologien basieren absichtlich auf dem klassischen Verständnis von Embedded Engineering. Das widerspricht jedoch dem realen Trend.
Zur Verdeutlichung dieses Widerspruchs können Sie sich folgendes Bild vor Augen führen: Sogar die Software auf der Chipkarte unserer Kreditkarten basiert inzwischen auf Java, nicht mehr auf den nativen Apps (C/C++). Die Infotainment-Hardware eines Auto ist viel leistungsfähiger als die einer Kreditkarte und dürfte so eine veraltete Software gar nicht mehr nutzen.
Dieser Widerspruch zwischen moderner Technologie und veralteter Software rührt daher, dass nach Hochleistungs- und Echtzeit-Computing für die Firmware-Entwicklung gesucht wird. Dieser Umstand hat Ähnlichkeit mit der Mobilfunkbranche, die in den letzten Jahren den Wettbewerb zwischen Android, iOS, Symbian (eingestellt, auch wenn es auf C/C++ basiert und am leistungsfähigsten ist) und Windows Phone (eingestellt) miterlebt hat.
Die Technologieriesen haben bereits erfolgreich ihre ersten Systeme auf dem Markt positioniert. Was bedeutet das für deutsche Automobilfirmen?
BT: Einige große deutsche und skandinavische Automobilhersteller folgten diesem Trend bereits und kündigten an, sich in Richtung Android Automotive als gemeinsame Plattform zu bewegen. Dennoch ist das Thema nach wie vor kontrovers, darin sind sich alle Unternehmen einig. Ganz gleich, wie Unternehmen in Zukunft mit dem Thema umgehen, eines ist klar: Es wird erfolgreiche Unternehmen geben und es wird Unternehmen geben, die der Herausforderung nicht gewachsen sind.
Was fehlt deutschen Automobilherstellern bislang, um Infotainment-Technologien optimal umzusetzen?
Den Autoherstellern fehlt die Flexibilität, die Phase zu überstehen, in der sich noch keine dominante Technologie etabliert hat, ohne mit ihren Modellfreigabezyklen ins Hintertreffen zu geraten. Langfristige und risikoreiche Großprojekte passen nicht zu der F&E-Agilität, die Unternehmen benötigen, um den Trend nicht zu verpassen.
Welche Auswirkungen haben die Entwicklungen auf die Fachkräfte der Automobilhersteller?
Die Ausrichtung auf mehr Agilität hat Konsequenzen für Fachkräfte der Unternehmen. Große interne Entwicklungsteams mit C/C++-Kenntnissen im Zuge dieser Neuausrichtung werden überflüssig und müssen ausgetauscht werden.
In jedem dieser Szenarien ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Unternehmen, die C/C++ nutzen, gewinnen, gering. Hunderte von C/C++-Ingenieuren bei allen deutschen Automobilherstellern sowie in deren T1 (Autoteile-Hard- und Softwarehersteller) werden durch neue Experten ersetzt werden müssen. Dies bedeutet eine immense Veränderung auf dem Arbeitsmarkt. Um dieser entgegenzuwirken, muss zumindest eine gewisse Vorbereitung innerhalb der Unternehmen stattfinden. Beispielsweise muss eine Abstimmung der umsetzbaren Spezialisierung der vorhandenen Mitarbeiter geplant werden.
Wie können Automobilhersteller diese personellen Veränderungen bewältigen?
Um mit dieser schwierigen Situation umgehen zu können, werden externe Dienstleister für Unternehmen zu Schlüsselakteuren in dieser Übergangsphase.
In einer Situation, in der eine noch unbestimmte technologische Stack-Dominanz bevorsteht, ist ein externer Software-Engineering-Dienstleister von entscheidender Bedeutung, da er einmalige Projekte, PoCs (Proof-of-Concept) und ein schnelles Hoch- und Herunterfahren des Engineering-Teams ohne Risiken für den deutschen Arbeitsmarkt ermöglicht.
Dienstleister ermöglichen es Unternehmen außerdem, F&E und PoCs ohne Änderung der festen Personalstruktur durchzuführen. Zumindest solange, bis eine eindeutig anwendbare Technologie vorliegt.
Auf welche Technologien müssen sich Automobilunternehmen in Zukunft einstellen? Gibt es Hinweise auf dominante Technologien und Programmiersprachen?
Meiner Meinung nach sind Programmiersprachen und Technologien, die in Zukunft für die Automobilindustrie einsetzbar sind, C/C++, Qt, Android, Java und JavaScript-Technologien. Deshalb sind externe Softwareanbieter, die unterschiedliche technologische Kompetenzen anzubieten haben, für die Herausforderung der personellen Veränderungen am besten geeignet, weil sie die Möglichkeit bieten, PoC auch während eines noch unklaren technologischen Trends zu testen.