Trotz Krise: Nachfrage nach IT-Unternehmen stabil

Auch die Unternehmen der Digitalbranche bekommen die Auswirkungen des Corona-Virus zu spüren. Laut den jüngsten Erhebungen des Branchenverbands BITKOM empfehlen aktuell neun von zehn Unternehmen der Digitalwirtschaft (89 Prozent) ihren Mitarbeitern, aus dem Homeoffice zu arbeiten.

Und für nicht wenige stellen sich angesichts der Corona-Krise existenzielle Fragen: Jeweils sechs von zehn der von BITKOM befragten IT-Unternehmen berichten von einer großen Verunsicherung ihrer Kunden (61 Prozent) und von zurückgestellten Aufträgen (60 Prozent). Dennoch gibt es auch Grund zum Optimismus, denn der Trend zur Digitalisierung erweist sich gerade im Angesicht der Krise als ungebrochen. So ist zu erwarten, dass auch die M&A-Aktivitäten im Digital-Markt nach einer kurzen Phase der Selbstbesinnung und Krisenstimmung wieder hochgefahren werden. Wie schnell das gehen kann und was Eigentümer von IT-Unternehmen und auch Investoren dabei beachten sollten, verrät Ralf Heib, Geschäftsführer der match.IT GmbH in Saarbrücken.

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Herr Heib, ihr Unternehmen match.IT ist eine M&A-Beratung, die sich auf den mittelständischen IT-Markt im deutschsprachigen Raum spezialisiert hat. Die Auswirkungen der Corona-Krise haben für einen kurzfristigen Einbruch des Transaktionsvolumens gesorgt und so manche Akquisitionsfinanzierung ist im Begriff zu scheitern. Auch Eigentümer sind verunsichert. Wie nehmen Sie die aktuelle Lage am Markt wahr?

Ralf Heib: Hier lohnt sich zuerst ein Blick zurück: Viele Investoren und auch Eigentümer im deutschen Digital-Markt sind mit großen Erwartungen in das Jahr 2020 gestartet. Bereits im ersten Quartal sind zahlreiche M&A-Projekte angelaufen und auch bereits erfolgreich abgeschlossen worden. Man denke beispielsweise an das Private-Equity-Unternehmen Waterland, das gleich drei IT-Dienstleister zu einem Cloud-Anbieter fusionierte. Mit der Corona-Krise kam dann allerdings die große Verunsicherung: Die weitgehende Stilllegung der Wirtschaft stellt auch Digitalunternehmen vor große Herausforderungen. Im Vordergrund stand ein erstes Krisenmanagement, das sich maßgeblich auf die Gesundheit der Mitarbeiter und Kunden konzentrierte. Und natürlich gewinnt die eigene Liquidität in solchen Situationen wieder an entscheidender Bedeutung. Sprüche wie „cash is king“ oder „Das Pulver trocken halten“ bringen die gegenwärtige Gefühlslage ganz gut auf den Punkt. Nach dieser ersten Umstellungsphase stellen sich nun aber viele die Frage: Wie geht es weiter mit den M&A-Aktivitäten am Digital-Markt? Wird der Markt länger ruhen oder ergeben sich vielleicht sogar die ein oder anderen kurzfristigen Chancen?

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Die vom Branchenverband BITKOM kurz nach dem Shut Down ermittelten Zahlen geben allerdings wenig Anlass zur Hoffnung. Jeweils sechs von zehn der von BITKOM befragten IT-Unternehmen berichten von einer großen Verunsicherung ihrer Kunden (61 Prozent) und von zurückgestellten Aufträgen (60 Prozent). Jedes vierte Unternehmen (23 Prozent) hat heute bereits mit Auftragsstornierungen zu kämpfen. Wie sollen auf dieser Grundlage überhaupt noch erfolgreiche M&A-Deals zustande kommen?

Ralf Heib: Tatsächlich sind die Erwartungen an die Geschäftsentwicklung im Jahr 2020 momentan entsprechend stark getrübt. Dass viele IT-Projekte erst einmal „on Hold“ gestellt wurden, betrifft aber insbesondere IT-Dienstleister mit starkem Projekt- und Beratungsgeschäft. Anbieter mit hohem Anteil an Managed Services und Cloud Dienstleistungen sind davon weniger stark betroffen. Aus M&A-Perspektive lässt sich daher ganz gut das Bild aus der aktuellen Diskussion zum Fußball gebrauchen, ob nun mit einem kompletten Saisonabbruch, also dem kompletten Shut-Down des M&A-Marktes, oder noch mit einem versöhnlichen Saisonabschluss zu rechnen ist und wir bis zum Jahresende vielleicht doch noch einige Tore bzw. Deals sehen werden.

 

Wovon ist das ihrer Ansicht nach abhängig?

Ralf Heib: Zum jetzigen Zeitpunkt lassen sich dazu folgende Überlegungen anstellen: Die Erfahrungen mit Krisensituationen in der Vergangenheit wie bspw. der Finanzkrise 2008/2009 haben gezeigt, dass der M&A-Markt sehr wohl sensibel auf derlei Wirtschaftsentwicklungen reagiert. Da gibt es Eigentümer, die in Erwartung geringerer Preise erst einmal zurückhaltend agieren und Investoren, deren Zugriff auf Finanzmittel plötzlich beschränkt ist.

Demzufolge wird es auch für das M&A-Geschehen am Digital-Markt während und nach der Corona-Krise eine gewichtige Rolle spielen, welches Szenario der Wirtschaftserholung im Endeffekt greifen wird. Aktuell rechnen führende Wirtschaftsexperten mit zwei wahrscheinlicheren Szenarien (V- und U-Szenario) sowie einem weniger wahrscheinlichen Szenario (L-Szenario). Während im hoffnungsvollen V-Szenario mit keinerlei dauerhaften Verlusten für die Weltwirtschaft zu rechnen ist, geht man im ebenso denkbaren U-Szenario von einer stark verlangsamten Wirtschaftserholung aus. Letztere gründet auf einem weltweiten Nachfrageeinbruch, hervorgerufen durch allgemeine Unsicherheit und Risikoabneigung. Weit weniger denkbar ist aktuell das L-Szenario. Hier wird von einer anhaltenden Stagnations-Phase ausgegangen mit massiven Auswirkungen auf Nachfrage und Angebot. Die internationalen Märkte würden mit protektionistischen Maßnahmen reagieren und einen Weg der Deglobalisierung einschlagen.

 

Und was bedeutet das speziell für den Digital-Markt?

Ralf Heib: Auch der Digital-Markt wird sich von der Geschwindigkeit der Markterholung nach der Krise nicht völlig abkoppeln können. Dennoch ist gerade für den Digital-Markt mehr Optimismus angebracht, denn der Trend zur Digitalisierung ist auch im Angesicht der Krise ungebrochen. So wird gerade in Zeiten von Corona die Dringlichkeit digitaler Maßnahmen noch einmal deutlicher. Der viel zitierte „Arbeitsplatz der Zukunft“ und die Arbeit „Out-of-Office“ ist für viele Arbeitnehmer nun schneller als gedacht zur Realität und Notwendigkeit geworden. Parallel stellen viele Firmen erst jetzt fest, ob sie für das „Arbeiten 4.0“ überhaupt gerüstet sind. Kommunikationsnetzwerke wie VPN müssen reibungslos laufen, die IT-Security muss gewährleistet sein und schließlich spielt auch die Bandbreite, ob nun am Serverstandort oder bei den Mitarbeitern im Homeoffice, eine gewichtige Rolle. Und um eine Zusammenarbeit wie im echten Büro zu ermöglichen, werden Kommunikationsplattformen mit Screen-Sharing und Video-Conferencing sowie Software für Fernzugriffe und -wartung immer gefragter. Damit einhergehende Technologietrends wie etwa Cloud- und Managed-Services sowie Cyber-Security-Lösungen werden während der Krise auf einmal auch für bislang noch nicht so stark digitalisierte Wirtschaftszweige relevant, sodass man in Teilen sogar von einer Sonderkonjunktur sprechen kann, die auch deutlich über die Krise hinauswirken wird. BITKOM-Vorstand Berg spricht in diesem Zusammenhang von der Digitalisierung als „Silberstreif am Horizont der Corona-Krise.“

 

Die Krise wird sich also auf die verschiedenen IT-Segmente unterschiedlich auswirken. Unternehmen prüfen jetzt genau, wie digital sie und ihre Mitarbeiter eigentlich aufgestellt sind – und in Teilen wird das sogar für eine deutlich höhere Nachfrage sorgen. Bezogen auf den M&A-Markt sehen sie also einer ebenso hoffnungsvollen Zukunft entgegen?

Ralf Heib: Meiner Ansicht nach ist nicht zu erwarten, dass der aktuelle Digitalisierungsschub mit einem Mal ausgebremst wird. Im Gegenteil: Digital-Unternehmen mit zukunftsfähigem Geschäftsmodell werden gestärkt aus der Krise hervorgehen. Insofern werden auch die M&A-Aktivitäten am Digital-Markt nach einer kurzen Phase der Selbstbesinnung und Krisenstimmung wieder entsprechend hochgefahren.

 

Doch was heißt das konkret für Eigentümer und Investoren? Welche Szenarien zeichnen sich schon jetzt als realistisch ab?

Ralf Heib: Strategisch stark positionierte Investoren mit entsprechender Liquidität werden auch in der zweiten Hälfte des Jahres in der Lage sein, Ihre M&A-Agenda am Digitalmarkt konsequent weiterzuverfolgen. Strategische Targets aus dem IT-Markt haben angesichts der zunehmenden Relevanz der Digitalisierung noch weiter an Bedeutung gewonnen. Dementsprechend steigen auch die Chancen auf gemeinsame Synergieeffekte und Marktpotenziale.

Zusätzlich werden sich auch neue kurzfristige Opportunitäten ergeben, bspw. hervorgerufen durch Notverkäufe. Finanzstarke und entscheidungsschnelle Investoren können hier rasche Erfolge erzielen. Finanzschwächere Investoren werden hingegen ihre M&A-Aktivitäten erst einmal runterfahren müssen und im Vergleich zu den Wettbewerbern an Marktposition verlieren. Als sicher mag auch gelten, dass rein kreditfinanzierte, überteuerte Deals nicht mehr so einfach möglich sein werden wie etwa vor der Krise.

 

Und auf Seite der Eigentümer?

Ralf Heib: Nun, gut positionierte IT-Unternehmen werden auch weiterhin eine starke Position innehaben und in der Lage sein, fähige Investoren zu finden. Preisliche Übertreibungen erfahren sicherlich eine Bremse, aber gute Bewertungen für gut positionierte Unternehmen werden weiterhin realisierbar sein.

IT-Firmen mit schwächerer Positionierung und Kapitalausstattung werden mehr zu kämpfen haben und auch kaum noch von den Preisen des vormalig starken Verkäufermarkts profitieren. So müssen wohl bei manchen IT-Unternehmen auch Notverkäufe in Erwägung gezogen werden. Ebenso sind Carve-Outs oder Portfolio-Bereinigungen von schwächeren Investoren zu erwarten.

 

Ihr Unternehmen match.IT unterstützt mittelständische IT-Unternehmen seit vielen Jahren mit der richtigen Strategie, um weiteres Wachstum zu generieren und den Technologiewandel zu meistern oder bei Exit- und Nachfolgeplänen den passenden strategischen Investor zu finden. Was raten Sie den Lesern angesichts der aktuellen Lage? Und wie finden Eigentümer und Investoren im Krisenjahr 2020 trotzdem zueinander?

Ralf Heib: Nach der bereits erwähnten ersten Phase des Krisenmanagements sollten Investoren den Markt genau beobachten und daraus resultierende Chancen wahrnehmen. Es gilt, als verlässlicher Partner im Gespräch zu bleiben und gerade bei laufenden Projekten weiterhin auf eine offene und vertrauensvolle Kommunikation zu setzen. Natürlich sind die Auswirkungen der Krise im Hinblick auf Due Diligence sowie Kaufvertrags- und Kaufpreisgestaltung genau zu prüfen. Trotzdem sollte eine für beide Seiten faire Lösung gesucht werden. Denn vor allem gut positionierte IT-Unternehmen werden jetzt verstärkt darauf schauen, wie verlässlich Investoren angesichts der Krisensituation kommunizieren und agieren.

Insgesamt gesehen sollten Investoren also auch in Zeiten von Corona an der bestehenden M&A-Strategie festgehalten und diese weiter ausbauen. Denn: Gute Targets werden auch nach der Krise gute Targets bleiben, mit denen sich dann weiter nachhaltige Erfolge erzielen lassen.

Auch lohnt es sich, schnell bei aufkommenden Opportunitäten zu reagieren: Bei kurzfristig auftretenden Kaufmöglichkeiten sollte man auch bei weniger stabiler Datenlage und trotz etwaiger Risiken in der Lage sein, rasch eine Entscheidung herbeizuführen. Dennoch bleibt auch hier Fairness das oberste Gebot. Gerade bei Notverkäufen (Disstressed M&A) wünscht sich niemand einen Partner, der notwendige Prozesse lange hinauszögert und sich schwertut, zielführende Entscheidungen zu treffen.

 

Sitzen die Käufer also nun aufgrund der Corona-Krise am längeren Hebel?

Ralf Heib: Für Eigentümer heißt es nur nicht in Panik zu geraten. Dies gilt insbesondere für den digitalen Mittelstand mit den mehr als 10.000 IT-Unternehmen in Deutschland im Bereich von 10 bis 500 Mitarbeitern, in dem bislang die Mehrheit der M&A-Transaktionen stattgefunden hat.

Zuerst sollte das eigene Unternehmen weitestgehend gesichert und Maßnahmen des Krisenmanagements ergriffen werden. Hinsichtlich der Auswirkungen der Krise sollte auf eine offene Kommunikation gesetzt werden, vor allem in laufenden M&A-Projekten. Es gibt keinen Grund das Selbstbewusstsein zu verlieren, denn auch hier heißt es: Ein gutes Target bleibt auch nach der Krise ein gutes Target. Dies gilt insbesondere für solche IT-Unternehmen, die schon konsequent auf dem Weg zu einem Cloud- und Managed Services-Anbieter sind und entsprechend von dem Digitalisierungsschub der Nach-Corona-Phase profitieren können.

Dennoch müssen bei laufenden M&A-Projekten jetzt auch Kompromisse eingegangen werden. Je nach Konstellation können Eigentümer ihrem Investor bspw. über eine Earn-Out-Regelung entgegenkommen, wobei das berühmte „Win-Win“ anstrebt werden sollte. Findet man hier keine ausgewogene Lösung, gilt es auch einmal abzuwarten und gegebenenfalls den Deal on hold zu setzen. Denn in diesen Situationen findet sich zuweilen oft überraschend auch noch ein alternativer Investor.

Wichtig bleibt für Eigentümer, dass sie nach wie vor zu ihrem Geschäftsmodell stehen und auch das „Matching“ bzw. den strategischen Fit zum möglichen Investitionspartner richtig positionieren. Denn nur auf diese Weise können sie selbstbewusst ihren Value Added sowie die möglichen Synergien kommunizieren und die Verhandlungen letztendlich erfolgreich gestalten.

 

Was bedeutet das für den Rest des M&A-Jahres 2020?

Ralf Heib: Schon heute wird deutlich, ohne Schrammen wird wohl kaum jemand durch die Krise kommen. Doch sowohl für den Digital-Markt als auch für die M&A-Aktivitäten in diesem Segment ist durchaus ein gewisser Optimismus angebracht, denn der Trend zur Digitalisierung geht ungebrochen weiter. Im Vergleich zu anderen Märkten wird der Digital-Markt deshalb kurzfristig nicht so stark zurückfallen und auch schneller wieder anspringen.

Insofern ist im Vergleich zum Fußball der Vorteil, dass eine M&A-Saison länger andauert. So ist zu erwarten, dass ab Herbst gerade für den Digitalmarkt ein starkes Saisonfinale zu erwarten ist.

Bis dahin gilt es sowohl für Investoren als auch für Eigentümer gut vorbereitet zu sein und sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Nur wer jetzt konsequent an seinen M&A-Strategien weiterarbeitet und den Markt genau beobachtet, wird dann auch in der Lage sein, ein famoses Saisonfinale 2020 zu spielen.

Herr Heib, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!

Heib160Webinar: „M&A im Digital-Markt 2020: Erfolgsfaktoren in der Krise!“

19. Juni 2020,  15.00 – 16.00 Uhr

Referent: Dipl.-Kfm. Ralf Heib ist Geschäftsführer der match.IT GmbH in Saarbrücken und verfügt über langjährige Management- und M&A-Erfahrungen im Digitalmarkt

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