Für viele Unternehmen bedeutet Digitalisierung noch immer den Austausch bereits bestehender Systeme durch die neuesten Software-Lösungen auf dem Markt. Ein Trugschluss, denn die digitale Transformation lässt sich auch mit eigener Software und Modernisierungsmaßnahmen erreichen.
Es sind eigentlich gute Zeiten für Unternehmen. Die Digitalisierung lässt neue Software und IT-Dienstleister wie Pilze aus dem Boden sprießen – alle mit dem Versprechen, noch einfachere und effektivere Lösungen anzubieten. Im Angesicht dieser Entwicklung hinterfragen Unternehmen aber auch regelmäßig ihre bereits vorhandenen Technologien. Können sie leisten, was die neuen Produkte versprechen? Klar ist: Die digitale Transformation setzt neue Maßstäbe. Wer sich nicht daran orientiert, wird mit harten Wettbewerbsnachteilen rechnen müssen. Aber muss es wirklich immer die neueste Software und das modernste Tool sein, wenn eine selbstgeschriebene Lösung vorhanden ist und verlässlich arbeitet? Nein, denn oft reicht die Modernisierung der bestehenden Anwendungen.
Jedem Anfang wohnt eine Analyse inne
Der Griff zur vorgefertigten Software ist verlockend, besonders bei dem breiten Angebot auf dem Markt. Dabei vergessen Unternehmen schnell, dass die Inhouse-Entwicklung in vielen Bereichen unschlagbar ist und Vorteile bietet, die Lösungen von der Stange nicht liefern können. Denn während diese Standard-Anwendungen dazu konzipiert sind, Standard-Probleme zu lösen, ist die eigene Software ganz individuell auf die Anforderungen und Probleme anzupassen. Ein nicht zu unterschätzender Aspekt, denn durch eigene Lösungen können sich Unternehmen auch aus der grauen Masse an Mitbewerbern hervorheben.
Ein umkämpfter Markt und Konkurrenz, die auf neue Technologien setzt, führen dennoch dazu, dass sich auch die eigenen Anwendungen einer eingehenden Analyse unterziehen müssen. Oftmals verursachen diese Lösungen hohe Betriebskosten oder sind in den Bereichen Performance, Ausfallsicherheit oder Security nicht mehr für den Einsatz geeignet. Auch aktuelle Datenschutzbestimmungen sind hier ein wichtiges Thema. Statt nun die gesamte eigene IT auszutauschen oder teure Lizenzprodukte hinzuzukaufen, sollte nach der Bestandsaufnahme entschieden sein, welche Bereiche das Kerngeschäft ausmachen und wie Modernisierungsmaßnahmen hier helfen könnten. Im E-Commerce ist beispielsweise ein ansprechender, nutzerfreundlicher und schneller Webshop unerlässlich. Für Mitarbeiter im Außendienst sind hingegen eher Tablets und Smartphones wichtiger als das modernste Backend-System im Hintergrund. Anstatt großflächig Software abzulösen, sollten Unternehmen lieber gezielt dort modernisieren, wo neue Technologien den meisten Mehrwert bieten.
Unternehmen sollten bei der Auswahl der passenden Technologie je nach Anwendungsfall entscheiden und nicht blind den aktuellen Trends auf dem Markt folgen. Wer seine Altanwendung in Form eines Monolithen in die Cloud verlagert, wird ein böses finanzielles Erwachen erleben – denn außer den hohen Kosten für dieses Projekt wird von den eigentlichen Vorteilen der Cloud nicht viel übrigbleiben. In vielen Fällen ist ein hybrider Cloud-Ansatz hingegen betriebswirtschaftlich deutlich lohnender – beispielsweise dann, wenn nur das Frontend in die Cloud verlagert wird und das Backend weiterhin beim Unternehmen selbst verbleibt.
Mehr Mut zu selbstgeschriebener Software
Den Herausforderungen der Digitalisierung mit eigenen Anwendungen zu begegnen hat eine Vielzahl von Vorteilen – genau wie der generelle Einsatz von selbstgeschriebener Software. Denn obwohl das Einkaufen von vorgefertigten Lösungen auf den ersten Blick als eine einfache Option erscheint, machen sich Unternehmen mit dieser Praxis zunehmend abhängig und verlieren die Kontrolle über ihre IT. Sie sind beispielsweise darauf angewiesen, dass Software-Hersteller die Sicherheitslücken in ihren Produkten rechtzeitig schließen und einen langfristigen Support anbieten. Auch der Zugriff auf die eigenen Daten kann schnell zu einem Problem werden, wenn Unternehmen eine Lizenz nicht verlängern oder den Anbieter wechseln wollen. Diese Abhängigkeit von einem bestimmten Hersteller ist keine Seltenheit und ist auch unter dem Begriff Vendor Lock-in bekannt. Als Resultat sind Unternehmen so stark an ein Produkt oder Service gebunden, dass ein Wechsel auf Grund von hohem finanziellem oder technischem Aufwand ausbleibt.
Auch mit Blick auf die IT-Infrastruktur wird deutlich, dass verschiedene Software-Lösungen von unterschiedlichen Herstellern ein problemloses Zusammenspiel erschweren. Zusätzlich erfordert die reibungslose Verknüpfung dieser Anwendungen sowohl passende Schnittstellen, als auch eine offene Umgebung. Voraussetzungen, die Hersteller nicht in jedem Fall erfüllen können oder wollen und die schnell zu einem unübersichtlichem Architektur-Puzzle in der Infrastruktur führen können.
Wellness für Legacy-Software
Neben den vielen Vorteilen der hauseigenen Software ist deren Entwicklung und Wartung kein Selbstläufer. Anwendungen, die oft jahrzehntelang im Einsatz und mit unternehmenskritischen Aufgaben betreut sind, müssen technologisch auf einem aktuellen Stand bleiben und über eine ausführliche Dokumentation verfügen. Verstaubte Technologien, unübersichtliche Architekturen und ein überladener Quellcode führen hingegen dazu, dass sich die eigene Software zu einer teuren Angelegenheit entwickelt, die Anpassungen und neue Funktion sehr erschwert. Abhilfe kann hier das so genannte Refactoring schaffen. Mit dieser Methode wird der Code aufgeräumt und vereinfacht, wodurch er leichter zu lesen und zu verstehen ist. Aber auch das regelmäßige Testen und die Weitergabe des Know-how an neue Kollegen sind wichtige Bestandteile der umfassenden Pflege für die eigene Software.
Bei richtiger Umsetzung sind individuelle Inhouse-Entwicklungen unschlagbar und verschonen Unternehmen sowohl vor Abo-Fallen als auch Abhängigkeiten zu den Herstellern externer Lösungen.