Die Quantenphysik wird unser tägliches Leben immer stärker beeinflussen, bis hin zu unserer Weltanschauung. Mittlerweile stellt sie die bedeutendste wissenschaftliche Theorie für unser heutiges Leben dar – und ihr Einfluss wird weiter steigen. Was aber hat der Spuk im Mikrokosmos mit neuen Supertechnologien zu tun?
In Douglas Adams Parodie auf das intergalaktische Geschehen „Per Anhalter durch die Galaxis“ heißt es gleich zu Beginn des zweiten Buchs:
Es gibt eine Theorie, die besagt, wenn jemals irgendwer genau herausfindet, wozu das Universum da ist und warum es da ist, dann verschwindet es auf der Stelle und wird durch noch etwas Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt. – Es gibt eine andere Theorie, nach der das schon passiert ist.
Passender lässt sich die Physik des 20. Jahrhunderts kaum beschreiben. Um 1900 herum erschienen physikalische Konzepte wie Felder und Wellen, die unsichtbare Kraft der Gravitation und die Entropie bereits bizarr und für ein breites Publikum nur schwer begreiflich. All diese Phänomene konnte man nicht sehen oder anfassen, doch sie waren berechenbar und vorhersagbar und gaben das, was die Menschen in ihrem Alltag erlebten, wieder. Doch trotz ihrer Abstraktheit waren sie immer noch sehr anschaulich im Vergleich zu den Gedankengebäuden, die die Physiker entwickeln mussten, um die Natur der Atome (sowie auch die Weiten des Universums) zu begreifen.
Eine unerhörte Provokation
Der Siegeszug des völlig Bizarren begann mit der Beobachtung, dass auf atomarer Ebene bestimmte Größen nicht jeden beliebigen Wert annehmen können. Zum Beispiel nimmt die abgestrahlte Energie bestimmter Körper nur festgelegte, also diskrete Werte an. Sie ist sozusagen abgepackt, in sogenannten Quanten (vom lateinischen Wort quantum – so viel). Würden die Regeln der Mikrowelt auch in „unserer“ Welt gelten, könnte man in seiner Wohnung nur eine Zimmertemperatur von 10, 20 oder 30 °C einstellen, alle Werte dazwischen gäbe es einfach nicht. Kurze Zeit darauf erkannten die Physiker, dass Licht eine Doppelnatur aufweist: Einmal ist es eine Welle, ein anderes Mal ein Teilchen. Gleiches beobachteten sie dann auch beim Elektron. Doch wie kann ein räumlich lokalisiertes Teilchen gleichzeitig eine räumlich ausgedehnte, also de-lokalisierte Welle sein? In der Welt der klassischen Wissenschaften, in der Weiß immer Weiß ist und Schwarz genau Schwarz, stellte dieser „Wellen-Teilchen-Dualismus“ eine unerhörte Provokation dar.
Im ausgehenden 19. Jahrhundert hatten sich die Physiker gerade an den Gedanken gewöhnt, dass sie mit ihren Theorien bald die Welt vollständig verstehen würden. Einen gefühlten Augenblick später waren sie plötzlich gezwungen, sich von 250 Jahre alten physikalischen und mehr als 2.500 Jahre alten philosophischen Gewissheiten zu verabschieden. Mit immer mehr „Unmöglichkeiten“ mussten sie lernen umzugehen: Quantenobjekte können mehrere Zustände gleichzeitig aufweisen, beispielsweise zum gleichen Zeitpunkt an verschiedenen Orten sein. Und dann besitzen Quantenobjekte noch nicht einmal objektiv festgelegte Eigenschaften: Ihre Eigenschaften lassen sich nur mit Wahrscheinlichkeiten angeben, Messergebnisse sind vom Beobachter abhängig und ihre Zustände (Wellenfunktionen) zerfallen einfach so außerhalb jeglicher Zeit. Und schließlich ist da noch das merkwürdigste aller Quantenphänomene: die Verschränkung räumlich getrennter Teilchen. Selbst wenn sie weit voneinander entfernt sind, können zwei Teilchen wie durch Zauberei aneinander gekoppelt sein. Unterm Strich lässt sich sagen: Das Wesen und die Eigenschaften von Quantenobjekten sind hochabstrakt und lassen sich nicht mehr mit unseren Alltagsvorstellungen und Denktraditionen vereinbaren.
Trotz all dieser unanschaulichen Unwägbarkeiten sagt die heutige Quantentheorie den Ausgang von Experimenten und Naturgeschehnissen mit einer in der gesamten Wissenschaft unübertroffenen Exaktheit vorher. Wieder ein kontra-intuitiver Zusammenhang, der jeder Alltagserfahrung widerspricht: Aus etwas, das unbestimmt und nicht fassbar ist, wird ein zu 100 Prozent berechenbarer Vorgang.
Vertrauen in die Gesetze der Quantenphysik
Weil wir immer exakter berechnen können, was sich auf atomarer Ebene abspielt, beherrschen wir den Mikrokosmos immer besser. Längst sind Anwendungen der Quantenphysik konkreter Bestandteil unseres Lebens geworden. Elektronik, Digitaltechnologien, Laser, Mobiltelefon, Satelliten, Fernseher, Radio, Nukleartechnik, die moderne Chemie, medizinische Diagnostik – all diese Technologien beruhen auf den Gesetzen der Quantentheorie. Von moderner Chemie bis zur Festkörperphysik, von der Signalverarbeitung bis zu den modernen bildgebenden Systemen in der Medizin – überall treffen wir heute auf sie. Tagtäglich vertrauen wir ihren Gesetzen, wenn wir in ein Auto steigen (und uns auf die Bordelektronik verlassen), unseren Computer hochfahren (der aus integrierten Schaltkreisen, d.h. einer auf Quantenphänomenen beruhender Elektronik, besteht), Musik hören (CDs werden durch Laser, einem reinen Quantenphänomen, ausgelesen), Röntgen- oder MRT-Aufnahmen unseres Körpers machen, uns von GPS leiten lassen oder mittels unseres Handys kommunizieren. Nach verschiedenen Schätzungen beruht heute zwischen einem Viertel und der Hälfte des Bruttosozialprodukts der Industrienationen direkt oder mittelbar auf Erfindungen mit quantentheoretischer Grundlage. Wir vertrauen uns also vollständig den Quantentechnologien an, auch wenn die dahinter stehende Theorie – unserem alltäglichen Verständnis nach – eine Welt mit sehr unsicheren und unbeständigen Erscheinungsformen und scheinbar paradoxen Eigenschaften beschreibt.
Der Anfang einer weiteren atemberaubenden technologischen Entwicklung
Seit einigen Jahren beginnen die Physiker zu realisieren, dass die Quantenphysik einen bedeutenden Vorrat an noch nicht ausgeschöpften technologischen Möglichkeiten besitzt. Der renommierte Quantenphysiker Rainer Blatt sagt für das 21. Jahrhundert daher ein weiteres „Jahrhundert der Quantentechnologie“ voraus, das sowohl die Wirtschaft als auch die Gesellschaft noch einmal fundamental verändern werde. Wir beginnen gerade erst zu verstehen, was uns durch diese Revolution an Möglichkeiten erwächst, so Blatt. Konkret: Wir stehen am Anfang einer weiteren atemberaubenden technologischen Entwicklung, einer neuen, zweiten Quantenrevolution!
Was macht diese zweite Quantenrevolution aus? Physikalisch gesehen beruht die erste Quantenrevolution des 20 Jahrhunderts auf der Kontrolle des Verhaltens großer Ensembles von Quantenteilchen: der Steuerung des Flusses vieler Elektronen, der gezielten Anregung einer großen Anzahl von Photonen, der Messung des Kernspins massenhafter Atome. Konkrete Beispiele sind der Tunneleffekt in modernen Transistoren, die Kohärenz von Photonen beim Laser, die Spin-Eigenschafen der Atome bei der Magnetresonanztomographie, die Bose-Einstein-Kondensation oder die diskreten Quantensprünge in einer Atomuhr. Bei der zweiten Quantenrevolution geht es um etwas ganz Neues: die gezielte Präparation, Kontrolle, Manipulation und nachfolgende Auslese der Zustände einzelner Quantenteilchen und ihre Wechselwirkungen miteinander. Von entscheidender Bedeutung ist hier eines der ominösesten Phänomene in der Quantenwelt, mit dem sich bereits die Gründungsvätern der Quantentheorie (zuletzt erfolglos) herumschlugen: die Verschränkung. Die wohl aufregendste Technologie der zweiten Quantenrevolution ist der Quantencomputer, der heutige Computer um ein millionenfaches überbieten könnte, was Schnelligkeit und Recheneffizienz angeht.
Die zweite Quantenrevolution
Mein neues Buch „Die zweite Quantenrevolution“, erschienen im August 2018 bei Springer, nimmt den Leser mit in die völlig verrückte, großartige, unglaubliche Welt der Quanten. Auf dieser Reise wird er zunächst die neue Welt der Quantentechnologien betrachten, die unsere Welt bereits heute maßgeblich zu prägen beginnt. Dabei wird er genauer erkennen, weshalb wir am Anfang einer weiteren atemberaubenden technologischen Entwicklung stehen. Im zweiten und im dritten Teil schauen wir uns die bizarre Entdeckungen in der Quantenwelt genauer an, die, wie im vierten Teil des Buches erläutert werden soll, auch das philosophische, spirituelle und religiöse Denken des 20. Jahrhunderts bedeutend prägen sollten. Der fünfte Teil führt uns schließlich zum viel diskutierten Kern der Quantenwelt und zugleich Basis zahlreicher aufregender zukünftiger Quantentechnologien: das Phänomen der Verschränkung, das die Physiker erst in den letzten Jahren so richtig zu erfassen vermochten. Hier lösen sich, wie wir sehen werden, endlich einige der hartnäckigsten Widersprüche der Quantentheorie auf, die Einstein, Bohr und ihren Kollegen noch so schwer im Magen lagen. Im letzten Kapitel soll dann ein konkreter Ausblick gewagt werden, wie neue Quantentechnologien unseren zukünftigen Alltag prägen werden.
Lars Jaeger
Lars Jaeger hat Physik, Mathematik, Philosophie und Geschichte studiert und mehrere Jahre in der Quantenphysik sowie Chaostheorie geforscht. Er lebt in der Nähe von Zürich, wo er – als umtriebiger Querdenker – zwei eigene Unternehmen aufgebaut hat, die institutionelle Finanzanleger beraten, und zugleich regelmäßige Blogs zum Thema Wissenschaft und Zeitgeschehen unterhält. Überdies unterrichtet er unter anderem an der European Business School im Rheingau. Die Begeisterung für die Naturwissenschaften und die Philosophie hat ihn nie losgelassen. Sein Denken und Schreiben kreist immer wieder um die Einflüsse der Naturwissenschaften auf unser Denken und Leben. Im August 2018 erschien sein neuestes Buch „Die zweite Quantenrevolution“ bei Springer.