Videokameras ermitteln bei Verkehrsunternehmen die Auslastung der Busse und Bahnen oder den Wartungszustand der Technik – ohne Verstöße gegen den Datenschutz.
11,4 Milliarden Fahrgäste im Nahverkehr – die Zahl aus dem Vor-Corona-Jahr 2019 markiert den Höchststand der Nutzung von Bussen und Bahnen in Deutschland. Der öffentliche Personennahverkehr ist eine wichtige Säule der zukünftigen Mobilität. Doch der Betrieb ist aufwändig. Ein Kostenfaktor ist die Instandhaltung von Schienen, Fahrzeugen und Haltestellen. Zudem erwarten die Verbraucher:innen einen besseren Service. Sie wollen zum Beispiel frühzeitig wissen, ob die Züge überfüllt oder verspätet sind und ob sie auch ohne Reservierung einen Sitzplatz finden. Sind die Nahverkehrsunternehmen also in der Kostenfalle? Müssen sie sich hoch verschulden, um neue und bessere Services anzubieten?
Mit Videodaten besseren Service erreichen
Ein Ausweg aus dieser Situation ist die Digitalisierung, die Kosten senken kann und effiziente, neuartige Services erlaubt. Ein wichtiger Punkt hierbei ist die Erfassung von wichtigen Kennzahlen mit Kameras. Sie messen beispielsweise die Auslastung von Bussen oder Zügen, um die Anzahl der benötigten Fahrzeuge und die Planung der Routen zu optimieren. Dieses Verfahren ist deutlich zuverlässiger als die Messung in Eingangsbereichen durch eine „Lichtschranke“. Gesichtserkennung erfasst jede Person nur einmal, sodass die tatsächliche Auslastung präzise ermittelt wird.
Durch die Kombination von Videodaten an Bahnhöfen und Haltestellen oder in Zügen sind die Nahverkehrsanbieter in der Lage, mit Analysen des Fahrgastverhaltens Schwachpunkte aufzudecken. So ist es beispielsweise denkbar, verborgene Gründe für Verspätungen zu entdecken. Ein möglicher Auslöser ist das Verhalten der Fahrgäste, das durch Videoanalysen besser eingeschätzt werden kann. Ein Beispiel: Es könnte Engstellen an Haltestellen geben, die besonders zu den Stoßzeiten für verlängerte Aufenthalte der Züge und damit zu Verspätungen führen.
Hilfreich sind Videosysteme im Wageninneren, um die Reinigung flexibler zu machen. Sie analysieren den Verschmutzungsgrad und alarmieren automatisch Reinigungspersonal, wenn einzelne Wagen besonders verschmutzt sind. Im Moment gibt es nur regelmäßige Reinigungen, unabhängig von der tatsächlichen Situation. Das heißt, dass einzelne Wagen unnötigerweise gesäubert werden, während stark verschmutzte Wagen oft zu lange in Betrieb sind – es sei denn, Fahrgäste beschweren sich.
Auch die Händler in Bahnhöfen profitieren von Videoanalysen, die das Verhalten der Passanten analysieren. Die Geschäftsleute können mit den erhaltenen Informationen die Gestaltung der Schaufenster und der Außenwerbung optimieren. Außerdem ist es möglich, anhand von ermittelten sozialen Daten wie Alter oder Geschlecht das Angebot im Laden anzupassen.
Es gibt viele weitere potenzielle Anwendungsfälle: Bildanalyse-KI deckt die Überfüllung oder Verspätung einzelner Züge auf und erkennt damit zu stark ausgelastete Strecken. Kameras identifizieren freie Plätze und eine Mobilapp lenkt die Fahrgäste dorthin. Die KI-Systeme sind ebenfalls in der Lage, Notfälle oder Unfälle zu erkennen, sodass Rettungsdienste automatisch alarmiert werden. Zudem können Kameras genutzt werden, um den Zustand von Gleisen, Haltestellen oder Brücken zu ermitteln und an die Betreiber zu melden.
KI-gestützte Kamerasysteme im Einsatz
Auf diese Weise bringen Videodaten mit und ohne KI-Auswertung den Betreibern im Nahverkehr wertvolle Erkenntnisse für die Weiterentwicklung ihrer Services. Gleichzeitig müssen sie aber die Privatsphäre der aufgenommenen Personen schützen. Denn meist geht es gar nicht darum, irgendeine Person genau zu identifizieren. Es muss beispielsweise bei einer Fahrgastzählung lediglich festgestellt werden, ob es sich um dieselbe Person handelt, auch wenn sie von den Kameras mehrfach erfasst wird.
Diese Verfahren werden bereits bei unterschiedlichen Verkehrsbetrieben angewendet. So überwacht die S-Bahn Stuttgart die Sitzplatzbelegung automatisch mit Kameradaten. Die KI-Systeme identifizieren freie Plätze und leiten Fahrgäste per App oder mithilfe der Anzeigetafel am Bahnsteig dorthin. DB Regio nutzt Videodaten aus dem Inneren der Züge, um die Fahrplan- und Kapazitätsplanung zu verbessern. Die DB Netz AG nutzt Videosysteme im Fernverkehr, um Strecken zu filmen, Veränderungen auf der Schiene zu erfassen und die Auswirkungen auf den Betrieb zu analysieren.
In vielen Fällen enthalten diese Videodaten zufällige Aufnahmen menschlicher Gesichter oder Nummernschilder von Autos. Beides sind personenbezogene Daten, die von der europäischen Datenschutzverordnung DSGVO besonders geschützt sind. Der Grundsatz: Personenbezogene Daten müssen rechtmäßig, transparent und zweckgebunden verarbeitet werden. Dafür ist eine Rechtsgrundlage notwendig, beispielsweise die Einwilligung der betroffenen Personen oder die Erfüllung eines Vertrags – beides ist bei großräumigen Videoaufnahmen nicht zu verwirklichen.
Gesichter zum Schutz der Privatsphäre anonymisieren
Doch die DSGVO räumt Unternehmen das Recht ein, anonymisierte Daten zu speichern und zu nutzen. Dabei muss der Personenbezug vollständig entfernt werden. Das gilt auch für Fotos oder Videos, in denen die Gesichter unkenntlich gemacht werden müssen. Übliche Verfahren für die Anonymisierung von Gesichtern sind Schwärzung, Verpixeln oder Blurring (Verwischen) der Gesichter. Für bestimmte Anwendungsbereiche ist das aber nicht ausreichend. Eine alternative Form der Anonymisierung erhält gleichzeitig die präzise Wiedererkennbarkeit einer bestimmten Person. Sie heißt Deep Natural Anonymization (DNAT) und besitzt eine EuroPriSe-Zertifizierung für datenschutzkonforme IT-Produkte.
Diese Anonymisierungstechnik ersetzt die echten Gesichter durch künstlich erzeugte. Dabei werden alle wichtigen Merkmale des Originalgesichts übernommen: Alter, Geschlecht, die Farbe von Haut, Haaren und Augen sowie Blickrichtung und Gefühlsausdruck. Dadurch ist die jeweilige Person immer noch von anderen Personen unterscheidbar. Eine nachträgliche Identifizierung ist aber nicht möglich und die Anonymisierung ist ebenfalls nicht umkehrbar. Das Verfahren arbeitet analog auch bei Nummernschildern. Sie werden durch Schilder mit ausgedachten Nummern ersetzt, die die Identität des Autobesitzers verbergen.
Dieses Verfahren behebt einige Probleme von Videoaufzeichnungen im öffentlichen Raum. Ziel der Aufzeichnung ist normalerweise nicht, eine einzelne Person genau zu identifizieren. Stattdessen geht es häufig nur um Funktionsfähigkeit und Wartungszustand von technischen Systemen und das Verhalten von Menschengruppen. Normalerweise gibt es keine datenschutzrechtlichen Probleme in einem geschlossenen IT-System, das seine Aufzeichnungen nur intern speichert und eine andere Nutzung ausgeschlossen ist.
Doch solche geschlossenen, internen Systeme besitzen weder die Flexibilität noch die einfachen Analysefähigkeiten der oben geschilderten Anwendungsfälle. Grundsätzlich sind einfache Auswertungen auch vor Ort möglich. Sie erfordern aber leistungsfähige Hardware an Bord der Züge, um die Daten zu speichern und auszuwerten. Dadurch entstehen höhere Kosten und ein großer Aufwand an IT-Personal und -Ressourcen.
Bei begrenzter Hardware sind aufwändige KI-Analysen nur schwer möglich. Der Vorteil einer Speicherung der anonymisierten Videos in der Cloud: Die Daten sind auch für nachträgliche, aufwändige Analysen geeignet. Im Vorfeld des operativen Betriebs müssen für viele KI-Systeme zunächst realistische Trainingsdaten aufgezeichnet werden. Erst dann erkennen sie beispielsweise den Verschmutzungsgrad eines Waggons. Bereits dadurch werden datenschutzrechtlich bedenkliche Daten gewonnen.
Eine Anonymisierung von Videoaufzeichnungen ist in jedem Fall notwendig. Sinnvoll ist es, direkt auf moderne Verfahren wie DNAT zu setzen. Sie erlauben eine datenschutzrechtlich unbedenkliche Nutzung der ohnehin gespeicherten Daten. Der Erkenntnisgewinn durch Videoanalysen ist groß und erleichtert den Verkehrsunternehmen den Aufbau innovativer Services.