Die Industrie befindet sich in einer Transformation: Künstliche Intelligenz wird immer mehr Teil der Automatisierung. Industrielle KI-Anwendungen sind das Top-Thema der kommenden Hannover Messe.
Bei Rittal und Eplan geht es in Hannover nicht nur um die Perspektiven durch Einsatz von KI im Engineering, sondern auch um die Grundlagen der OT in Rechenzentren für KI-Anwendungen. Michael Nicolai, Vertriebsleiter IT Deutschland bei Rittal, erläutert, warum Direct Liquid Cooling als Enabling Technology schnell Einzug in die Datacenter halten muss und wie das funktionieren kann.
Herr Nicolai, was hat Rittal bewogen, ein IT Infrastruktur-Thema zu einem der Ausstellungs-Highlights einer Industriemesse zu machen?
Michael Nicolai: Die Industrie steht bekanntermaßen unter hohem Druck. Die wirtschaftliche Situation und weltpolitische Lage bei anhaltendem Fachkräftemangel hierzulande erschweren das dringend benötigte Wachstum. Deep Tech und die industriespezifische Anwendung von KI in der datengetriebenen ‚Industrial Automation‘ sind wichtige Schlüssel, um in Zukunft mit Know-how ‚Made in Europe‘ noch Wachstum im harten internationalen Wettbewerb zu erzielen. Daher wird eine Vielzahl von KI-Anwendungen die Messe prägen.
Mit Eplan und Partnern geben wir beispielsweise einen Ausblick, was das für den Steuerungs- Schaltanlagen- und Maschinenbau bedeutet – eines unserer Messe-Highlights für die Industrie. Klar ist aber: Je breiter KI zum Einsatz kommen soll, desto schneller müssen wir auch die Rechenzentren ausbauen und ertüchtigen. KI und High Performance Computing heben die Leistungsdichte auf ein Level, das Neuland bei der gesamten Infrastruktur in Rechenzentren erfordert, insbesondere bei der Kühlung. Hier kommt die jahrzehntelange Erfahrung von Rittal im Bereich der IT-Infrastruktur vom Enterprise- und Colocation-Rechenzentrum bis zur Rolle als Single Source Supplier der Hyperscaler zum Tragen.
Worin genau besteht das technologische Neuland beim IT-Cooling?
Michael Nicolai: Bisher wird die Wärme direkt an den Chips vorwiegend mit Luft abgeführt. Direkte Flüssigkühlung war lange eher eine Nischenanwendung, obwohl sie schon lange manche Vorteile bot. Jetzt wird sie fast schlagartig unausweichlich. Denn bei IT-Cooling gelten physikalische Grenzen, die nun überschritten werden. Bis etwa 30 kW Leistung pro Rack kann Luft ausreichend WärWärme abführen. Aber KI-Anwendungen werden schon bald über 150 kW erfordern. Hier hilft nur die direkte Kühlung der GPUs mit Flüssigkeit.
Hersteller wie Nvidia legen ihre neuesten GPUs schon dafür aus. Rittal hat daher in Abstimmung mit Hyperscalern und Server-OEMs eine kompakte, modulare Coolant Distribution Unit (CDU) entwickelt, die den Weg für KI-Anwendungen bereitet. Im kompakten Rack-Format bringt sie auf Basis von Wasser mit Single Phase Direct Liquid Cooling über 1 MW Kühlleistung.
Wenn solche Lösungen in der Praxis Fuß fassen sollen, reicht es aber nicht, nur die Lösung mit der hohen Kühlleistung ins Datacenter zu stellen. Wichtig war uns, schon bei der Entwicklung gleich das Handling im Betrieb mitzudenken. Trotz neuer Technologie sollte sich das System mit möglichst gewohnten Abläufen servicieren lassen. In unsere Entwicklung sind die Impulse unserer globalen Großkunden und die langjährigen Erfahrungen von Rittal in IT und Industrie eingeflossen – 20 Jahre HD-IT-Cooling und über drei Jahrzehnte Klimatisierung von Steuerungen, Schaltungen und Maschinen unter schwierigsten Industrie-Bedingungen.
Die neue Cooling Distribution Unit kühlt über 1 Megawatt. Ihr Rack-Konzept mit Modulen im Server-Format sorgt für einfaches Handling und Service. (Quelle: Rittal GmbH & Co.KG)
Wie wird die neue Technologie für die RZ-Betreiber besser beherrschbar?
Michael Nicolai: Wir setzen auf Modularisierung und das standardisierte Open Rack V3, dessen Entwicklung Rittal im Open Compute Project (OCP) vorangetrieben hat: Die Stromversorgung erfolgt über die standardisierte DC Busbar im Rack. Nach diesem Vorbild wird der Server auch mit Anschlüssen im Rack an den zentralen Wasserkreislauf gekoppelt. Funktionseinheiten der CDU wie die Controller Unit und mehrere Kühlmittel-Fördereinheiten (CCUs) sind vollständig modular. Vorteil beim Service: Die Einschübe können wie Server gezogen werden – und zwar per „Hot Swap“ im laufenden Betrieb.
Außerdem setzen wir auf Vielfalt bei der Einbindung ins Rechenzentrum. Die höchste Leistung erbringen die Liquid-to-Liquid-Versionen, welche die Wärme über einen Wärmetauscher an einen Facility-Wasserkreislauf abgeben. Die Wassertemperaturen bei dieser Lösung eignen sich auch gut für Wärmerückgewinnung – dringend nötig, um den CO2-Footprint zu senken.
Für einen einfacheren Start bietet Rittal auch Liquid-to-Air-Versionen an, die ohne Facility-Wasseranschluss auskommen. Auch beschränken wir uns nicht auf das Open Rack V3 in 21 Zoll der ersten Versionen. Es folgen noch Varianten für unsere VX IT Racks in 19 Zoll. Die volle Integration in die Rittal Systemplattform ist ein relevanter Hebel, um die nötige Infrastruktur für AI-Anwendungen großflächig auszurollen.
Welche Lösungen eignen sich für welche Umgebung?
Michael Nicolai: Die leistungsstarke Liquid-to-Liquid-Lösung mit 1 MW Kühlleistung war schon bei der ersten Preview ein Publikumsmagnet. Solche Installationen werden vor allem Hyperscaler und große Colocator als Technologietreiber in hoher Stückzahl einsetzen. Vorher werden sie aber ausgiebig testen. Es sind noch viele weitere Fragen zu klären. Worauf kommt es bei der Verrohrung für den gebäudeseitigen Primärkreislauf an? Was ändert sich durch die hohe Leistungsdichte bei der Stromverteilung? Wie wirkt sich Direct Liquid Cooling auf den Service im Betrieb und letztlich das gesamte Rechenzentrum aus? Auch dafür bringen wir unsere Erfahrungen ein und kennen die passenden Anbieter.
Wenn Direct Liquid Cooling in der Praxis Fuß fassen soll, reicht es nicht, nur die Lösung mit der hohen Kühlleistung ins Datacenter zu stellen.
Michael Nicolai, Rittal GmbH & Co.KG
Die Ansätze der internationalen Hyperscaler werden mittelfristig wohl die Standards setzen. Darauf kann die agile Colocation-Branche aber nicht warten. Die meisten Colocator sind hochgradig kundenorientiert und wollen schon jetzt ihren Kunden schnellstmöglich gute Voraussetzungen für KI und HPC bieten. Hier kommen die Liquid-to-Air-Versionen ins Spiel, welche die Prozessoren direkt mit einem geschlossenen Wasserkreislauf im Rack und CDU kühlen, aber die Wärme dann über die Rücktür oder Seitenkühler an die Luft im Rechenzentrum abgeben.
Sie erreichen zwar nicht die Kühlleistung und Effizienz der Liquid-to-Liquid-Lösungen, aber können schneller in RZ ohne externen Anschluss an den Facility-Wasserkreislauf eingesetzt werden. Mit Ihnen können Colocator eigene Tests mit weniger Aufwand und Investition bewerkstelligen oder für ihre Kunden einzelne „HPC-Inseln“ in luftgekühlten RZ schaffen.
Damit haben die Liquid-to-Air-Versionen eine Hebel-Funktion, um Direct Liquid Cooling als Enabling Technology für KI überhaupt in die Rechenzentren zu bringen. Anbieter wie Rittal sowie Planer, Projektentwickler und die Anwender müssen jetzt schnell ihr Know-how zusammenbringen, um die Umbrüche im Gesamtsystem der Rechenzentren mit ‚Best Practices‘ zu vereinfachen. Dazu arbeiten wir eng mit großen Rechenzentrums-Entwicklern zusammen und installieren kurzfristig eine Teststellung unter realen Bedingungen im Einsatz für ein physikalisches Forschungsinstitut.
Herr Nicolai, wir danken für das Gespräch.