Service-orientiertes Business: Change von Business/IT-Alignment

Prozess- und Service-Orientierung stehen heute im Fokus des Managements. Die Gründe und Treiber sind eine ständig steigende Produktvielfalt, immer kürzere Produktentwicklungszyklen, immer mehr Vertriebskanäle, die Verlagerung einzelner Geschäftsprozesse an Standorte mit besseren Kostenstrukturen sowie die zügige Abwicklung von Mergern und Carve-Outs.

Um im globalen Wettbewerb erfolgreich zu bestehen, ist Industrialisierung und Agilität des Unternehmens das absolute Muss. Genau das erreicht man am besten mit Prozess- und Service-Orientierung. Nur so werden Unternehmensziele wie kontinuierliche Innovation, Optimierung und Profitsteigerung, aber auch Compliance und Kollaboration erreichbar. Industrialisierung bedeutet Standardisierung, Automatisierung und kontinuierliche Verbesserung, im angelsächsischen „operational excellence“ genannt. Agilität bedeutet die Flexibilität, Strategieänderungen unverzüglich umzusetzen, damit man jederzeit Marktänderungen folgen und sich ändernde Kundenanforderungen stets und jederzeit erfüllen kann. Ein kritischer Erfolgsfaktor von Prozess- und Service-Orientierung im Unternehmen ist neben einer funktionierenden Technologie vor allem ein funktionierendes Business/IT-Alignment. Es kommt darauf an, die immer wieder beklagte Verständnislücke zwischen Fachabteilungen und IT zu schließen und neue Wege in der Organisation und Kommunikation von und zwischen Business und IT zu finden. Ein Ansatz hierzu kann direkt aus den Konzepten von Prozess- und Serviceorientierung abgeleitet werden: das service-orientierte Business (SOB). Das bedeutet, dass die Grundprinzipien einer SOA (serviceorientierte Architektur) nicht nur IT-technisch umgesetzt werden, sondern auch in der Organisation.

Anzeige

Das service-orientierte Business

Um das Funktionieren eines serviceorientierten Unternehmens besser verstehen zu können, machen wir uns die Prinzipien von Serviceorientierung noch einmal klar. Diese Prinzipien sind recht einsichtig und vor allem nicht technisch oder technologisch. Sie beschreiben einen Typ von Kollaboration zwischen Verbrauchern (Konsumenten, Service-Nehmern) und Anbietern (Produzenten, Service-Gebern). Ein Verbraucher will eine bestimmte Leistung (ein „Produkt“ oder eine „Dienstleistung = Service“), die ein Anbieter anbietet und durchführt. Eine solche Kollaboration arbeitet nach den folgenden Prinzipien:

Serviceorientierung (SO)

Prinzip 1 – Konsequente Ergebnisverantwortung.

Der Service-Geber übernimmt die Verantwortung für die Ausführung und das Ergebnis des Services. Der Service-Nehmer übernimmt die Verantwortung für die Kontrolle der Service-Ausführung.

Prinzip 2 – Eindeutige Service Level.

Jede Serviceausführung ist eindeutig vereinbart hinsichtlich Zeit, Kosten, Qualität. Input und Output der Services sind klar definiert und beiden Parteien bekannt per Service Level Agreement (SLA).

Prinzip 3 – Pro-aktives Event Sharing.

Der Service-Nehmer ist über jede vereinbarte Statusänderung seines Auftrages informiert. Der Service-Geber ist verpflichtet den Service-Nehmer unmittelbar über unvorhergesehene Ereignisse zu informieren.

Prinzip 4 – Service-Verknüpfung.

Ein Service kann zur Leistungserbringung einen oder mehrere andere Services nutzen. Umgekehrt kann jeder Service von anderen Services zur Leistungserbringung genutzt werden.

Eine solche Service-Orientierung ergibt ein flexibles Instrumentarium, denn ein Service kann so als eine Lieferung entsprechend einer Bestellung gemäß den Bedingungen eines SLAs verstanden werden. Im SLA wird festgelegt, in welcher Zeit, zu welchen Kosten und mit welchen Ressourcen ein Service geliefert wird. Es wird auch festgelegt, was der Eingang (Input) in den Service ist und wie der Ausgang (Output) aussieht. Das Service-Verknüpfung-Prinzip hat eine interessante Konsequenz, wenn man es mit dem Unterprozess-Prinzip vergleicht: Ein Service verhält sich wie ein Prozess. Die Folge ist, ein Prozess kann ein Service sein und ein Service ein Prozess. Dieses Modell lässt sich auf jede Art von Zusammenarbeit anwenden. Damit wird Serviceorientierung auch zu einem Organisationsprinzip, das die Zusammenarbeit zwischen Geschäftsparteien wie Unternehmen/Lieferanten, Unternehmen/Händler, Unternehmen/Kunden etc. beschreibt. Ein SLA regelt so auch auf fachlicher Ebene eine solche Zusammenarbeit. Mit anderen Worten, da ja ein Prozess in unserem Modell auch als Service verstanden werden kann, gilt: Kein Geschäftsprozess ohne fachlich orientiertes SLA. Die gleichen Prinzipien gelten genauso für die Zusammenarbeit innerhalb eines Unternehmens zwischen unterschiedlichen Bereichen inklusive der Zusammenarbeit zwischen Business und IT. Auf Seiten der IT hat man mit Initiativen wie „service-orientierte Organisation“ (1) und „IT Service Management“ – hier besonders im Kontext von ITIL V3 – bereits mit einemsolchen Denken begonnen. Auf der Businessseite ist man noch etwas zögerlich mit der Anwendung dieser Prinzipien, aber eine Alternative sehen wir nicht. Eine gewisse Vorreiterrolle spielt die Telekommunikationsindustrie, die mit dem eTOM-Geschäftsmodelln (2) bereits versucht, eine serviceorientierte Kollaboration zwischen Telekom-Unternehmen intern und extern zu standardisieren. Das lehnt sich an die Prinzipien des ITIL V3 Modells an (3). Ein weiterer Vorteil der Service-Orientierung besteht auch darin, dass Services intern oder extern bereitgestellt werden können. Das ist im Endeffekt das Grundprinzip einer Virtualisierung und damit auch die Grundlage für ein neues Modell des Outsourcings. Man verlagert nicht mehr Funktionen nach draußen, sondern bezieht externe Services, die sich nahtlos in die Geschäftsprozesse einbetten lassen (vgl. Bild 1). In der IT entspricht das der Virtualisierung von Hardware und Software und ist die Grundlage des Cloud Computing (SaaS – software as a service / PaaS – platform as a service). Insofern kann man ein service-orientiertes Unternehmen auch als „virtuelles Unternehmen“ verstehen.

Image

Change von Business/IT-Alignment

In einem SOB kommt es also auf Agilität an, das heisst auf das schnelle Entwickeln und Nutzen von innovativen Prozessen und Business-Services, und auf Industrialisierung. Dies bedeutet, es besteht die Zielsetzung, kosteneffizient und ressourcensparend zu handeln. Dabei versteht man unter einem Business-Service die individuelle Implementierung eines (Mini-)Prozesses: Er wird aus vorgefertigten Komponenten und vorgegebenen Kompositionsregeln („Bauplan“) von (geeigneten)Mitarbeitern der Fachabteilung komponiert. Änderungen sind auch im laufenden Betrieb möglich. Die Methoden der Komposition schaffen Revisions- und Betriebssicherheit. Das wollte man auf Seiten der IT durch den Einsatz von BPM und SOA erreichen, aber wenn bereits die Modellierung von Prozessen in traditioneller Art und Weise eine Bruchstelle zwischen fachlichem und technischem Design hat, dann bleiben die Mitarbeiter in den Fachabteilungen weiterhin von der IT abhängig, die zähen Abstimmungen zwischen Business und IT verbessern sich nur marginal und der Gewinn an Flexibilität durch eine SOA kann so zunichte gemacht werden. Der eigentlichen Herausforderung, die Steigerung der Produktivität und Qualität im Business durch IT zu unterstützen, kommt man so kaum näher (Bild 2). Dazu kommt der chronische Ressourcenmangel in der IT: Die IT ist in der Regel zu 80% in Wartung und Betrieb gebunden. Da bleibt für Innovation und Steigerung der Wettbewerbskraft einfach zu wenig über. Und schließlich ist, wenn denn mal Ressourcen frei und verfügbar sind, das Entwickeln von Individualsoftware selbst mittels Ansätzen wie Model Driven Architecture (MDA) zu langsam und zu unflexibel, da – siehe oben – MDA ein reiner IT-Ansatz ist, bei dem die Fachabteilung schnell abgehängt ist. In dieser Situation sind viele Unternehmen in eine Sackgasse gelaufen: Anwendungsentwicklung mit Access, Excel und XChange in der Fachabteilung löste fachliche Aufgaben relativ schnell, aber nur sehr kurzfristig, (Achtung: nicht die Werkzeuge werden hier kritisiert, sondern dieser Nutzen und Einsatz der Werkzeuge). Die so entstandene Software ist nicht revisions- und betriebssicher, und die Wartung ist meist von ganz bestimmten Personen abhängig. So ist eine Schatten-IT entstanden, heute im Zeitalter von Compliance ein Riesenproblem.

Image

Die Servicefabrik

Einen innovativen Ansatz, um diese Herausforderungen zu meistern, findet man in der industrialisierten Softwareentwicklung, die den Konzepten einer „industrialisierten Produktion“ entsprechend dem „Engineer-to-order“- Modell folgt. Das bedeutet eine neue Arbeitsteilung und Organisation zwischen Business und IT (Bild 3). Die IT schafft eine Plattform, auf der das Business selbständig und autonom Prozesse und Business-Services komponieren und managen kann. Komponieren bedeutet hier ganz allgemein das Aggregieren und Konfigurieren von vorfabrizierten Komponenten entsprechend vorgegebener Konstruktionspläne. So entsteht eine Servicefabrik, die die Rollen von Business und IT im Unternehmen neu definiert.

Unterschiedliche Ansätze

Es gibt unterschiedliche technologische Ansätze zum Bau einer Servicefabrik. Ein Weg sind Business Mashups. Dieser Weg wird beispielsweise von der IBM gegangen. Er lehnt sich an die Web 2.0-Konzepte an: Der Konsument wird zum Verbraucher. So können beispielsweise individuelle Ergänzungen und auch Neuentwicklung von Mini-Business-Services jetzt unabhängig von der IT in den Fachabteilungen vollzogen werden. Ein anderer Weg geht über dynamische Applikationen. Die basieren auf Business Rule Management-Systemen. Die Nutzer in den Fachabteilungen können so unabhängig von der IT das Entwickeln und Ändern von Geschäftslogik in Business Services vornehmen. Die dynamische Applikation agiert dabei wie eine Servicefabrik, die die Regel-Services verwaltet und erforderliche Änderungen am GUI des Business-Service automatisch aus der Geschäftslogik generieren. Diesen Weg gehen beispielsweise Innovations und Pega Systems. Die ICS wiederum hat einen Weg über das Modellieren einer Enterprise-Ontologie eingeschlagen. Damit wird das fachliche Design im Rahmen der Ontologie direkt ausführbar. Die Fachabteilung bekommt so die Kontrolle über den Software-Entwicklungsprozess. Einen wiederum anderen Weg verfolgt die jCOM1, die einen innovativen, governance-orientierten Ansatz mittels dem sogenannten „subjektorientierten BPM (S-BPM)“ eingeschlagen hat. Auch hier wird durch diesen methodischen Ansatz die fachliche Semantik vollständig erfasst, so dass die fachlichen Modelle auch hier sofort ohne weitere Programmierung und Codierung sofort ausführbar sind. Das macht die Fachabteilung dann in der Tat zur verlängerten Werkbank der IT. Schließlich bietet Novabit eine Servicefabrik auch als OpenSource.

Image

Fazit

In einem SOB vollzieht sich also ein tiefgehender Wandel der Organisation und der Kultur bei der Zusammenarbeit von Business und IT. Insbesondere geht es dabei um

  • den Abbau von Silodenken,
  • die Fokussierung auf Unterstützung der Geschäftsprozesse und Business-Services,
  • Industrialisierung, Time-to-Market und Qualität der Geschäftsprozesse
  • die organisatorische Annäherung der IT an die Fachbereiche,
  • den Abbau von Kommunikationsbarrieren,
  • mehr Autonomie in den Fachbereichen beim Erstellen von IT-Lösungen
  • den Wandel von Projekt- zu Produktorientierung,
  • die Service-Orientierung mittels flexible Komposition von Services und Servicekomponenten (Mashups, dynamische Business-Services, Ontologie, Governance-Orientierung etc.),
  • um den Wandel von Technikfokussierung zu Kundenorientierung im Verhältnis Business/IT.

DR. WOLFGANG MARTIN

Diesen Artikel finden Sie auch in der Ausgabe Januar-Februar 2010 des it management.

(1) Siehe Prof. Dr. E. Schott, FH Aschaffenburg, http://www.fh-aschaffenburg.de/index.php?id=2858
(2) http://www.tmforum.org/BusinessProcessFramework/1647/home.html
(3) http://www.tmforum.org/ThelinkwithITIL/3100/home.html

Anzeige

Weitere Artikel

Newsletter
Newsletter Box

Mit Klick auf den Button "Jetzt Anmelden" stimme ich der Datenschutzerklärung zu.