Green Coding als Beitrag zu nachhaltiger Informationstechnik

Eines ist inzwischen klar: Das Internet und Informationstechnik generell benรถtigen Energie und verursachen damit eine nicht unerhebliche Menge an CO2-Emissionen, mehr als der internationale Luftverkehr. Dabei ist zunรคchst die Hardware der unmittelbare Verursacher. Zunehmend setzt sich jedoch die Erkenntnis durch, dass auch Software einen erheblichen Einfluss hat, da sie letztlich diesen Ressourcenverbrauch auslรถst und steuert.

Software hat einen erheblichen Einfluss auf den Energieverbrauch, die Energieeffizienz und die Nutzungsdauer von Hardware und damit auf den Energie- und Ressourcenverbrauch des Internets. Sie aktiviert Energiesparmodi, รผbertrรคgt und speichert groรŸe Datenmengen und stรถรŸt Rechenoperationen an. Trotz ihrer groรŸen Bedeutung stecken Empfehlungen fรผr nachhaltige Software noch in den Kinderschuhen. Gesetzliche Vorgaben zur Energieeffizienz gibt es bisher weder in Deutschland noch in Europa. Nur in wenigen IT-Projekten werden Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung berรผcksichtigt. Eine Kurzumfrage unter den Bitkom-Mitgliedern ergab, dass bei 23 Prozent der befragten Unternehmen das Thema Nachhaltigkeit in Softwareentwicklungsprojekten รผberhaupt keine Rolle spielt. Bei 70 Prozent der Unternehmen spielt das Thema Nachhaltigkeit nur in bis zu einem Viertel der Softwareentwicklungsprojekte eine Rolle1.

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Beispiel aus dem Alltag โ€“ Suchanfragen im Web belasten das Klima stark

Der Experte Tim Schade schรคtzt, dass eine Google-Suche circa 0,2ย Gramm CO2 freisetzt. Auf alle Suchanfragen eines Jahres geschรคtzt mรผssten, um diese Menge an Kohlenstoffdioxid kompensieren zu kรถnnen, etwa 41 Millionen Bรคume gepflanzt werden – unter der Annahme von 5,6ย Milliarden tรคglichen Suchanfragen und der Fรคhigkeit eines Baums im Jahr etwa 10ย Kilogramm Kohlenstoffdioxid zu Biomasse verarbeitet zu kรถnnen2. Um die Relationen einzuordnen: Der Schwarzwald hat etwa vier Millionen Bรคume รผber 15 Meter Hรถhe3.

Das Projekt โ€žGreen Codingโ€œ

Im Rahmen des Forschungsprojekts โ€žPotentials of Green Codingโ€œ, gefรถrdert von der Internet Society Foundation und mit den Partnern Gesellschaft fรผr Informatik e. V., Hochschule fรผr Technik und Wirtschaft Berlin und dem Umwelt-Campus Birkenfeld der Hochschule Trier wird nun der Frage nachgegangen, welche Mรถglichkeiten nachhaltige Software-Entwicklung bietet und wie diese an Hochschulen und in der Unternehmenspraxis etabliert werden kรถnnen. Ziel ist es, den aktuellen Stand nachhaltiger und ressourcenschonender Softwareentwicklung im nationalen und internationalen Bereich zu erheben und Empfehlungen zu entwickeln, wie die nรคchste Generation an Entwicklerinnen und Entwicklern bereits frรผh in ihrer Ausbildung darin geschult werden kann. Hierzu werden im Projekt folgende Fragestellungen bearbeitet:

  • Welche Konzepte zur umweltfreundlichen Programmierung von Software („Green Coding“) gibt es fรผr die Softwareentwicklung im Allgemeinen?
  • Welche Konzepte umweltfreundlicher Softwareentwicklungsprozesse gibt es bereits in der Internetbranche? 
  • Wie kรถnnen „Green Coding“-Konzepte in die aktuellen Softwareentwicklungsprozesse und in die Curricula von Informatik-Studiengรคngen implementiert werden?

Entsprechend werden unterschiedliche Stakeholder-Gruppen einbezogen, die fรผr die โ€žร–kologisierung des Internetโ€œ relevant sind: Softwareentwickler*innen, Unternehmen der Internetwirtschaft sowie Informatik-Studiengรคnge und deren Student*innen an Universitรคten. 

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Ein Blick in die Forschung

Generell leitet sich Green Coding aus typischen Phasen des Wassermodells fรผr die Softwareentwicklung ab und hat dabei immer die Prinzipien der Ressourcen- und Energieeinsparung bei Entwicklung, Betrieb und im End of Life im Blick. 

Aufgebaut wird bei diesem Vorhaben unter anderem auf verschiedene Referenzmodellen wie dem GREENSOFT-Modell. Hier werden die Bereiche Lebenszyklus von Software, (Aus)wirkungen von Softwareprodukten sowie Vorgehensmodelle und Handlungsempfehlungen adressiert. Mit diesem Forschungsrahmen kรถnnen Beobachtungen, MaรŸnahmen und auch der weitere Transfer in Praxis und Wissenschaft kategorisiert und verknรผpft werden4.

https://www.umwelt-campus.de/fileadmin/Umwelt-Campus/Greensoft/csm_greensoft_modell_96_dpi_25f468de44.png


Weitere Grundlage des Projekts ist der jรผngst freigegebene โ€žBlaue Engel fรผr Softwareprodukteโ€œ. Der Blaue Engel stellt Nachhaltigkeits- und Effizienz-Kriterien fรผr Softwareprodukte bereit. Diese sind unterteilt in den engeren Bereich Energie-Effizienz (โ€žWie viel benรถtigt die Software im Betriebโ€œ), Fragen der Nutzung von Hardware (โ€žLรคuft die Software auch auf รคlterer Hardwareโ€œ) und Nutzungsautonomie (Verfรผgbarkeit von Schnittstellen, Energiemanagement, Datenformate etc.)5. Wir haben hier die Erfahrung gemacht, dass das Interesse an den Kriterien sehr hoch ist, auch in der Industrie, aber die Umsetzung zur eigentlichen Zertifizierung eines konkreten Softwareprodukts etwas Zeit braucht. Das Projekt โ€žPotentials of Green Codingโ€œ wird diese und weitere Kriterien und Ansรคtze bรผndeln und im kommenden Jahr Empfehlungen fรผr alle relevanten Stakeholder-Gruppen verรถffentlichen.

Auch in der Wissenschafts-Community wird das Thema zunehmend diskutiert: Im Rahmen der Environmental Informatics 20226, die dieses Jahr im Rahmen der Informatik 2022 in Hamburg stattfand, gab es erstmals auch einen Workshop zum Thema โ€žGreen Codingโ€œ7. Im Rahmen der Konferenz wurden unter anderem Beitrรคge zur Ressourceneffizienz von Apps sowie von KI-Lรถsungen diskutiert. Deutlich wird, dass es hier keine allumfassenden Lรถsungen gibt, sondern abhรคngig von Systemarchitektur, Programmiersprache, Anwendungsszenarien unterschiedliche Vorgehensweisen notwendig sind. รœber alle MaรŸnahmen hinweg ist aber auch deutlich geworden, dass das Thema Datensparsamkeit rasant an Fahrt gewinnt, da letztlich jedes Bit รผbertragen, verarbeitet und dargestellt wird. Und รผber allem steht die Maxime: โ€žWhat you canโ€™t measure you canโ€™t manageโ€.

Praktische Ziele und erhoffte Ergebnisse

Zu der im Projekt bearbeiteten Frage โ€žWie kรถnnen „Green Coding“-Konzepte in die aktuellen Softwareentwicklungsprozesse und in die Curricula bestehender Studiengรคnge implementiert werden?โ€œ besteht die Notwendigkeit sich รผber den strukturellen Aufbau von Softwareentwicklungsprozessen im Klaren zu werden um geeignete Punkte und Stellschrauben zu identifizieren und aufzuzeigen. Hierbei muss herausgefunden werden, wie auch in unterschiedlichen Phasen der Softwareentwicklung (Anbahnung, vertragliche Fixierung, Durchfรผhrung, Qualitรคtssicherung und Abnahme) sowie den angewandten Organisationsformen der Entwicklung-Phase (z.B. Wasserfall-Modell, V-Modell, Agile Methoden) eine sinnvolle Implementierung stattfinden kann. 

Optimalerweise wird Green Coding und dessen Konzepte nicht nur in der Softwareindustrie, sondern auch fรผr die nachfolgenden Generationen an Softwareentwickler*innen in den Curricula bestehender Studiengรคnge integriert. Hierzu werden nรถtige Studiengรคnge und Unterrichtsformen identifiziert und ein Toolset wichtiger Grundlagen und Praktiken fรผr das Erfassen, Analysieren, Verstehen und Optimieren der Umwelt Ein- und Auswirkungen von Software zusammengetragen.

Pilotprojekte und Green Coding in der Lehre

An beiden an dem Projekt โ€žGreen Codingโ€œ beteiligten Hochschulen werden seit vielen Jahren Themen aus dem Bereich der Umweltinformatik gelehrt. So gibt es am Umwelt-Campus Birkenfeld bereits Lehrveranstaltungen zur Nachhaltigen Softwaretechnik, und an der HTW Berlin wird im Rahmen des Studiengangs โ€žBetriebliche Umweltinformatikโ€œ ein Pilotprojekt gestartet, das theoretische Grundlagen und praktische Umsetzung des โ€žGreen Codingโ€œ im Rahmen von Workshops adressiert.


1 Bitkom (2021): Ressourceneffiziente Programmierung
2 https://www.produktion.de/technik/co2-neutrale-industrie/green-coding-so-funktioniert-co2-reduktion-
durch-ki-87-646.html
3 https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/alle-meldungen/meldung/pid/ein-baum-zum-tag-der-
deutschen-einheit
4 Stefan Naumann, Markus Dick, Eva Kern, Timo Johann (2011): The GREENSOFT Model: A reference model for
green and sustainable software and its engineering. In: Sustainable Computing: Informatics and Systems,
Volume 1, Issue 4, Pages 294-304, https://doi.org/10.1016/j.suscom.2011.06.004.
5 https://www.blauer-engel.de/de/produktwelt/ressourcen-und-energieeffiziente-softwareprodukte
6 https://informatik2021.gi.de/enviroinfo-2021
7 https://informatik2022.gi.de/enviroinfo-2022/special-tracks/green-coding

Stefan

Naumann

Professor FB Umweltplanung/Umwelttechnik - FR Informatik

Umwelt-Campus Birkenfeld der Hochschule Trier

Prof. Dr. Stefan Naumann vertritt seit 2008 an der Hochschule Trier die Lehrgebiete Informatik/Mathematik/Umwelt- und Nachhaltigkeitsinformatik und forscht in den Bereichen Green IT, Green by IT und Green Software mit einem Schwerpunkt in Kรผnstlicher Intelligenz.

Volker

Wohlgemuth

Lehrstuhl Betriebliche Umweltinformatik

HTW-Berlin

Prof. Dr. Volker Wohlgemuth ist seit dem Wintersemester 2005/2006 Hochschullehrer an der HTW Berlin fรผr die Gebiete Stoffstrommanagement, Modellbildung und Simulation sowie Anwendung und Entwicklung betrieblicher Umweltinformationssysteme (BUIS).

Dennis

M. Junger

Wissenschaftlicher Mitarbeiter

HTW-Berlin

Dennis M. Junger ist Teil des innovativen Kooperationsprojekts โ€žPotentials of Green Codingโ€œ und arbeitet mit dem Team an Mรถglichkeiten der Verankerung von aktueller Green Coding Konzepten in Softwareentwicklungspraxis und Ausbildung.

Carolin

Henze

Referentin im Bereich Gesellschaft und Internationales

Gesellschaft fรผr Informatik e. V.

Carolin Henze ist aktuell als Referentin im Bereich Gesellschaft und Internationales bei der Gesellschaft fรผr Informatik e. V. tรคtig. Dort ist sie unter anderem an den Projekten Potentials of Green Coding und KI-Camp 2023 beteiligt.
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