SaaS-Firmen prägen die deutsche Digitalisierung. Kostendruck und Kapitalengpässe fordern sie heraus, es gibt mittelfristig aber Grund für Optimismus. 2024 wird ein Jahr der Grundlagenarbeit, der Kundenorientierung und der Künstlichen Intelligenz.
Die deutsche Software-as-a-Service-Branche (SaaS) zählt einige der prominentesten deutschen Digital-Unternehmen zu ihren Vertretern: SAP, Teamviewer, Personio, Celonis oder Staffbase sind nur einige davon. Insgesamt ist die Branche geprägt von einer dynamischen Start-up-Kultur, die sich zunehmend emanzipiert und unaufhörlich wächst, sich aber auch den Herausforderungen der Zeit stellen muss. Als Dienstleister durch und durch sind SaaS-Unternehmen immer abhängig von der Konjunktur – müssen die Kunden sparen, wird schnell bei den Dienstleister-Ausgaben angefangen. Wie kommen deutsche SaaS-Unternehmen damit zurecht? Wie bewältigen sie Inflation, Kostendruck und die Krisen der vergangenen Jahre?
Wir haben dazu mit dem Branchenexperten Julius Göllner gesprochen. Er ist Mitgründer und Managing Partner des B2B-SaaS-Netzwerks ARRtist.
it-daily: Herr Göllner, wie sieht die deutsche SaaS-Branche aktuell aus?
Die meisten deutschen B2B-SaaS-Unternehmen sind auch heute noch kleine und mittlere Unternehmen. Laut unserem “State of German SaaS Pricing”-Report, den wir zusammen mit den Technologie-Unternehmen Valueships und Hyrise herausgegeben haben, hat fast jede zweite Firma (43,3 Prozent) zwischen 11 und 50 Mitarbeitenden, ungefähr ein Viertel aller Unternehmen (26,3 Prozent) hat zwischen 50 und 200 Mitarbeitenden. Mehr als die Hälfte aller aktiven deutschen SaaS-Unternehmen wurde zwischen 2015 und 2020 gegründet und ist demnach zwischen drei und acht Jahren alt.
it-daily: Inwiefern hat sich die deutsche SaaS-Branche in den letzten fünf Jahren verändert?
Seit 2019 hat vor allem die Corona-Pandemie die deutsche SaaS-Branche geprägt. Die Digitalisierungsbeschleunigung durch Lockdowns und die damit einhergehenden neuen Use Cases für Software haben zunächst den seit der frühen 2000er Jahre anhaltenden Positiv-Trend der Branche verstärkt und auf einen Höhepunkt geführt. Mit dem Ende der Pandemie-Beschränkungen und dem zunehmenden Kostendruck der nachfolgenden Krisen hat allerdings eine Korrektur stattgefunden. Die Bewertungsmultiples US-amerikanischer Firmen – die erfahrungsgemäß auch eine Indikation für deutsche SaaS-Firmen sind – spiegeln das gut wider. Der SaaS Capital Index zeigt, dass die Bewertungen börsennotierter Firmen in 2020 und 2021 ihren Höchststand erreichten: SaaS-Unternehmen wurden mit dem 16-Fachen ihres Annual Recurring Revenues (ARR), also ihres regelmäßigen jährlichen Umsatzes, bewertet. Nach Angaben der Technologie-Investmentfirma GP Bullhound war es im Dezember 2023 weniger als das 7-Fache. Dieser Wert liegt unter dem Vor-Corona-Niveau und entspricht ungefähr dem Stand von 2016.
Der auf den Höhepunkt folgende Abwärtstrend seit 2021 prägt, wie deutsche SaaS-Unternehmen aktuell an den Markt herantreten. Einerseits herrscht ein viel stärkerer Druck, absehbar profitabel zu sein. Andererseits haben die meisten deutschen SaaS-Unternehmen aber auch den Aufwärtstrend erlebt und ihn nicht vergessen: Sie haben viele externe Erklärungen dafür, warum er unterbrochen wurde und sehen gleichzeitig kaum Gründe, warum er sich nicht wieder einstellen sollte. Die Kombination aus uneingeschränktem Optimismus und Wachstumsstrategien, die deutsche SaaS-Unternehmen vor fünf Jahren auszeichnete, hat sich also zu einer Kombination aus vorsichtigem Optimismus und Profit-Strategien gewandelt.
it-daily: Vor welchen Herausforderungen standen deutsche SaaS-Unternehmen 2023?
Der Einbruch der Bewertungen kam zeitgleich mit der ohnehin starken Zurückhaltung von Kapitalgebern. Für die oft noch jungen, wachsenden deutschen SaaS-Unternehmen hat das 2023 den Zugang zu Finanzierungen erschwert. Sowohl für SaaS-Entscheider:innen als auch für Investor:innen wurde Effizienz so – wie in so vielen Branchen – zum Wort des Jahres. Dazu kam, dass dieser Effizienzdruck auch bei den SaaS-Kund:innen Einzug gehalten hat. Software-Investitionen wurden genau geprüft, Neuanschaffungen wurden angesichts knapper Budgets seltener. Die Kundenakquise erschwerte sich im letzten Jahr merklich. Laut einer Analyse des SaaS-Investmentunternehmen Capchase haben sich die Sales-Zyklen, also die Zeit von der ersten Kontaktaufnahme bis zum Kaufabschluss, von US-SaaS-Unternehmen 2023 um fast vier Wochen verlängert. Das war hierzulande nicht anders.
it-daily: Welche Themen treiben SaaS-Unternehmen Anfang 2024 um, die Unternehmen mit anderen Geschäftsmodellen weniger betreffen?
Software-as-a-Service ist per Definition für sich genommen kein Produkt, sondern ein Vertriebsmodell – Software, oft aus der Cloud, in einem Abo-Modell, in der Regel für B2B-Kunden. SaaS-Produkte sind oft erklärungsbedürftig, bringen nicht selten erst dann Gewinn ein, wenn sie längere Zeit im Einsatz sind und ihre Effektivität bei den Kund:innen ist immer von deren Umgang mit der Software abhängig. Das macht den Vertrieb von SaaS-Produkten herausfordernd und einzigartig. Vor dem Hintergrund des Kostendrucks und den längeren Sales-Zyklen, sind SaaS-Unternehmen gerade dabei, ihre Vertriebsmethoden zu modernisieren. Es gilt, die Anwendungsfälle der Produkte voll auf das Kerngeschäft und signifikante Mehrwerte für den Käufer auszurichten sowie die eigene Lösung unverzichtbar zu machen. Dafür muss der Vertrieb noch viel näher an die (potenziellen) Kund:innen heranrücken, so viele Informationen bekommen wie möglich und aufzeigen, inwiefern das SaaS-Produkt die Probleme des Unternehmens effizient löst.
Der “State of German SaaS Pricing”-Report hat gezeigt, dass es hinsichtlich der Kundenorientierung allerdings auch ganz konkrete Baustellen für deutsche SaaS-Unternehmen gibt. So hat mehr als die Hälfte von ihnen (56,7 Prozent) keine Webseite, über die Preise eingeholt werden können und noch 61 Prozent bieten keinen wählbaren Abo-Zeitraum an, also beispielsweise nur eine jährliche Option, anstelle von mehreren unterschiedlich bepreisten Paketen.
Als Branche, die voll und ganz auf Software setzt, treibt außerdem Künstliche Intelligenz (KI) die deutsche SaaS-Landschaft um. Laut unserem Report gab es im Bereich AI & Analytics zwischen September 2022 und August 2023 im Vergleich zu anderen typischen Unternehmensbereichen den größten Personalzuwachs (rund 35 Prozent). KI-gestützte Technologien beschleunigen nicht nur die Produktentwicklung, sondern ermöglichen neben neue Geschäftsmodellen insbesondere die Erweiterung und Optimierung bestehender Serviceangebote. Generative KI hat das Potenzial, die Art und Weise, wie SaaS-Unternehmen Produkte gestalten und anbieten, grundlegend zu verändern, indem sie personalisierte und hochgradig angepasste Lösungen ermöglicht. 2024 muss und wird für SaaS-Unternehmen daher ganz im Zeichen der KI-Vorbereitung und der KI-Implementierung in bestehende Lösungen stehen.
it-daily: Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die Aussichten für deutsche SaaS-Unternehmen im kommenden Jahr und darüber hinaus?
Ich glaube an den Aufwärtstrend und bin auch schon für das kommende Jahr optimistisch. In den USA hat Klaviyo, ein SaaS-Unternehmen zur Automatisierung von Marketingprozessen, im Herbst letzten Jahres gezeigt, dass auch in diesen Zeiten ein Börsengang wieder möglich ist. In naher Zukunft wird unter anderem mit IPOs von Rubrik, databricks oder der australischen Firma Canva gerechnet. Auch hierzulande haben wir mit Firmen wie den Unicorns Personio oder Celonis SaaS-Kandidaten, bei denen ein IPO in absehbarer Zukunft eine potenzielle Option sein kann.
Das sind positive Signale, die mich zusammen mit den leicht steigenden Bewertungen, den zu erwartenden wachsenden Investitionen für Software im Rahmen der Digitalisierung und den Chancen durch künstliche Intelligenz nicht daran zweifeln lassen, dass die deutsche SaaS-Branche mittel- bis langfristig weiterhin sehr gute Aussichten hat. Im kommenden Jahr gilt es jetzt, die richtigen Grundlagen im Go-To-Market und im Produkt zu schaffen. Wem das gelingt, darf auf erfolgreiche Jahre hoffen.