Das Thema Digitalisierung spielt auch beim Vertragsmanagement eine immer größere Rolle. Ein Interview mit Dr. Mathias Bauer, Partner im Lighthouse Germany, gibt Aufschluss darüber, wie Intelligentes Vertragesmanagement aussehen kann.
In der Regel kostet die Implementierung von neuen Technologien zuerst einmal Geld und Zeit: Software muss eingekauft werden, Mitarbeitende müssen geschult werden. Lohnt es sich da überhaupt auf digitale Lösungen wie KI-basierte Contract Analytics umzusteigen?
Dr. Mathias Bauer: Vor Einführung neuer Technologien ist es ratsam, eine umfassende Analyse des zu erwartenden Returns on Invest durchzuführen, um Budgets sinnvoll zu verteilen. Letztlich zeigt unsere Erfahrung, dass gerade bei Prozessen mit hohem manuellem Aufwand zunächst hohe Einführungskosten entstehen. Demgegenüber ermöglichte die Einführung aber langfristig eine Verbesserung der Qualität in Sachen Prozessgeschwindigkeit, Personalkostenersparnis und Reduktion manueller Eingriffe bei gleichzeitiger Reduktion der Kosten. Als positive Nebeneffekte führt die damit einhergehende Digitalisierung der Prozesse zu einer besseren Überwachung der Compliance sowie besserer Skalierbarkeit.
Zudem erlaubt eine Implementierung von Contract Analytics als Managed Service es, die Onboarding-Zeit zu reduzieren. Da die Lösung für mehrere Kunden genutzt werden kann, sinken die Entwicklungskosten für einzelne Nutzende. Gleichzeitig können Daten zur Verbesserung der Machine-Learning-Modelle im Hintergrund auch über Kundengrenzen hinweg genutzt werden, sodass alle Nutzer von der Performanzverbesserung profitieren können, während gleichzeitig die Vertraulichkeit von Daten je Kundenkreis gewahrt bleibt.
Darüber hinaus zeigt die aktuelle Situation mit den massiven Einschränkungen durch Corona, dass die Automatisierung von Prozessen deren Stabilität gegenüber externen Störfaktoren erhöht.
(Quelle: KPMG in Deutschland, 2020)
Können Sie hier ein konkretes Anwendungsbeispiel nennen? Wie sieht intelligentes Vertragsmanagement in der Praxis aus?
Dr. Mathias Bauer: Aus der Praxis wissen wir, dass bei größeren M&A Projekten die Erfassung zigtausender Verträge oft mehrere Personenjahre und Kalendermonate in Anspruch nahm. Durch Automatisierung kann die Prozesszeit auf wenige Tage bis Wochen reduziert werden, da sich Sachbearbeiter auf die wenigen komplexeren Fälle fokussieren können, während das Gros der Verträge vollautomatisch analysiert werden kann. Dank Digitalisierung der Analyse können ferner zentrale Kennzahlen übersichtlich, interaktiv und in Echtzeit via Dashboard für die Managementebene aufbereitet werden.
Obwohl die Vorteile recht offensichtlich scheinen und papierlose Büros seit Jahren gepredigt werden, liegen Vertragsdokumente in den meisten Fällen noch in Papierform vor und werden händisch geprüft. Woran liegt das und wo stehen deutsche Unternehmen derzeit in Sachen Contract Analytics?
Dr. Mathias Bauer: Das lässt sich auf den interessanten Aspekt zurückführen, dass es sich bei Verträgen und folglich auch deren Management um eine unternehmensweite Disziplin handelt. Jede Abteilung eines jeden Unternehmens benötigt für ihre tägliche Arbeit Verträge – sei es Einkaufs-, Vertriebs-, Rechnungswesen-, IT- oder Rechtsabteilung – weshalb allerdings leider oftmals auch Unklarheit darüber herrscht, bei wem die Verantwortung für das „ganzheitliche Vertragsmanagement“ liegt. Ohne klare Verantwortung entsteht kein Handlungsbewusstsein, und folglich ändert sich auch am Status Quo, dem behelfsmäßigen Umgang mit Verträgen nichts.
Hier gibt es durchaus sehr unterschiedliche Konstellationen: Ist ein Vertrag als juristisches Dokument folgerichtig in der Verantwortung der Rechtsabteilung, oder ist diese als Berater ad-hoc bei spezifischen Fragestellungen zu involvieren – aber die ganzheitliche Verantwortung für die Phasen eines „Vertragslebenszyklus“ liegt dann doch bei der jeweiligen Fachabteilung?
Wir erleben allerdings einen Wandel, der anfangs vor allem durch neue gesetzliche Anforderungen wie zum Beispiel DSGVO oder IFRS16 angestoßen wurde. Mittlerweile erkennen deutsche Unternehmen das Vertragsmanagement aber durchaus als abteilungsübergreifende Aufgabe und mandatieren Pilotabteilungen, die sich wiederum an uns für professionelle Hilfe wenden. Somit stehen deutsche Unternehmen in Sachen Contract Analytics am Anfang einer vielversprechenden Zukunft.
Gibt es Branchen für die Contract Analytics besonders relevant sind bzw. die vielleicht bereits jetzt schon eine Vorreiterposition haben?
Dr. Mathias Bauer: So wie das Vertragsmanagement, ist auch Contract Analytics grundsätzlich für jede Branche relevant. Tatsächlich ist für den Einsatz von Contract Analytics der entscheidende Faktor weniger die Branche, in der ein Unternehmen tätig ist, sondern eher die Anzahl und Komplexität seiner Vertragsbeziehungen. Denn Automatisierung und der Einsatz von künstlicher Intelligenz im Vertragsmanagement entfalten ihr volles Potential in der Regel erst ab einem gewissen Vertragsaufkommen.
Ein Beispiel ist die rechtliche Prüfung von Vertragsentwürfen: Schließt ein Unternehmen nur wenige standardisierte Verträge pro Jahr, so ist eine manuelle Prüfung durch die Rechtsabteilung unproblematisch und Contract-Analytics-Ansätze zur Erkennung kritischer, prüfungswürdiger Änderungen folglich weniger relevant. Gilt es allerdings Dutzende individueller Entwürfe pro Tag zu prüfen, übersteigt dies schnell die vorhandenen Kapazitäten. Für Unternehmen mit diesem Volumen an komplexen Verträgen ist Contract Analytics besonders relevant.
Wir unterstützen Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen bei ihren Vertragsmanagement- und Contract Analytics Projekten. Als Vorreiter sehen wir sie alle, denn sie haben das Potential erkannt, das in ihren Verträgen steckt und wollen es nutzbar machen.
Wenn Unternehmen sich dafür entschieden haben, Contract Analytics in die Prozesse zu implementieren, welche Handlungsempfehlungen würden Sie ihnen mitgeben? Welche Herausforderungen müssen vorab erfüllt sein?
Dr. Mathias Bauer: Für Unternehmen, die von Contract Analytics profitieren wollen, gilt es zunächst, den Grundstein zu legen und Vertragsmanagement als unternehmensweite Disziplin zu verstehen. Zu den Herausforderungen zählt in erster Linie die Implementierung einer stringenten Vertragsmanagement-Strategie sowie deren Umsetzung in Form von strukturierten Prozessen, dedizierten Rollen und Verantwortlichkeiten, dokumentiert in verbindlichen Richtlinien für den Umgang mit Verträgen. Wird Vertragsmanagement in einem Unternehmen wirklich „gelebt“, so kann im nächsten Schritt über die weiterführende Optimierung mithilfe von Contract Analytics nachgedacht werden. Um zum Beispiel die Auswertung von Vertragsinhalten mit intelligenten Data-Analytics-Modellen zu unterstützen, bedarf es im Vorfeld einer soliden Datenbasis, deren Existenz und Vollständigkeit wiederum nur durch ein ausgereiftes und ganzheitliches Vertragsmanagement sichergestellt werden kann.
Ein Blick in die Glaskugel: Welche Szenarien sind durch KI-basiertes Contract Analytics denkbar? Und welche Rolle spielt der Mensch noch, wenn das Vertragsmanagement von intelligenten, selbstlernenden Tools übernommen wird?
Dr. Mathias Bauer: Zu Vertragsmanagement gehört natürlich nicht nur die Analytics, sondern auch die systemunterstützte Erstellung von Verträgen, die automatisch alle Compliance-Vorgaben erfüllen. Hier spielt der Mensch bei der Erstellung von Vertragsbausteinen nach wie vor eine zentrale Rolle, auch wenn selbst diese durch Systeme, die anhand von Beispielverträgen lernen, unterstützt werden können und diese Unterstützung zeitnah noch deutlich besser wird.
Menschen spielen insbesondere dort eine Rolle, wo es um Abweichungen von einem Standard geht – Fingerspitzengefühl, Erfahrungswissen, Bewertung von Situationen und Abwägen unterschiedlicher Interessenslagen ist und bleibt auch vorerst eine menschliche Aufgabe.
Vielen Dank für das Gespräch!