C-Level Management

Zu viele Chiefs, zu wenig Mensch

Chief, Chiefs, Chaos

CTO, CIO, CDO, CAIO – mit jeder technischen Welle ein neuer Chief. Kurz: C-irgendwas-mit-Tech-O, der “CIMTO”. Wo bleibt da der Mensch im Strudel technologischen Wandels? Ein Plädoyer für die richtige Priorität.

Jede Welle technologischer Entwicklungen zieht offenbar auch unweigerlich eine neue Rolle m C-Level nach sich. Erst waren es der Chief Technology Officer und Chief Information Officer. CTO vor allem für Technologie im Außenverhältnis, zweitgenannter für den Fokus auf das Innere der Organisation. Danach der Chief Digital Officer, denn die Welt war plötzlich digital beziehungsweise sollte es schnellstmöglich werden. Und jetzt, auf der aktuellen Stufe der Digitalisierung: der Chief Artificial Intelligence Officer. Der CAIO also. Offenbar leistet man sich im Hype um die neue General Purpose Technology sogar einen Buchstaben mehr und bricht aus dem gewohnten Buchstaben-Dreiklang aus.

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Warum auch nicht. Es scheint ja wirklich wichtig zu sein, denn schließlich spricht alle Welt über KI und selbst Nobelpreise gibt es dafür inzwischen. CTO, CIO, CDO, CAIO – und als nächstes dann CQCO für Chief Quantum Computing Officer? Klingt dann doch alles irgendwie beliebig. Warum also nicht gleich noch einen fünften Buchstaben oben drauf und “CIMTO” für “C-irgendwas-mit-Tech-O”?

Mensch, wo hakt es denn?

Wie auch immer man die Position nennen mag. Zunächst ist es natürlich wichtig, dass Technologie als Thema auf Board-Level verortet ist. Es braucht im neuen Maschinenzeitalter eine Rolle mit Entscheidungsgewalt und Überblick. Ohne wird heute und morgen kein größeres Unternehmen überleben können.

Was aber fehlt, ist der Fokus auf diejenigen, die von Technologie betroffen sind – und das sind zuallererst die Mitarbeitenden. Mit Fokus sind hier keine Lippenbekenntnisse in Sonntagsreden gemeint, sondern echte Priorität. Was einer glaubwürdigen und wirksamen Priorisierung des Faktor Mensch im Wege steht – eine kurze Vorstellung in drei Akten:

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  • Die Person: Glaubwürdig wird Priorität zunächst über die Person, welche die C-Rolle ausfüllt. Was ist der “CIMTO” für ein Fabelwesen? Es geht ja schließlich um fundamentale Transformationen mit Implikationen für das, was uns allen schon aus naturgemäßem Egoismus am wichtigsten ist: den Menschen. Sind CTO, CIO, CDO und CAIO also Menschen mit einem Background in HR, Psychologie, Soziologie oder Philosophie? Natürlich nicht – der Hintergrund ist, zunächst logisch, IT und/ oder General Management. Idealerweise also der Techie mit Blick für’s Business. So werden und sind die meisten dieser Positionen besetzt. Häufige Headline: “300.000 Dollar Jahresgehalt für den CAIO” statt “Tech-affine Sozialwissenschaftler kapern C-Level”.
  • Die Integration: Selbstredend kann auch eine Person ohne fachlichen Hintergrund mit Fokus Mensch für die Belange von Beschäftigten eintreten, kann in der Mission Digital den Menschen in den Mittelpunkt rücken. Dafür braucht ein “CIMTO” aber den Auftrag. Den hat aber schon jemand anderes: der Personaler. Entweder CHRO oder Personalleiterin unter C-Level. Wer bekommt nun also den Auftrag für die humanzentrierte Begleitung technologischer Themen? Meistens HR, und falls beide, muss sich auf Augenhöhe und mit Respekt begegnet werden, muss echte Zusammenarbeit über sehr lange Zeit stattfinden. Einen derartigen Schulterschluss sieht man selten. Stattdessen viele Silos: HR für Faktor Mensch versus “CIMTO” für Tech. So wird das dann doch eher nichts.
  • Der Blickwinkel: Wirkliche Priorität hat der Mensch nur dann, wenn man nicht auf die Technologie, sondern die Technologiefolgen blickt. Interessant ist also weniger, welche Architektur eine Software hat, sondern was diese Software mit der Architektur des Menschen macht. Und für diesen Blickwinkel ist Fachwissen aus der Psychologie, speziell zur Anwendung dieser Disziplin auf das Change Management gefragt. Fünf Fragen, die ein “CIMTO” beantworten können muss, aber meist von ChatGPT beantworten lässt:

    (a) Was motiviert Beschäftigte, eine Technologie zu nutzen?
    (b) Welche Hürden zur Nutzung gibt es in der Belegschaft und wodurch sind diese bedingt?
    (c) Welche positiven und negativen Erwartungen haben Mitarbeitende hinsichtlich der Implikationen von Technologie für ihren Job?
    (d) Was macht Technologie mit Leistung, Engagement, Gesundheit und Zufriedenheit von Beschäftigten?
    (e) Wodurch zeichnen sich Befürworter versus Gegner technologischen Wandels in Erleben und Verhalten aus?

Hat ein „CIMTO“ fundierte Antworten auf diese Fragen? Ohne Fundament in der eigenen Person und ohne Rückendeckung durch Integration mit HR ist das sehr unwahrscheinlich.

Solange Menschen mit den richtigen Prioritäten und einer geteilten Mission gemeinsam agieren, ist eine Transformation jeder Art weit weniger steinig.

Dr. Jens Nachtwei

Namen sind Schall und Rauch


Bevor wir also den nächsten Buchstaben zwischen C und O pressen, sollten wir endlich eine Rolle jenseits von Silos definieren, die Transformation wirklich humanzentriert begleiten will, kann und darf. Menschen auf dieser Position wandeln zwischen den Welten, zwischen Technologie (in) der Organisation und Psychologie der Belegschaft. Um diesen Weg zu beschreiten, braucht es Rückendeckung, muss sich das Top-Management insgesamt zum Faktor Mensch bekennen und den Wertbeitrag von HR auch in technologischen Fragen erkennen.

Vielleicht ist die Verwirrung um das neue C im Board ja aber auch ein guter Impuls, den Blick neu zu justieren, weg vom exponierten Individuum hin zum orchestrierten Kollektiv. Denn solange Menschen mit den richtigen Prioritäten und einer geteilten Mission gemeinsam agieren, ist eine Transformation jeder Art weit weniger steinig. Und falls es dann doch beim alten pyramidalen System mit personenzentriertem Heldenkult bleiben soll: Wie wäre es beispielsweise mit dem Chief Human Nature Digital Transformation Integration Officer? Etwas sperrig? Auf den Namen kommt es nicht an. Was zählt, sind Prioritäten – richtig ausgerichtet und richtig ernstgemeint. 

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Jens Nachtwei

Dr. Jens

Nachtwei

Wissenschaftlicher Mitarbeiter

Humboldt-Universität Berlin

Jens Nachtwei forscht und lehrt seit 2006 an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie seit 2012 an der Hochschule für angewandtes Management in den Bereichen Ingenieur- und Organisationspsychologie.
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