Als vor rund drei Jahren die ersten Meldungen von Covid-19-Ausbrüchen in Europa die Runde machten, dürften wohl nur die wenigsten geahnt haben, welche Zäsur dies für das private Leben und die Wirtschaft bedeuten würde. Einige gesellschaftliche Phänomene, die seither zu beobachten sind, wurden durch die gänzlich neue Situation erst hervorgerufen, andere lediglich verstärkt.
Insbesondere die HR-Abteilungen in Unternehmen stehen aufgrund der Entwicklungen in den letzten Jahren vor erheblichen Herausforderungen. Schon vor der Pandemie hatten sie mit einem Fachkräftemangel zu kämpfen, der vor allem durch den demographischen Wandel in Deutschland und Europa verursacht wurde. In der Pandemie sind weitere Ursachen für den Fachkräftemangel hinzugekommen.
Umgekehrte Alterspyramide hat Folgen
Laut Statistischem Bundesamt ist hierzulande jede zweite Person älter als 45 Jahre und jede fünfte älter als 66 Jahre – also bereits über dem durchschnittlichen Rentenalter. Die Lebenserwartung steigt im Schnitt an, und der Nachwuchs bleibt häufig aus. Hinzu kommt, dass in der heutigen digitalen Arbeitswelt die Ansprüche an Arbeitnehmer steigen. Dass weniger Menschen diese erhöhten Ansprüche erfüllen können, befeuert den Fachkräftemangel zusätzlich. Jedes zweite deutsche Unternehmen hat Probleme, offene Stellen zu besetzen – das lässt sich im Fachkräftereport der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) nachlesen. Daraus resultieren Umsatzverluste, Mitarbeiterunzufriedenheit und -überlastung.
Die Pandemie hat das Problem weiter verschärft, insbesondere in Wirtschaftszweigen, die in den letzten Jahren mit Lockdowns und Kurzarbeit zu kämpfen hatten. Zahllose Arbeitnehmer haben sich dazu entschlossen, der jeweiligen Branche den Rücken zuzukehren. In der Folge kam es zu Wanderungsbewegungen der Arbeitnehmer zwischen einzelnen Branchen und Sektoren.
Quiet Quitting – Horrorszenario für Personalverantwortliche
Für die meisten Unternehmen muss es vor diesem Hintergrund wie eine Hiobsbotschaft klingen, dass aktuell unter Arbeitnehmern ein neuer Trend die Runde macht. Die Rede ist vom sogenannten „Quiet Quitting“, also einer Kündigung still und leise. Dabei handelt es sich um ein Phänomen, das insbesondere in sozialen Medien immer höhere Wellen schlägt.
Nicht zu verwechseln ist dieser Trend mit der sogenannten „inneren Kündigung”. Dieser Ausdruck wird nur verwendet, wenn Beschäftigte sich gedanklich bereits auf den Pfad der beruflichen Neuorientierung begeben haben – dies ist bei „Quiet Quitters“ jedoch nicht der Fall. Quiet Quitters sind nicht (mehr) bereit, sich für ihren Job über das vertraglich vereinbarte Maß hinaus zu engagieren. Auch ihre emotionale Bindung an das Unternehmen hält sich in Grenzen. Konkret bedeutet das: Sie machen ihre Arbeit, aber große Begeisterung für die übergeordneten Unternehmensziele kommt nicht auf.
Eine Erhebung des Markt- und Meinungsforschungsinstitutes Gallup kommt zu dem Ergebnis, dass 69 Prozent der deutschen Angestellten im Jahr 2021 die Kriterien für „Quiet Quitters“ erfüllten. Hierzu sind, den Marktforschern zufolge, mit rund 14 Prozent noch diejenigen zu addieren, die bewusst noch weniger leisten als es in ihrem Vertrag vorgesehen ist.
In Anbetracht des akuten Arbeitskräftemangels stellt das eine beachtliche Herausforderung dar. Denn engagierte Mitarbeiter sind generell produktiver, lösen Probleme zielstrebiger und sind bereit, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln und perspektivisch mehr Verantwortung zu übernehmen. Fehlt dieses Engagement, wird es schwierig, den Unternehmenserfolg dauerhaft sicherzustellen. Personalverantwortliche sollten sich fragen, wie sie dem „Quiet Quitting“ begegnen können.
Abwanderung von Arbeitskräften – Great Resignation und ihre Auswirkungen
Als hätten sie nicht schon genug Sorgen, hält ein weiteres Phänomen Personalverantwortliche in Atem: die „Great Resignation“, zu Deutsch etwa „die große Kündigungswelle“. Damit wird die durch die Pandemie ausgelöste Tatsache bezeichnet, dass die Kündigungszahlen in die Höhe geschnellt sind. Das Phänomen war zunächst in den USA zu beobachten und hat sich kurz darauf auch in Deutschland bemerkbar gemacht. Unter anderem hat die große Kündigungswelle das Kräfteverhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zugunsten der Belegschaft verschoben.
Laut Gallup Engagement Index war die Bereitschaft der deutschen Beschäftigten zur Kündigung und zum Jobwechsel noch nie so hoch wie im Moment. Das stellt Führungskräfte und Personalabteilung nicht nur im Mittelstand vor große Herausforderungen. Allerdings bieten Great Resignation und Quiet Quitting auch Chancen, die Unternehmens- und Arbeitskultur zu modernisieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben und Mitarbeiter langfristig zu binden.
Gründe für Quiet Quitting und Great Resignation
Im Falle des Quiet Quitting existiert eine Vielzahl an Erklärungsversuchen, weshalb Arbeitnehmer sich immer weiter zurücknehmen. Zunächst die Generationenfrage: Der Generation Z und ihren Nachfolgern wird oft nachgesagt, dass sie keine Leistungsbereitschaft mehr kennen. Dabei dürfte es sich um ein Fehlurteil handeln. Mitglieder dieser Generationen sind sich häufig schlicht besser bewusst, dass finanzielle Belohnung oft mit Kosten für Gesundheit und Familie einhergeht.
Ohnehin sind Faktoren für nachlassendes Mitarbeiterengagement zu nennen, die nicht den jüngeren Generationen vorbehalten sind: Chronischer Stress kann zu nachlassendem Engagement führen. Über- oder Unterforderung kann die Motivation beeinträchtigen und dazu führen, dass Mitarbeiter innerlich abschalten. Unterforderung und monotone Tätigkeiten bremsen Engagement. Auch mangelnde Perspektiven für die eigene berufliche und persönliche Weiterentwicklung innerhalb eines Unternehmens können einen ursprünglich engagierten Mitarbeiter auf Dauer ausbremsen.
Ein weiteres Problemfeld ist fehlende Anerkennung – sowohl im monetären als auch im immateriellen Sinne. Engagierte Arbeitnehmer erwarten Anerkennung für ihre Leistung. Das kann eine besondere Vergütung oder ein Entgegenkommen an andere Stelle sein. Es kann aber auch schon helfen, einfach mal ehrlich „Danke“ zu sagen.
Neben dem Risiko, dass die Leistungsbereitschaft von Mitarbeitern sinkt, droht weitaus größerer Schaden, wenn Angestellte sich entschließen, das Unternehmen ganz zu verlassen. Einer der häufigsten Kündigungsgründe ist das Fehlen einer wertschätzenden Unternehmenskultur. Die Mitarbeiter fühlen sich nicht genug gefördert, und es fehlt ihnen die Anerkennung durch Vorgesetzte. Vielen ist das Arbeitsumfeld außerdem zu stressig und sie wünschen sich mehr Unterstützung.
Laut Engagement Index ist die fehlende emotionale Bindung der meistgenannte Grund von Arbeitnehmern, sich nach neuen Jobs umzusehen. Die psychische und physische Gesundheit sowie ein gemeinsamer „Sinn“ der Arbeit werden immer wichtiger für die Beschäftigten. Daher zählen heute auch gesamtgesellschaftliche Themen wie Gleichberechtigung, Nachhaltigkeit und Diversität zu den Entscheidungskriterien potenzieller Mitarbeiter. Außerdem wünschen sie sich einen krisenfesten Arbeitgeber, der ihnen in der digitalen, komplexen Arbeitswelt der Zukunft Sicherheit, Wachstum und Perspektive bieten kann.
Kündigungswillige zum Bleiben bewegen
Am besten können die Verantwortlichen diesen Trends begegnen, indem sie ein attraktives Arbeitsumfeld schaffen, in dem die Arbeitnehmer Sinn und Freude finden und sich wertgeschätzt fühlen. Dazu gehören eine moderne Arbeitsatmosphäre und eine klare, positive Unternehmenskultur. Die Kommunikation mit den Mitarbeitern erfolgt in einem zukunftsorientierten Unternehmen auf Augenhöhe und durch eine teilhabende und vertrauensvolle Führung. Neben einem fairen Gehalt zählen heute die folgenden vier Maßnahmen der Mitarbeiterbindung zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren:
- Flexible Arbeitsmodelle und -ausstattung: Die Mitarbeiter wünschen sich, ihre Arbeitszeiten und -orte nach ihren persönlichen Bedürfnissen gestalten zu können. Ein Arbeitgeber mit Zukunft bietet daher Modelle wie Teilzeit, Homeoffice, Jobsharing und mehr an.
- Zeit für einen Kulturwandel: Wer aktiv an einer teilhabenden Unternehmenskultur arbeitet, schafft dadurch ein motivierendes „Wir“-Gefühl im Unternehmen. Für den Start eines solchen Wandels eignen sich zum Beispiel Events zur Teambildung, Workshops über die gemeinsame Vision oder das bewusste Feiern von Meilensteinen.
- Die Arbeitnehmer und ihre Wünsche im Blick behalten: Beliebte und effektive Tools, um im Austausch mit den Angestellten zu bleiben und ihre Meinungen einzuholen, sind unternehmensinterne Umfragen und persönliche Gespräche.
- Gezielte Möglichkeiten zur Karriereentwicklung: Wer seinem Team Schulungen, Weiterbildungsmöglichkeiten, Mentoring und interne Aufstiegsmöglichkeiten bietet, mindert das Risiko, dass Mitarbeiter ihr Potenzial lieber woanders entfalten.
Für Personalmanager und Unternehmensverantwortliche ist es zweifelsohne eine Mammutaufgabe, Trends am Arbeitsmarkt wie dem Quiet Quitting und der Great Resignation zu begegnen. Bestehendes Personal zu halten und dessen Leistungsbereitschaft zu fördern, wird in den nächsten Jahren zu einem der wichtigsten Erfolgsfaktoren für Unternehmen. Daher tun die Verantwortlichen gut daran, bereits heute eine offene Unternehmenskultur zu schaffen, ihren Mitarbeitern auf Augenhöhe zu begegnen und deren Wünsche nicht nur zum Schein zu berücksichtigen.
Was sind „Quiet Quitters“?
„Quiet Quitters“ sind nicht (mehr) bereit, sich für ihren Job über das vertraglich vereinbarte Maß hinaus zu engagieren. Auch ihre emotionale Bindung an das Unternehmen hält sich in Grenzen. Konkret bedeutet das: Sie machen ihre Arbeit, aber große Begeisterung für die übergeordneten Unternehmensziele kommt nicht auf.
Was ist der Unterschied zwischen „Quiet Quitters“ und „innerer Kündigung“?
Der Ausdruck „innere Kündigung“ wird nur verwendet, wenn Beschäftigte sich gedanklich bereits auf den Pfad der beruflichen Neuorientierung begeben haben – bei „Quiet Quitters“ ist dies jedoch nicht der Fall.