Pflicht zur Kompetenz – aber kein Pflichtzertifikat

KI-Kompetenz im Unternehmen: Was Artikel 4 des EU AI Act wirklich verlangt

KI-Verordnung, EU AI Act, künstliche Intelligenz

Ab dem 2. Februar 2025 wurde Artikel 4 des EU AI Act verbindlich. Unternehmen, die KI-Systeme entwickeln oder auch nur einsetzen, sind verpflichtet, ein angemessenes Maß an KI-Kompetenz bei ihren Mitarbeitenden sicherzustellen.

Ziel ist, dass all jene, die mit KI-Systemen arbeiten, diese nicht nur bedienen, sondern auch verstehen und in ihrem Wirkungskontext verantwortungsvoll einsetzen können.

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Trotz dieser klaren Zielsetzung kursieren derzeit zahlreiche Missverständnisse. Der Artikel wird in der öffentlichen Diskussion häufig missinterpretiert oder bewusst dramatisiert. Insbesondere werden teure Schulungen oder Zertifikatslehrgänge als scheinbar verpflichtende Lösung propagiert – häufig ohne Bezug zur tatsächlichen Gesetzeslage. Dabei schreibt der Gesetzgeber nicht vor, wie die Kompetenz aufgebaut werden soll – sondern lediglich, dass sie vorhanden sein muss.

Was der Gesetzgeber verlangt – und was er offenlässt

Der EU AI Act klassifiziert KI-Systeme grundsätzlich nach einem risikobasierten Ansatz. Maßgeblich für die Einstufung ist der potenzielle Schaden für Gesundheit, Sicherheit und Grundrechte. Systeme mit inakzeptablem Risiko werden verboten, für Hochrisiko-Systeme gelten strenge Anforderungen und Pflichten. KI-Systeme mit begrenztem Risiko unterliegen zusätzlichen Transparenzvorgaben.

Unabhängig von dieser Risikoklassifizierung verpflichtet Artikel 4 Unternehmen dazu, KI-Kompetenz aufzubauen. Konkret heißt das: Sobald KI-Systeme im Unternehmen eingesetzt werden, müssen geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um die notwendigen Kompetenzen der Mitarbeitenden sicherzustellen. Dabei sollen technische Vorkenntnisse, Erfahrung, Ausbildung der Zielgruppe und der konkrete Nutzungskontext des eingesetzten KI-Systems berücksichtigt werden. Konkrete Inhalte, Formate oder Nachweise schreibt der Gesetzgeber bewusst nicht vor. Es handelt sich um eine Prinzipienregelung – keine Zertifizierungspflicht.

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Diese Offenheit ist ein Vorteil: Sie erlaubt Unternehmen, auf bestehende Strukturen und Wissensstände aufzubauen, Schulungsformate flexibel zu gestalten und praxisnahe Qualifizierungsmaßnahmen zu entwickeln, die der Realität des eigenen Geschäfts gerecht werden.

Einseitige Schulungsangebote greifen zu kurz

Gerade weil der Artikel ergebnisorientiert formuliert ist, entsteht Spielraum – aber auch Unsicherheit. Diese Unsicherheit wird aktuell vielfach ausgenutzt. Unternehmen berichten vermehrt von Schulungsanbietern, die mit Verweis auf Artikel 4 standardisierte Schulungen oder Zertifikatskurse bewerben, die angeblich zur Compliance erforderlich seien. Doch ein solcher pauschaler Ansatz wird weder den gesetzlichen Anforderungen noch der betrieblichen Realität gerecht.

Der tatsächliche Kompetenzbedarf variiert stark – je nachdem, ob Mitarbeitende KI-Systeme entwickeln, auf ihrer Grundlage Entscheidungen treffen oder schlichtweg mit einem KI-gestützten Tool arbeiten. Wer ChatGPT für Recherchezwecke nutzt, benötigt ein anderes Verständnis von KI als jemand, der Trainingsdaten auswählt, Modelle validiert oder ein System bedient, das etwa im Recruiting Bewerber bewertet – und dabei potenziell diskriminieren kann.

Sinnvoller als generische Schulungen sind daher Lernangebote, die sich gezielt an den Aufgaben, Vorkenntnissen und Verantwortlichkeiten der jeweiligen Zielgruppe orientieren. Dazu zählen interne Trainings, Peer-Learning-Formate, Guidelines, simulierte Anwendungsfälle oder auch „Learning on the Job“ – also Lernen durch Tun. Der Vorteil: Diese Formate lassen sich nicht nur kosteneffizient und passgenau umsetzen, sondern führen meist auch zu einem tiefergehenden Verständnis als reine Theorievermittlung.

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Praxisnaher Kompetenzaufbau statt Standardlösungen

Wir bei MaibornWolff empfehlen einen mehrstufigen, bedarfsorientierten Ansatz, der auf breiter Wissensvermittlung ebenso setzt wie auf zielgruppenspezifische Vertiefung. Ausgangspunkt ist dabei ein unternehmensweites Grundlagentraining, das allen Mitarbeitenden ein gemeinsames Verständnis vermittelt – etwa über die Funktionsweise typischer KI-Systeme, ihre Stärken und Grenzen sowie über ethische und regulatorische Rahmenbedingungen.

Darauf aufbauend folgen rollenspezifische Formate, die sich an den jeweiligen Fachbereichen und Anwendungsfeldern orientieren – etwa für IT, Produktmanagement, Datenschutz, Personalentwicklung oder Compliance. In einem weiteren Schritt lassen sich vertiefende Inhalte für technische Spezialistinnen und Spezialisten sowie strategische Entscheidungsträger integrieren – etwa zu Themen wie Modellrisiken, KI-Governance oder Einsatzgrenzen generativer KI.

Im Mittelpunkt steht dabei ein Mindset-Shift: Mitarbeitende sollen nicht nur verstehen, wie ein Tool funktioniert – sondern lernen, mit KI zu denken. Das bedeutet, Prozesse und Aufgaben kritisch zu hinterfragen, Potenziale zu erkennen, Risiken einzuordnen und letztlich informierte Entscheidungen zu treffen – mit und über KI.

Fazit: Lernwege gestalten statt Zertifikate einkaufen

Artikel 4 des EU AI Act ist keine bürokratische Hürde, sondern eine Einladung zu reflektiertem Kompetenzaufbau. Er fordert Verantwortungsbewusstsein – aber lässt Freiraum bei der Umsetzung. Unternehmen sollten diesen Raum nutzen, um Lernpfade zu entwickeln, die zum Geschäft, zur Organisation und zu den Mitarbeitenden passen.

Anstelle teurer Einzellösungen oder pauschaler Schulungsprogramme braucht es flexible, skalierbare und praxisnahe Formate. Nur so entsteht ein tatsächlicher Kompetenzgewinn – und damit die Grundlage für den verantwortungsvollen Umgang mit KI-Systemen im Sinne des Gesetzes. Unternehmen, die dies frühzeitig angehen, stärken nicht nur ihre Compliance – sondern auch ihre Innovationskraft und Glaubwürdigkeit im Umgang mit KI.

Miller

Anja

Miller

Senior Digital Designer und KI-Expertin

MaibornWolff

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