Im industriellen Mittelstand schreitet die Vernetzung von Mensch, Maschine und Software sowie die damit verbundene nachhaltige, wandelbare, intelligente und effiziente Produktion voran.
Auch die Produktentwicklung, die Logistik und der Kundenkontakt sind von dieser Verzahnung betroffen. Dementsprechend vielseitig müssen die nötigen IT-Komponenten sein, damit sowohl die Kommunikation zwischen sämtlichen Produktionsressourcen und den Mitarbeitern als auch die selbststeuernde Prozessoptimierung sowie die automatische Überwachung von Maschinendaten gelingen. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass die Zielsetzungen mittelständischer Unternehmen in ERP-Projekten ähnlich ambitioniert sind wie jene größerer Unternehmen.
In den meisten Unternehmen stehen ERP-Lösungen im Zentrum der betrieblichen Software-Landschaft und damit im Fokus der Digitalen Transformation. Sie werden nahezu flächendeckend von fast allen Unternehmen eingesetzt und integrieren dabei ein breites Spektrum betrieblicher Aufgabenfelder. Aus ihrer zentralen Rolle als informationstechnisches Rückgrat des Unternehmens heraus, fungiert ERP-Software als Taktgeber für die Vernetzung entlang der Wertschöpfungskette, die Automatisierung von Geschäftsprozessen und die Unterstützung von Entscheidungsprozessen. Vor dem Hintergrund der zunehmenden vertikalen und horizontalen Vernetzung steuert sie sämtliche Prozesse und Anwendungen und integriert sie in den betriebswirtschaftlichen Kontext des Unternehmens.
Bei der Frage nach der Modernität zeigt sich jedoch, dass die aktuell in den Unternehmen eingesetzte ERP-Infrastruktur im Durchschnitt 11 Jahre alt ist, wobei die ERP-Systeme, die in mittleren und größeren Unternehmen eingesetzt werden, insgesamt sogar noch älter sind als die in kleineren Unternehmen.
Realitätscheck Anwenderbefragung
ERP-Anwender sind sich durchaus bewusst, an welchen Stellen sie ihre IT-Infrastruktur modernisieren und technologisch aufrüsten müssen, um den digitalen Wandel gestalten zu können. So schlägt sich beispielsweise der Marktführer im ERP-Segment wacker im Urteil seiner Anwender. Basierend auf Antworten von Unternehmen aus dem industriellen Mittelstand vergeben SAP-Anwender überdurchschnittliche Noten in der Vergleichsgruppe für die Stabilität des Systems, die internationale Einsetzbarkeit und auch Support Updates / Release-Wechsel. Umgekehrt bemängeln sie die Ergonomie (sicherlich auf das im Schnitt eher ältere Release zurückzuführen), das Preis-Leistungs-Verhältnis und den Aufwand zur Datenpflege. Unterdurchschnittlich schneiden insbesondere die SAP-Partner in den Punkten Beratung zur Einsatzoptimierung und der Anpassungsdokumentation ab, liegen insgesamt aber über dem Schnitt der Vergleichssysteme.
In der Auswertung von Befragten des industriellen Mittelstands kommen die Spezialisten CATUNO pro, winweb-food und FEPA überdurchschnittlich gut weg, dicht gefolgt von OpaccERP und BMD. Die diesjährige Studie bestätigt die mittlerweile etablierte Erkenntnis, dass „schlanke“ ERP-Lösungen, ausgesprochene Branchenlösungen und/oder Lösungen kleinerer Anbieter mit verhältnismäßig kleinem Kundenstamm in Sachen Anwenderzufriedenheit insgesamt am besten abschneiden. Die besten der Lösungen, die tendenziell eher bei größeren Kunden zum Einsatz kommen, befinden sich dagegen im Mittelfeld. Die „kleineren“ ERP-Lösungen haben per se eine bessere Ausgangsposition als ihre „größeren“ Mitbewerber:
- Geringe Komplexität: Schlankere und/oder funktionale bzw. branchenbezogene klar fokussierte ERP-Systeme verfügen über eine geringere Komplexität, so dass Einführung und Administration/Aktualisierung weniger aufwändig und die Bedienung weniger erklärungsbedürftig sind. Gleichzeitig ist die ERP-Software meist in eine einfachere Software-Landschaft eingebettet bzw. wird als Stand-Alone betrieben.
- Enge Kundenbeziehung: Kleinere, lokale bzw. spezialisierte Anbieter verfügen aufgrund der überschaubareren Kundenbasis und ggf. auch aufgrund ihres Fach- bzw. Branchen-Know-hows über weitaus bessere Möglichkeiten, (persönliche) Beziehungen zu ihren Kunden intensiv zu pflegen und individueller zu gestalten.
Entsprechend schaut auch in diesem Vergleich die Verteilung aus, die internationalen Anbieter tun sich etwas schwerer im Vergleich. Vom NAV-Nachfolger Microsoft Dynamics 365 Business Central (BC) wünschen sich Anwender beispielsweise eine höhere Budgettreue, sind mit der Internationalität nicht so zufrieden und der Meinung, Updates und Release-Wechsel könnten leichter sein. Mit der Umbenennung in Business Central wurde auch die Möglichkeit des sogenannten Overlayering – also des Überschreibens von Programmiercode in der Anwendung – eliminiert. Da auch diese Lösung nach dem Willen von Microsoft von den Anwendern als Cloud-Lösung genutzt werden soll, ist dies ein aus Herstellersicht notwendiger Schritt gewesen, denn nur so können die Updates unproblematisch für die Anwender eigespielt werden. Diese müssen sich dann um ihre Anpassungen oder genutzten Branchentemplates kümmern, ob das Zusammenspiel noch funktioniert.
Nach recht guten Bewertungen in den Vorjahren kommt die im Vergleich zur Vorstudie deutlich schlechtere Bewertung von IFS Applications vielleicht etwas überraschend. Insbesondere im Hinblick auf die Zufriedenheit mit dem Wartungspartner – in den meisten Fällen der Hersteller IFS selbst – erfährt mit einer Verschlechterung um eine halbe Schulnote gegenüber 2018 fast schon einen „Absturz“. Dies schlägt offenbar auch auf die Gesamtzufriedenheit mit der Software durch. Mit einem „Gut“ bewegt sie sich zwar noch im Mittelfeld des Segmentes der größeren ERP-Installationen, liegt aber auch signifikant unter den Vergleichswerten aus 2018. Und dies, obwohl die Software in vielen relevanten Punkten wie der „Ergonomie“, „Mobilen Einsetzbarkeit“ oder auch der „Internationalität“ sogar positiv heraussticht.
Ganz unerwartet kommt das schlechtere Abschneiden für IFS Applications im Jahr 2020 aber auch nicht, sondern folgt bekannten Wirkmustern: So treibt die IFS die Umstellung der Installationen auf IFS Applications 10 voran. Durch die neue Technologie soll zukünftig der Betriebsaufwand spürbar reduziert werden. Zunächst nehmen aber viele Kunden den damit einhergehenden Release-Wechsel als erhebliche Belastung wahr. Auch hat die IFS auf Kapazitätsengpässe der letzten Jahre zuletzt mit Umstrukturierungen der Consulting-Organisation reagiert, um zukünftig flexibler agieren zu können. Auch wurden vermehrt Services über Partner angeboten. Derartige Umstellungen sind zwar oft notwendig und sinnvoll, belasten aber erfahrungsgemäß zunächst die Kundenbeziehungen, da viele etablierte – oft gewachsene und informelle – Kommunikationskanäle zwischen Anbieter und Kunden wegfallen.
Anwender-Trends
Lauscht man den Prognosen insbesondere der großen internationalen Anbieter, dreht sich alles um Digitalisierung, Cloud und Künstliche Intelligenz in den nächsten Jahren. Doch die Gewichtung der Themen sieht in den rund 2200 befragten Unternehmen etwas anders aus. Fragt man die Anwender, welche Themen und Trends, die im ERP-Umfeld eine Rolle spielen, sie sehen, halten ca. 60% der befragten Anwender die „Daten- bzw. Informationssicherheit“ für sehr relevant. Die Einhaltung „Rechtlicher Vorgaben“ – z. B. GoBD, EU-DSGVO oder Branchenregularien wie die EU-Richtlinie 2011/62/EU zur Serialisierung im Pharmabereich – halten immerhin ca. 51% der Anwenderunternehmen für sehr relevant, wenn es um den Einsatz der ERP-Lösung geht. Aus beiden Themenkreisen resultieren vor allem fachlich-funktionale Anforderungen, die durch die ERP-Software bedient werden müssen, sei es im Bereich der Zugriffssteuerung und des „Identity Management“, der rechtssicheren Archivierung von Auftrags- und Rechnungsbelegen, dem Nachweis der Gestattung zur Nutzung personenbezogener Daten oder der Verwaltung von Seriennummern in Verbindung mit Produktidentifikation GTIN/NTIN/PPN, Verfallsdatum sowie Chargennummern.
Auf den Plätzen folgen die Themen der „Software-Ergonomie“ (45%) und des „Mobilen ERP-Einsatzes“ (43%), bei denen es durchaus Schnittmengen wie das „Responsive Design“ gibt, zumindest, wenn es um die Bedienung der ERP-Lösung über mobile Endgeräte wie Smartphone oder Tablet geht. Auch im Zusammenhang mit der Mobilen Nutzung von ERP-Software spielt ein weiterer Trend eine große Rolle: Die „Echtzeitübertragung mobiler Daten“ (41%). Dabei geht es zum einen sicherlich auch um den performanten Einsatz der ERP-Software in mobilen Anwendungsszenarien. Noch wichtiger ist aber sicherlich die Möglichkeit, Zustands- und Steuerungsdaten in Echtzeit im Rahmen der Auftragsabwicklung verarbeiten zu können. Bewerkstelligt wird dies durch den Mobilfunkstandard 5G, der sich derzeit in der frühen Phase der Einführung befindet und dessen Leistungsfähigkeit im Hinblick auf die Datenübertragungsrate, die verfügbare Bandbreite sowie im Hinblick auf Verzögerungen bei der Datenübertragung (Latenzzeit) im Vergleich zum Vorgängerstandard 4G völlig neue Größenordnungen erreicht.
Der fortschreitenden Digitalisierung in den Unternehmen ist die recht große Bedeutung zuzuschreiben, die die befragten Unternehmen dem Schnittstellenmanagement (auch Enterprise Application Integration) beimessen (ca. 40%). Die aktuelle Studie zeigt deutlich, dass sich der ERP-Einsatz auf eine Vielzahl betrieblicher Aufgaben erstreckt. Insofern leistet die ERP-Software einen maßgeblichen Beitrag zur Digitalisierung von Geschäftsprozessen.
Der Trend hin zu neuen Angeboten von datengetriebenen Dienstleistungen (sog. „Smart Services“) findet offenbar auch im ERP-Umfeld seinen Niederschlag: Er ist immerhin für 38% der Studienteilnehmer sehr relevant. Hintergrund kann unter anderem sein, dass sich Geschäftsmodelle bei Smart Services oft deutlich vom angestammten Geschäft unterscheiden. Anstatt des Verkaufs von Maschinen wird dann z. B. „Verfügbarkeit“ oder „Produktivität“ verkauft und nach Leistung abgerechnet.
Oder es wird ein Service zur Optimierung von Dispositionsparametern per Abonnement oder gar anteilig nach den erzielten Optimierungseffekten verrechnet. Da ERP-Software oft auf bestimmte Auftragsabwicklungslogiken zugeschnitten ist, stellen derartige Veränderungen viele ERP-Lösungen vor Herausforderungen.
Mit jeweils unter 30% landen Trends wie die „Augmented/Virtual Reality“ (z. B. Einsatz von Datenbrillen in der Kommissionierung oder auch bei Montage, Wartung und Instandsetzung), „Robotic Process Automation“ (Integration von Software-Anwendungen über die Bedieneroberfläche in Verbindung mit der Automatisierung von Datenverarbeitungsschritten mittels Ma-krotechnologien) und auch der Einsatz der „Künstlichen Intelligenz“ am Ende der Liste mit relevanten Trends im ERP-Umfeld.
Für einige Themen mag die eingeschränkte Relevanz auch damit zusammenhängen, dass den Studienteilnehmern die Begriffe nicht geläufig sind. Mit einem Anteil von jeweils gut 10% gilt dies insbesondere für das „Internet der Dinge (IoT)“, „Robotic Process Automation“ und das „Business Process Mining“.
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